Kaiserslautern Ehrgeiz, Talent, Ideen, Glück

Ein Teenager kommt in ein fremdes Land. Dessen Sprache beherrscht er zwar redlich, sein Schlagzeug jedoch nur rudimentär. Doch das Milchgesicht hat Großes vor an der Küste Kaliforniens: eine Heavy Metal-Band zu gründen, die nichts weniger als die größte der Welt werden soll. Seine Mitstreiter sind ein Sänger, so schüchtern, dass er niemanden in die Augen sehen kann. Ein Gitarrist, passabel spielend, aber ein wandelndes Pulverfass. Und ein Bassist, der im Grunde von dem allen nichts wissen will. Das klingt alles nicht ermutigend im Sommer 1981. Aber es ist der Beginn von Metallica.

Die Geschichte der Band ist gespickt mit Höhenflügen und Abstürzen. Sie strotzt von glücklichen Fügungen, zerbrochenen Freundschaften, ergriffenen Chancen, unbändigem Willen und dem mitunter eiskalten Abservieren aller, die dem eigenen Fortkommen im Wege stehen. Es ist eine Geschichte über den Weg aus einer trostlosen Garage in Los Angeles auf die Festival-Bühnen des Globus. Aufgeschrieben haben sie die beiden britischen Musikjournalisten Paul Brannigan und Ian Winwood. „Birth. School. Metallica. Death“ heißt das Werk, das das Werden der mit 100 Millionen verkaufter Alben heute tatsächlich erfolgreichsten Metal-Band des Planeten auf knapp 700 Seiten nachzeichnet. Was der Umfang nahe legt: Das Buch ist detaillierter als die bisherigen Biographien der vier US-Musiker. Und es hat einen Titel – Geburt, Schule, Metallica, Tod –, der den – nennen wir ihn ruhig großspurigen – Anspruch dieser Band auf den Punkt bringt. Einmal im Sog von Metallica, immer im Sog von Metallica, von der Wiege bis zur Bahre. Große Töne, die jedoch ganz am Anfang, im Mai 1981, noch reichlich schief klingen. „Ich hatte ein Schlagzeug, das aussah, als wäre es aus einer Müslipackung herausgefallen, und James erzählt den Leuten gern, es sei jedes Mal umgestürzt, wenn ich auf ein Becken geschlagen habe“, erinnert sich Lars Ulrich in einem der vielen Interviews, das er den Autoren über den Zeitraum von zwei Jahrzehnten gegeben hat und auf denen das Buch hauptsächlich basiert. Der damals frisch nach Kalifornien übergesiedelte 17-jährige Schlagzeuger aus Dänemark ist die treibende Kraft hinter einer Band, die bald schon das Genre neu definieren und den Thrash-Metal erfinden wird. Begeistert von der musikalischen Energie und Aggressivität britischer Bands wie Motörhead, Iron Maiden und Diamond Head, setzt der Möchtegern-Rockstar alles daran, seinen Traum zu verwirklichen. Als Genie in Selbstvermarktung und im Leute-um-den-Finger-wickeln bucht er gar einen Platz für ein Musikstück auf einem Metal-Sampler. Ohne freilich Band oder gar eine Komposition vorweisen zu können. Ulrichs verzweifelte Suche nach Mitstreitern lässt ihn auf den Sänger und Gitarristen James Hetfield treffen. Dieser ist zu diesem Zeitpunkt bereits ein passabler, weil talentierter, Musiker. Die gemeinsame Probe ist ein Desaster. „Wir verstanden uns nicht gerade auf Anhieb“, gestand Ulrich später. Dennoch finden die beiden zusammen und bilden seitdem – hier der vorwärtsenthemmte Däne aus bürgerlichem Elternhaus, dort der zurückgezogene, verletzliche US-Teen aus zerrütteten Verhältnissen – den kreativen Motor von Metallica, wie sich die Gruppe bald nannte (der Name war ursprünglich einem Freund Ulrichs eingefallen, der Däne kaperte ihn mit sicherem Gespür für Prestigeträchtiges). Brannigan und Winwood erzählen folgerichtig Metallicas Geschichte aus dem Blickwinkel der beiden maßgeblichen Akteure. Leadgitarrist Kirk Hammett, der als Ersatz für den rausgeworfenen charismatischen Dave Mustaine 1983 zur Truppe stieß, beleuchten sie nur am Rande. Auch die zeitweisen Bassisten Ron McGovney, Jason Newsted und aktuell Robert Trujillo finden eher nebenbei Erwähnung. Einzig Cliff Burton, dessen Unfalltod 1986 die Band in eine tiefe Krise stürzte, wird ausführlicher behandelt. Weil Burton der Band durch seine musikalischen Ideen neue klangliche Wege aufzeigte. Wege, die die Band in immerwährender Neugierde beschritt, bis heute beschreitet. Für Brannigan und Winwood eine der Charakterzüge, die Metallica ausmachen: der Mut zur Veränderung, Fortentwicklung. Auch wenn dadurch immer wieder Fans irritiert, gar zurückgestoßen werden wie bei der Zusammenarbeit der Metaller mit einem Symphonieorchester oder mit einem Richtungswechsel zu moderateren Klängen Mitte der 1990er. Erst diese Entwicklung öffnete Metallica die Ohren der Mainstream-Gemeinde. Und auch dies ist für Brannigan und Winwood etwas, was die Truppe auszeichnet: der Glaube an sich selbst und der unbedingte Wille zum Erfolg, auch wenn dafür manch alter Weggefährte auf der Strecke bleiben muss. Den beiden britischen Journalisten ist ein Buch geglückt, das trotz seiner Länge nur wenige langatmige Passagen hat und das sich spannend liest, auch und gerade für Rockfans, die noch nicht alles über Metallica wissen. Man nächtigt mit ihnen auf dem kalten Betonboden heruntergekommener Proberäume, sitzt in einem klapprigen, stinkenden Tourbus, säuft mit, lärmt mit und schüttelt den Kopf (nicht nur zur Musik). Eine Unmenge an Anekdoten über Sex, Drugs & Rock’n’Roll haben die Autoren zusammengetragen, sie sprachen mit Musikern, Managern, Produzenten, Medienleuten. Zwar mit einem gewissen Wohlwollen gegenüber seinem Gegenstand verfasst und bisweilen ins Schwärmerische abgleitend, lässt das Buch aber auch Kritik an den Protagonisten und deren Verhalten anklingen, wenn wieder mal etwas zwischenmenschlich zu Bruch gegangen ist. Über das Privatleben der Musiker jedoch erfährt man wenig. Nur dann, wenn es sich dermaßen auf deren künstlerisches Tun auswirkt, dass es nicht mehr zu leugnen ist. Beispielsweise, als Metallica im Jahr 2001 aufgrund von Hetfields Alkoholsucht und psychischer Probleme vor der Auflösung stand. Das Ergebnis jahrelanger Recherchen ist eine lesenswerte Studie auch über das Musikbusiness und eine Erinnerung daran, was es braucht, um letztlich erfolgreich zu sein. Das ist im Metal nicht anders als im Pop: Talent, Ehrgeiz, Ideen – aber vor allem die Güte anderer und eine verdammt große Portion Glück.

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