Rheinpfalz „Warten gespannt auf Wirtschaftspolitik“

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Am morgigen Mittwoch gibt Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ihre erste Regierungserklärung nach der Wahl ab. Der rheinland-pfälzische Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dietmar Muscheid, sieht im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen viele Forderungen der Arbeitnehmer erfüllt, kritisiert aber die Sparpolitik des Landes.

Herr Muscheid, die Regierung will wegen der Schuldenbremse 2000 Verwaltungsstellen abbauen. Wie schmeckt das dem Gewerkschaftschef?

Das schmeckt dem Gewerkschaftschef aus zwei Gründen nicht. Zum einen passt es nicht, mit weniger Menschen die gleichen Aufgaben zu erfüllen. Viel dramatischer ist zum anderen, dass sich in dieser Entscheidung zeigt, wie handlungsunfähig das Land ist. Man muss Personal einsparen, um überhaupt investieren zu können. Nach der Vereidigung des Kabinetts klangen Sie aber euphorisch. Sie freuten sich, dass im Koalitionsvertrag viele gewerkschaftliche Forderungen erfüllt seien. Wo denn? Zum Beispiel im Komplex Arbeit, dort finden wir uns an sehr vielen Stellen wieder. Das fängt an bei dem Bekenntnis zu Tarifbindung und Mitbestimmung bis hin zur Entscheidung der Koalitionäre, gegen prekäre Beschäftigung vorzugehen. Auch die erhöhten Investitionen im Infrastrukturbereich sind eine alte Forderung von uns. Der konsensuale Stil wird fortgeschrieben. Das heißt, Landesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber bringen sich gemeinsam ein, um Zukunftsaufgaben des Landes anzupacken. Aber wenn das Land handlungsunfähig ist, hilft das ja nicht viel, oder? In diesem Punkt haben wir unsere Kritik ja sehr deutlich formuliert. Aber es geht hierbei nicht nur um die Landesregierung, sondern auch um den Bund und ganz besonders die Kommunen, die überschuldet sind. Solange die politisch Verantwortlichen insgesamt noch den Eindruck erwecken, dass Sparen alleine reicht, solange haben wir ein grundsätzliches Problem, was die Handlungsfähigkeit von Ländern und Kommunen angeht. Muss die Schuldenbremse, die im Landesetat bis 2020 greifen soll, weg? Es geht mir nicht nur um die Schuldenbremse, es geht mir insbesondere darum, die Einnahmenseite wieder mehr in den Blick zu nehmen. Es gibt viele Beispiele, etwa die Abgeltungssteuer. Es ist nicht zur erklären, dass Kapitalerträge mit 25 Prozent versteuert werden, ein Facharbeiter aber unter Umständen schon mit 35 oder 37 Prozent Steuerlast belegt ist. Nach einer Studie aus Ihrem Haus ist es für junge Menschen schwierig, aus Hartz IV rauszukommen. Es gibt viele Instrumente der Arbeitsmarktförderung. Erreichen die die gewünschten Ziele oder muss man nachsteuern? Die Maßnahmen vom Land, der Bundesagentur und den Jobcentern müssen besser verzahnt werden. Eine unserer Forderungen hierbei ist die Einrichtung von Jugendberufsagenturen, die für die betroffenen jungen Menschen Hilfe aus einer Hand anbieten. So ließen sich die Kräfte bündeln und das Nebeneinander der vielen Akteure verhindern. Mit der FDP ist der geborene Klassenfeind der Arbeitnehmervertreter zurückgekehrt. Wird die Wirtschaftspolitik unter dem neuen Minister, FDP-Landeschef Volker Wissing, aus Ihrer Sicht besser oder schlechter als unter der Grünen Eveline Lemke? Wir warten gespannt darauf, wie sich die Wirtschaftspolitik entwickelt. Herr Wissing hat sicher einen Vertrauensvorschuss in der Wirtschaft. Was uns interessiert, ist, dass all das, was wir in den vergangenen Jahren gemeinschaftlich erreicht haben, Bestand haben wird. Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass Gewerkschaften auch in Zukunft als Bestandteil der Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen, und dass all das, was im Koalitionsvertrag steht, auch umgesetzt wird. Viele der „kleinen Leute“ haben sich bei der Wahl der AfD zugewandt. Ist das auch für die Gewerkschaften eine Herausforderung? Das ist auch für die Gewerkschaften eine Herausforderung, aber noch mehr für die Politik. Es ist bedenklich, wenn eine Politikverdrossenheit die Menschen in die Arme von Parteien treibt, die vermeintlich einfache Lösungen anbieten, in Wirklichkeit aber gar keine oder lediglich populistische Antworten haben. Um dem entgegenzutreten, müssen wir in der Politik weg von faulen Kompromissen. Politik muss eindeutiger Position beziehen und den Menschen, die Hilfe brauchen, auch wirklich zur Seite stehen. Ein aktuelles Beispiel ist die Leih- und Zeitarbeit. Was die Koalition in Berlin verabredet hat, ist zwar ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, vielen Menschen hilft es aber nicht. Aber auch wir Gewerkschaften müssen klarer formulieren, welche Erwartungen wir an die Politik haben. Ganz persönlich: Hätten Sie nicht selbst Lust gehabt, Arbeitsminister zu werden, SPD-Mitglied sind Sie ja? Ich habe einen Job, der macht mir sehr viel Freude. Von daher bin ich mit Überzeugung Vorsitzender des DGB und werde auch noch mal für die nächsten vier Jahre kandidieren. Zur Person Dietmar Muscheid (59) startete seine berufliche Laufbahn als Beamter im mittleren Dienst beim Finanzamt Neuwied. 1980 wechselte er zur Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, die später in der Gewerkschaft Verdi aufging. Seit 2001 ist er Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und seit Februar 2002 zudem Bezirkschef des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland. Muscheid ist verheiratet und lebt in Rheinhessen.

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