Rheinland-Pfalz Spaß am heiligen Theater

Der Stein, auf dem die RHEINPFALZ-Sanduhr steht, erinnert an den „Hundsfritz“, der im 20. Jahrhundert im Schauerbachtal lebte. V
Der Stein, auf dem die RHEINPFALZ-Sanduhr steht, erinnert an den »Hundsfritz«, der im 20. Jahrhundert im Schauerbachtal lebte. Volker Sehy (links) erzählt Redakteur Andreas Ganter, dass für ihn als Kind an dieser Stelle die ihm bekannte Welt endete.

„Eine Stunde mit ...“ heißt die RHEINPFALZ-Gesprächsreihe, bei der sich der Gast den Ort des Treffens aussuchen darf. Volker Sehy, Wallfahrtsdirektor von Maria Rosenberg im Kreis Südwestpfalz, hat dafür einen Ort ausgesucht in der Nähe seines Elternhauses. Wo früher der „Hundsfritz“ hauste, unterhielt sich RHEINPFALZ-Redakteur Andreas Ganter mit dem katholischen Geistlichen. Stummer Zeuge des Gesprächs war die RHEINPFALZ-Sanduhr – sie läuft genau eine Stunde.

„Sind Wallfahrten noch modern oder nur was für alte Leute?“ Mit dieser Frage versuche ich Volker Sehy ein bisschen aus der Reserve zu locken. Wir kennen uns schon länger, der Pfarrer weiß, wie Medien funktionieren und ist über die leicht provokante Frage nicht verärgert. Völlig gelassen erklärt er, dass zwar „Kaffeefahrten mit religiösem Begleitprogramm“ an Bedeutung verlieren, aber gerade Pilgerwandern sei angesagt. Er selbst ist unlängst mit einer Gruppe von Blieskastel nach Maria Rosenberg gelaufen (die RHEINPFALZ am SONNTAG berichtete). Für unser Treffen hat sich Sehy einen Flecken Natur ausgesucht, an dem einst der „Hundsfritz“ gelebt hat: Der graubärtige, hochgewachsenen Einsiedler hieß mit bürgerlichem Namen Friedrich Weiß. Im „Heimatkalender für das Pirmasenser und Zweibrücker Land“ von 1974 heißt es, dass er von Geschenken gelebt und sich nicht zuletzt von Hunden ernährt haben soll. In einer ärmlichen Hütte in einem abgelegenen Tal lebte der gebürtige Saalstadter 45 Jahre lang. Zuvor hatte er bei der Arbeit in der Brebacher Hütte einen Unfall erlitten, wurde von flüssigem Eisen verbrannt. Der Einsiedler starb 1956 bei Annweiler. Seit 2008 erinnert ein Gedenkstein an den Ort, wo der „Hundsfritz“ im Schauerbachtal einst wohnte. Um dorthin zu gelangen, haben wir uns am Bauernhof von Sehys Eltern in Harsberg auf der Sickinger Höhe getroffen. Dann geht’s gemeinsam weiter. Schon der Weg ist ein Erlebnis. Wir laufen durch ein beschauliches Tal, vorbei an großen alten Bäumen, einem idyllisch plätschernden Bach und durch nasse Wiesen. Der 49-jährige Pfarrer nimmt mich mit auf eine Reise in seine Kindheit. Mit jedem Schritt tauchen wir tiefer in eine längst vergangene Zeit ein. Es scheint, als kenne der Theologe zu jedem Baum und jedem Strauch eine Geschichte. Da ist etwa die Fichtenmonokultur, die erst aufgeforstet wurde, als er noch ein Kind war. Mittlerweile sind die Bäume riesig. Oder der Schauerbach. Er wurde teils kanalisiert. Sehy haben schon als Kind die Abschnitte besser gefallen, in denen das Wasser seinem natürlichen Lauf folgen und er baden konnte. Für den kleinen Volker endete an der Stelle, wo heute der Gedenkstein an den „Hundsfritz“ erinnert, die Welt seiner Kindheit. Weiter entfernte er sich damals nicht vom Elternhaus, erzählt er. Sehy und seine Freunde spielten in den Ruinen des Verschlags, in denen der „Hundsfritz“ lebte. Mittlerweile ist davon nichts mehr zu erkennen. Die Überreste der Behausung sind mit Dornen und Gestrüpp zugewachsen. Während unseres Gesprächs zwitschern Vögel, andere Personen begegnen uns nicht. Im Hintergrund surren die Windräder, die mittlerweile das Gesicht der Sickinger Höhe prägen. Sehy erzählt von einer Kindheit mit vielen Freiheiten und der damaligen Solidarität im Dorf. Er sei zwar auf einem Bauernhof aufgewachsen, wollte aber nie Landwirt werden. Der Pfarrer erinnert sich, dass er als Kind eine eigene Zeitung gestaltet hatte. Rund 40 Jahre ist das her. „Meine Idylle war bedroht, nicht akut, aber latent“, sagt er. Es war die Zeit der RAF, der Schleyer-Entführung. Mit den Zeitungen habe er offenbar versucht, die Nachrichten, die er im Fernsehen gesehen hatte, zu verarbeiten. Für die Zeitungen hat er selbst Karikaturen gemalt und Texte verfasst. In den Artikeln ging es meist um Entführungen – die allerdings gut ausgingen. Journalist ist Sehy dann aber doch nicht geworden. Nach der Grundschule ging es für ihn nach Speyer ins bischöfliche Konvikt. Er wollte Pfarrer werden. In seiner Jugend war der Wunsch dann zeitweise nicht mehr ganz so ausgeprägt. Sehy besuchte ein Gymnasium in Kaiserslautern. An seine Zeit in Speyer erinnert er sich noch gut. Dort habe er erst mal Hochdeutsch lernen müssen. Vorher war das für ihn „die Sprache der feinen Leute“. Den Rosenberg hat Sehy schon als Kind mit seiner Mutter und Großmutter besucht. Heute kommen Suchende zu ihm auf den heiligen Berg der Südwestpfalz. Sehy sagt: „Ich bin kein Guru, der alle Antworten weiß“, aber er wolle einen „Raum bieten, um Fragen zu stellen“. Der Rosenberg sei für viele ein Ort der Entschleunigung. Ob er selbst dort auch entschleunigen kann, will ich von ihm wissen. Es falle ihm schwer, aber es funktioniere vor allem in der Kapelle aus dem 12. Jahrhundert gut. Dort vergesse er bisweilen die Zeit. Wenn er könnte, wie er wollte und Geld keine Rolle spielen würde, was würde der Wallfahrtdirektor dann am Rosenberg machen, will ich von ihm wissen. Sehy überlegt nicht lange. Er hätte gerne kleine Hütten für Familien und Jugendgruppen. Die könnten sich dort selbst versorgen. Um das „geistliche Begleitprogramm“ würden sich die Seelsorger vom Rosenberg kümmern. Das sei allerdings „utopisch“, meint der Pfarrer. Es gibt zwar Pläne, den Rosenberg zu sanieren und umzubauen, aber noch sei unklar, wo die Reise hingeht, meint Sehy. Konkreter wird er nicht. Er sagt nur: „Es geht auf eine Entscheidung zu.“ Es gebe aber immerhin die Zusage, dass der Rosenberg als besonderer Ort erhalten bleibe. Sehy trägt nicht nur den Titel des Wallfahrtsdirektors. Seit 14 Jahren bringt er auch angehenden Priestern und Pastoralreferenten bei, wie sie predigen sollen. Sehy gilt als einer der besten Prediger im Bistum Speyer. Den Auftritt vor Publikum hat er schon als Schüler in der Theater-AG geübt. „Jeder Priester muss eine kleine Rampensau sein und Spaß am heiligen Theater haben“, sagt Sehy. Es ist eine für ihn typische Aussage. Der Pfarrer meint das keineswegs abwertend oder despektierlich. Aber Sehy findet meist starke Worte, um Dinge eindringlich darzustellen. Mit dem „Rampensau“-Satz will er ausdrücken, dass ein Priester eben keine Angst vor Leute haben dürfe. Aber Sehy betont auch, dass das Priestertum keine Rolle sein dürfe. Es komme darauf an, als Pfarrer und Mensch authentisch zu sein. Mit Leidenschaft fordert er mehr Qualität in Liturgie, in Predigten und in der Seelsorge allgemein. Und: Er hat Verständnis dafür, wenn Katholiken lieber in den Nachbarort zur Kirche gehen, weil dort eine bessere Predigt als in der Heimatgemeinde geboten wird. „Ich würde es wahrscheinlich genauso machen.“ Die letzten Sandkörner rieseln durch die Uhr. Die letzte Frage bei „Eine Stunde mit ...“ gehört dem Gast. Sehy fordert mich auf, folgenden Satz zu ergänzen: „Manche wären erstaunt, wenn sie wüssten, dass ich ...“ Ich muss kurz überlegen. Dann fällt mir ein, dass wir als Kinder immer mit Oblaten Priester gespielt haben. Aber Pfarrer wurde ich trotzdem keiner, sondern Journalist. Irgendwie genau umgekehrt wie bei Sehy, der als Kind Zeitungen bastelte und mittlerweile glücklicher Priester ist.

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