Kunst Mythischer Tatort: Zur Aktion „Offene Ateliers“ in der Pfalz
Vom Atelier des Ludwigshafener Künstlerpaar Mwangi Hutter in einem alten Bürogebäude am Rheinufer schaut man von ganz oben auf die Industrielandschaft der Stadt. Der Imaginationsraum der beiden bei internationalen Biennalen vertretenen Pfälzer Kunststars hat beste Aussichten. Am ersten der beiden Wochenenden der „Offenen Ateliers“ kann man sich selbst ein Bild machen. Vom Blick, den Mwangi und Hutter haben - und von der Mitte ihrer Welt, in der ihre Kunst entsteht.
Seit vielen Jahre gibt es den Vermarktungsrahmen, in dem Kunstschaffende ihre Herzkammer herzeigen. Im Jahr zwei nach Corona hat die vom Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler veranstaltete Aktion wieder Fahrt. Kaum sonst lässt sich dem Wie und dem Wo Kunst entsteht, unkomplizierter näherkommen. Welcher Ort noch ist so erzählerisch. Hängt doch der Mythos des Künstlers davon ab, wie er wahrgenommen wird.
Nicht ohne Grund porträtierte sich schon das marketingtechnisch versierte Renaissance-Genie Albrecht Dürer einst melancholisch verschattet in dem legendenumwobenen Arbeitszusammenhang, der damals noch Werkstatt hieß. Kunst galt als Handwerk. Der Begriff „Atelier“ ist eine Erfindung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein Urbild in dem Kontext ist Gustav Courbets Monumentalgemälde „Das Atelier des Malers“.
Das Vorwort zum öffentlichen Buch
Datiert auf das Jahr 1855 zeigt es die gute Pariser Gesellschaft. Eine Muse ist anwesend. Der Maler sitzt an seiner Staffelei. Arbeit an der eigenen Legende. Courbet lässt das Atelier als Allerheiligstes aufscheinen. Derweil stellt Eugène Delacroix fünf Jahr zuvor Michelangelo in seinem Bildhaueratelier etwas abgerückt dar. Im Hintergrund die „Madonna mit Kind“, der Meißel liegt auf dem Boden, der Künstler sitzt auf einer Holzbank, schweifenden Blicks. Er wirkt, als sei seine Kunst eine bloße Gedankenanstrengung. Ateliers lassen sich wie Texte lesen. „Der Atelierbesucher ist das Vorwort zum öffentlichen Buch“, schreibt der irische Künstler und Autor Brian O’Doherty. Das Atelier kann wie ein Charakterabbild sein.
Bei Beuys weste eine Ratte im Karton vor sich hin
Bei Kunstschamane Joseph Beuys zu Hause im Kurhaus Kleve zum Beispiel wucherte Chaos. Aufgetürmt tausend Sachen, Äxte, Tierschädel, Faustkeile, irischer Kleeblattsamen, ein Fläschchen Hasenblut. Eine Ratte weste in einem Karton vor sich hin. Auch Francis Bacon (1909 bis 1992), Großmeister eines verstörenden Realismus, tendierte an seiner Arbeitsstätte zum unübersichtlichen Messietum und ging dann abends im geschniegelten Dandy-Dress gepflegt einen trinken.
Alberto Giacometti (1901 bis 1966) wohnhauste in einem Miniatelier in Paris, das übersät war von eingeritzten Skizzen. Und von Jonathan Meese, Jahrgang 1970, der mit willenloser Verve sein kindsköpfiges Klischee bedient, existiert ein Video, auf dem er im Atelier Farbe an die Wand klatscht und selig: „Ich bin der Märchenprinz“ singt.
Berüchtigt auch, Paul McCarthy, ein US-Amerikaner aus Utah, 1945 geboren, der – als Werk – in seinem Atelier mit Ketchup und Mayonnaise rumsaut, um, wie es heißt, heldisch verehrte Künstlerikonen wie den Abstrakten Expressionisten Jackson Pollock zu parodieren. Spätestens seit Marcel Duchamp (1887 bis 1968) ein umgedrehtes, signiertes Urinal im Museum unterbrachte, definiert der Umraum, ob etwas Kunst oder Sanitärwesen ist. Manches Atelier wirkt wie ein Manifest. „Ateliermaschine“ nennt so die Berliner Spraykünstlerin Katharina Grosse ihr Haus, in dem sie auch wohnt.
Künstlerinnen und Künstler arbeiten überall, auf den Straßen, in der Wüste wie der US-Amerikaner Michael Heizer, an den Ufern des Meeres wie Mario Reis, im dichten Forst wie die in Herxheim aufgewachsene Berlinerin Anne Duk Hee Jordan, die inzwischen in Miami und überall ausstellt und zu deren Wohn- und Arbeitsumfeld in der Hauptstadt ein wild sprießender Garten mit Komposthaufen gehört. Trotz allem hat das Atelier seinen Nimbus nicht verloren, wie jeder spürt, der das Glück hat, das Alchimistenlabor des Ludwigshafener Fotokünstlers Günther Wilhelm zu besuchen.
Derweil gleichen die Ateliers von Großstars wie Damien Hirst, Takashi Murakami oder Jeff Koons zeitgenössischen Varianten von Andy Warhols New Yorker Factory, mit wuselnden Assistenten und gemeinsamem Lunch täglich.
Vielleicht Riesling statt orangefarbene Menüs
Der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson, die schon angeführte Anne Duk Hee Jordan hat bei ihm studiert, brachte bei Phaidon das Kochbuch „Studio Olafur Eliasson: The Kitchen“, heraus. Essen, heißt es darin, sei für ihn ein sozialer Klebstoff, zu kochen Inspiration. In seinen Ateliers in Berlin und Kopenhagen bekommen alle das Gleiche, bis aufs Gramm abgewogen. Dabei kann es sein, dass an einem Tag nur blaue oder orangefarbene Sachen gegessen werden. Die leitende Frage ist dabei, was das monochrome Speisen mit einem macht. In der Pfalz an den kommenden Wochenenden indes sind eher Brezel und – vielleicht auch stilprägend, wer weiß? – Riesling zu erwarten. Aber auch hier werden – auf den Status legt der BBK penibel wert – professionelle Künstlerinnen und Künstler wie Anne-Marie Sprenger aus Lustadt, die in ihrem Atelier während der Aktionstage Konzerte veranstaltet, der Speyerer Jochen Frisch oder die Künstlerwerkgemeinschaft in Kaiserslautern ihre Arbeits- als Schauräume und Selbstbespiegelungsbühnen illuminieren. Gute Aussichten sind das – garantiert.
Informationen
www.offene-ateliers-bbkrlp.de