Grünstadt Grünstadt: Spuren des Kalten Krieges

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Auf dem aktuellen Luftbild von der ehemaligen US-Station auf dem Grünstadter Berg sind noch die Flächen zu erkennen, wo die Abschussrampen standen.

Von Mai 1960 bis Ende August 1966 waren auf dem Grünstadter Berg zwölf Marschflugkörper mit nuklearen Sprengköpfen stationiert. Sie waren auf Ziele jenseits des Eisernen Vorhangs programmiert. Die Bevölkerung ahnte davon nichts.

«GRÜNSTADT.»In der Nacht zum 1. September 1966 war es vorbei. Die Missiles wurden außer Dienst gestellt. Auf dem Grünstadter Berg breitete sich Stille aus. Die Klimaanlagen zur Kühlung der elektronischen Systeme der Mace Missiles hatten um 1 Uhr mitteleuropäischer Zeit aufgehört zu surren. Der Lärm der Anlagen, für jede Missile eine eigene, gehörte zum Alltag der 63 Soldaten der US-Air-Force in Europe (USAFE), die hier stationiert waren, schreiben George Mindling und Robert Bolton in ihrem Buch „U.S. Air Force Tactical Missiles“. „Wenn aus irgendwelchen technischen Gründen die Anlagen nicht liefen, der Lärm aufgehört hatte, sind wir aus dem Schlaf hoch geschreckt“, berichtet Robert Bolton, der viereinhalb Jahre auf dem Grünstadter Berg als Techniker Dienst tat, der RHEINPFALZ. Über sechs Jahre war die Station Teil des Abschreckungskonzepts der Nato gegen die Staaten des Warschauer Pakts. Tag und Nacht standen die unbemannten Bomber in ihren Startpositionen, konnten in 15 Minuten startklar gemacht werden, um einen Angriff aus dem Osten mit einem Gegenschlag zu beantworten. Die Mace Missiles, Typ TM-76 A, hatten eine Reichweite von rund 1000 Kilometern. Damit waren sie wohl auf strategische Ziele wie Flugplätze und Brücken in der damaligen DDR und Polen programmiert. Aber dazu gibt es keine Informationen, diese Daten unterliegen noch immer der Geheimhaltung. Selbst die Mitglieder der Startcrews wussten es damals nicht. Die Displays der Flugkörper waren mit Pappscheiben abgedeckt, und Fragen dazu hätten die Soldaten in ernste Schwierigkeiten gebracht. Begonnen hatte die Stationierung von USAFE-Soldaten in der ersten Hälfte der 1950er Jahre. Im Dezember 1952 war das Gelände auf dem Grünstadter Berg trotz aller Proteste des Luftfahrtvereins Grünstadt von den US-Amerikanern beschlagnahmt worden. Der Verein hatte sich gerade zwei Jahre zuvor wieder gegründet, nachdem er von den Nazis gleichgeschaltet und 1937 in das Nationalsozialistische Fliegerkorps wie alle deutschen Luftfahrtvereine zwangsweise eingegliedert worden war. Die Beschlagnahmung ihres Geländes war ein weiterer Schlag für die Segelflieger, nachdem schon 1945 die französische Besatzungsmacht die Flugzeughalle demontiert hatte und das Fliegerheim „durch Einheimische“ zerstört worden war, heißt es in der Chronik des Vereins. Noch ein Jahr konnten die Flieger ihren Platz nutzen und suchten derweil einen Ersatzstandort, der dann erst 1955 auf der „Quirnheimer Wust“ gefunden wurde. Es war wirklich eine Wüste. Aber die Amerikaner zeigten Herz für die Nöte der Flieger: Eine deutsche Arbeitseinheit der US-Luftwaffe durfte mit schwerem Gerät beim Planieren des Geländes helfen. Mittlerweile hatte auf dem Grünstadter Berg eine Nachrichtenstation des Geheimdienstes der US-Air-Force ihren Horchposten errichtet. 1959, in der Zeit des Wettrüstens von Nato und Warschauer Pakt, begannen dann größere Bauarbeiten auf dem Grünstadter Berg. Für eine Einheit des 38. Taktischen Missile-Geschwaders in Sembach wurde es bereit gemacht, Gebäude für die technischen Einrichtungen und die Unterkünfte der Soldaten errichtet, die Abschussplätze der Flugkörper betoniert. Ende Mai 1960 wurde die Station bezogen und war gut sechs Jahre lang Standort für atomar bestückte Lenkgeschosse. Von den Grünstadtern wurde die Missile-Basis als „Raketenstation“ bezeichnet. Dass hier Atomwaffen stationiert waren, wusste wohl niemand. Zumindest findet sich darüber nichts in Chroniken oder im Stadtarchiv. Verwaist war das Areal dann nach dem Abzug der US-Luftwaffe, die im September 1966 die Flugkörper mit Spezialtransportern, den Teracruzern, über die Autobahn zur damaligen Air Base in Sembach gebracht hatten. Erst knapp zehn Jahre später, im Jahr 1975 wurde dann auf dem Gelände eine Nachrichtenstation der US-Armee eingerichtet, die bis 1985 in Betrieb war. Später wurde das Areal, rund 25 Hektar, davon 8,6 noch immer umzäunt, ab und zu bei Nato-Manövern genutzt. Zeitweise war der umzäunte Bereich auch Spielplatz für ein Paintball-Team von US-Soldaten für Schießereien mit Farbbeuteln. Die Bemühungen der Stadt Grünstadt im Jahr 1990 das Gelände zu kaufen, blieben ohne Erfolg. Nach Auskunft der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, in deren Besitz das Areal mittlerweile ist, wurde die frühere US-Nachrichtenstation erst 2007 von den Amerikanern freigegeben. Ein Verkauf sei nicht vorgesehen, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. Es werde als Ausgleichsfläche für Bauvorhaben des Bundes bereit gehalten. Seit Jahresbeginn wird es wieder genutzt, diesmal aber für friedliche Zwecke: Die Rettungshundestaffel der Altleininger Feuerwehr darf hier üben. Sie hatte bei der Bundesanstalt angefragt und gegen eine kleine Verwaltungsgebühr die Erlaubnis und die Schlüssel für das Tor zum umzäunten Bereich erhalten. Miete braucht die Staffel nicht zu zahlen. Wer hier also Hundegebell hört, braucht nicht zu befürchten, dass wieder Militärs Einzug gehalten haben.

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Hier ist der Transport eines Flugkörpers durch Mertesheim im Jahr 1959 zu sehen. Später wurden die Missiles über die Militärabfahrt der Autobahn angeliefert.
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Das Bild zeigt die Mace Missiles, die Tag und Nacht in Alarmbereitschaft waren.
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