Frankenthal 14 Quadratmeter Deutschland

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Flüchtlinge in Frankenthal (1): Sie sahen ihr Leben bedroht. Deutschland ist für sie vor allem eines: „ein sicheres Land“. Als Asylbewerber sind sie jetzt in einem Heim der Stadt in der Heßheimer Straße untergebracht: Familie D. aus Albanien und Familie Basharat aus Pakistan – zwei Beispiele aus der Schar derer, die in jüngster Zeit nach Frankenthal gekommen sind.

Nein, in der Zeitung keine Namen. Maria, die 17-jährige Tochter der albanischen Familie D., bittet darum, das zu beachten. Maria heißt in Wirklichkeit anders, und auch ihr richtiger Familienname würde anders abgekürzt. Stünden die richtigen Namen in der Zeitung, dann müssten die Familie oder Angehörige in Albanien womöglich um ihre Sicherheit fürchten, sagt Maria, die etwas Deutsch und gut Englisch spricht. Marias Mutter Nadja (41) sitzt dabei und nickt. Links und rechts von ihr sitzen die beiden Söhne, 15 und neun Jahre alt, und mustern aufmerksam den Journalisten. Der Vater kann an diesem Vormittag nicht am Gespräch teilnehmen; der 41-Jährige ist zum gemeinnützigen Arbeitseinsatz auf dem Frankenthaler Hauptfriedhof eingeteilt. Familie D. stammt aus Kukës, einer 16.000-Einwohner-Stadt im Norden Albaniens. Das Leben war nicht einfach dort, aber man sei zurechtgekommen, erzählt Maria. Der Vater habe als Handwerker gearbeitet, die Mutter als Putzfrau, Köchin, Betreuerin älterer Leute. „Wir wohnten beim Großvater.“ Ihre Familie – an der Spitze der Großvater – habe sich politisch in einer demokratischen Partei engagiert, erzählt Maria. Und sie sei dabei, ohne es zu wollen, in brutale Auseinandersetzungen hineingezogen worden – bis hin zu Bombendrohungen und versuchten Anschlägen gegen sie. „Die ganze Presse bei uns hat darüber berichtet.“ Nach einem Machtwechsel an der Spitze der Stadtverwaltung sei die Lage unerträglich geworden. Letztlich habe der Großvater seinen Angehörigen dringend geraten, das Land zu verlassen. Mitte April dieses Jahres traf Familie D. in Deutschland ein, kam über Trier und Ingelheim nach Frankenthal. Warum Deutschland? „Alle wissen, dass das ein sicheres Land ist“, sagt Maria D. Hier würden Menschen geschützt, Gesetze geachtet. Mutter Nadja schaltet sich ein, will eines betonen: Man sei nicht gekommen, „um Sozialleistungen zu bekommen“. Sie und ihr Mann wollten arbeiten, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können – und den Kindern eine bessere Zukunft zu bieten. Über die Lebensumstände im provisorischen Quartier in der Heßheimer Straße will Familie D. nicht klagen. Dass man an Grenzen stößt, wenn man zu fünft in einem kleinen Zimmer leben soll, ist deutlich erkennbar. 4,40 Meter mal 3,20 Meter misst die Stube im ersten Obergeschoss. Viel mehr als ein Schrank, ein Regal, extrem schmale Doppelstock-Betten und Stühle passt nicht in die 14-Quadratmeter-Zelle. „Wenn wir uns umziehen wollen, gehen wir in die Gemeinschafts-Duschräume“, berichtet Maria. Gekocht wird in der Gemeinschaftsküche. Im Erdgeschoss gibt es einen Gemeinschaftsraum mit einigen Tischen und Stühlen. Wenn sich junge Kinder dort tummeln, wird es laut. Wie man „da Schularbeiten machen“ soll – das ist eine Frage, die sich die 17-Jährige mit Blick auf die nächste Zeit stellt. In Albanien hat Maria eine höhere Schule besucht. Politik zu studieren, „um dann etwas für mein Land zu tun“ – das war ihr Traum. Angemeldet ist sie nun in der Andreas-Albert-Schule, und die erste Berufsperspektive ist eine andere: In Richtung Kindergärtnerin könnte es gehen, erzählt sie. Immerhin: Anschluss gefunden haben die Kinder in Frankenthal schon, freut sich Mutter Nadja. Ihr neunjähriger Sohn besuche die Erkenbert-Grundschule und habe sich dort mit Italienern angefreundet. Viele Albaner können zumindest ein paar Brocken Italienisch; als Sprachschule dienen die beliebten TV-Programme des Nachbarlands. Der 15-jährige Sohn besucht die Friedrich-Ebert-Realschule plus. Über den Fußballsport hat auch er schon Freunde gefunden. Wenn’s bei der Verständigung noch hakt, hilft via Smartphone der Google-Übersetzer. Drei dunkle Augenpaare: Sie lassen den Fremden nicht aus dem Blick. Fatima, Fiza und Rubab sind zwei, drei und vier Jahre alt. Die drei Mädchen haben pakistanische Eltern, und die wirken erleichtert, dass ihre Kinder beim Treff mit dem RHEINPFALZ-Berichterstatter so ruhig bleiben. „Wenn die früher einen fremden Mann gesehen haben, haben sie sofort angefangen zu weinen“, erzählt Vater Ali Basharat (42). „Sie hatten einfach Angst.“ Mutter Saira (31) bestätigt: Die größere Ruhe der Kinder nach wenigen Monaten in Deutschland zu sehen – das sei ein gewaltiger Fortschritt. Die Basharats sind im April aus Libyen geflüchtet – einem Staat, der von Kämpfen rivalisierender Kräfte erschüttert wird, und wo sich unter anderem starke Einheiten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) breit gemacht haben. Rund 20 Jahre habe er als Gastarbeiter in Libyen verbracht, erzählt Ali Basharat, ein freundlicher Mann, der sich auf Englisch verständigt. „Housekeeping“ war dort seine Aufgabe. Er arbeitete bei wohlhabenderen Familien als Dienstleister; das entwickelte sich zunächst gut. Er gründete selbst eine Familie und erlebte dann mit Entsetzen den Zerfall der staatlichen Autorität. Zuletzt habe man sich nicht einmal mehr auf die Straße wagen können, berichtet er; Gewalt habe an jeder Ecke gedroht. Familie Basharat entschloss sich zu fliehen: übers Mittelmeer, Richtung Italien. Nahezu seine gesamten Ersparnisse, 7000 Dollar, habe er den Schleppern bezahlt, sagt Basharat. „500 Leute waren auf unserem Boot.“ Da kann man nachrechnen, welche Profite mit diesem Geschäft erwirtschaftet werden. Nur um Haaresbreite habe man es geschafft, erzählen die Basharats. Ein Schiff der italienischen Marine habe sie aufgenommen – zu einem Zeitpunkt, als das Transportboot schon beschädigt gewesen sei. „In Catania sind wir an Land gegangen“, sagt der Vater. Dann eine Busfahrt in ein Camp, später weiter per Zug nach Norden. Unvergesslich der Empfang in München: „Polizeibeamte haben unseren Mädchen Fruchtsaft und Schokolade gegeben – und dann unsere Daten aufgenommen.“ Dass sich Polizei auch so verhalten kann, das war für die Basharats eine neue Erfahrung. „Very nice people“ (sehr freundliche Leute), sagt der Vater. Auch die Basharats sind über Trier und Ingelheim nach Frankenthal gekommen. Hier sind sie froh, in Sicherheit zu sein. Doch auch sie erleben die räumliche Enge als bedrückend. Saira Basharat ist schwanger, hat einige gesundheitliche Probleme. „Der Arzt hat ihr dringend geraten, sich um eine eigene Wohnung zu bemühen“, sagt ihr Mann. Doch da gibt es Hürden. „Das Jobcenter hat mir gesagt, ich dürfte arbeiten“, berichtet Basharat. Doch die mageren Deutschkenntnisse reichen nicht. Nur sechs Wochen Kurs in Ludwigshafen habe er bis jetzt machen können. Und Mittel für neue Kurse gebe es erst nächstes Jahr wieder, habe man ihm gesagt. Immerhin: Mutter Basharat freut sich, dass zwei ihrer Töchter nun den Kindergarten besuchen können und sie damit etwas Entlastung bekommt. Dass sich eine deutsche Patenfamilie um die Pakistani bemüht und ihnen im Alltag beisteht, finden die Eltern schön. „Das hilft uns sehr.“

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