Interview Karikaturist Til Mette: „Ich zeichne nicht für Idioten“

„Ich gehöre zu den alten Säcken“, sagt Til Mette über sich.
»Ich gehöre zu den alten Säcken«, sagt Til Mette über sich.

Til Mette erhält in einer Woche den Landauer Thomas-Nast-Preis für Karikatur. Birgit Möthrath sprach mit dem Zeichner über große Politik in Küchen und Wohnzimmern.

Herr Mette, was bedeutet Ihnen der Thomas-Nast-Preis?
Der ist eine große Ehre für mich. Ich habe 1992 bis 2006 in New York gelebt, daher kenne ich die amerikanische Zeichnerszene ganz gut. Der Thomas-Nast-Preis war in den frühen Jahren ein deutsch-amerikanischer Preis, und zu den Gewinnern gehören Leute wie Jeff Mac Nelly, Jim Bergmann, Paul Szep, David Levine und Patrick Oliphant. Da fühle ich mich sehr geehrt, in dieser Liga mitzuspielen. In den USA gibt es zwei fette Preise für Cartoonisten: den Pulitzer-Award und den Thomas-Nast-Award. Auch der deutsche Thomas-Nast-Preis ist in der Szene sehr geschätzt, auch wenn er in der deutschen Öffentlichkeit wenig bekannt ist. Dass seine Geburtsstadt Landau ihren größten Sohn lebendig hält, finde ich natürlich toll. Mich hat Thomas Nast auch als Figur interessiert.

Was ist denn der Unterschied zwischen amerikanischer und deutscher Karikatur?
Als ich anfing zu zeichnen in den 80er-Jahren, bestand ein großer Unterschied darin, dass die Amerikaner mehr Wert auf das Unterhaltungsmoment legten. Eine Zeichnung musste in jedem Fall komisch sein. Die deutschen Zeitungen waren da immer noch belehrend. Hier war der Karikaturist jemand, der es besser wusste als der Leser, er sollte ihn moralisch, politisch oder wirtschaftlich auf einen Missstand hinweisen. Die Amerikaner waren viel selbstironischer, ohne diesen Impetus eines Wissenden. Das hat mir schon immer sehr gut gefallen. Und ich habe das als mein Arbeitscredo bis heute übernommen.

Die Karikaturenszene hat sich aber auch in Deutschland inzwischen geändert, oder?
Ja, das hat sich in den letzten 25 Jahren angeglichen. Ein Unterschied besteht noch in der handwerklichen Qualität. In Europa gibt es eine Schule des Minimalismus, zu der auch ich mich teilweise zähle. Die Amerikaner sind opulenter und akademischer.

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Mir ist aufgefallen, dass Sie Ihre Gesichter kaum ausarbeiten. Ist das der Schnelle geschuldet oder tatsächlich Credo?
Ich kann das auch. Aber es hat für mich keinen Sinn, da ich ohnehin keine Politiker zeichne. Ich habe damit aufgehört, weil ich die große Politik in die Küchen und Wohnzimmer der normalen Menschen verlegt habe. Weil es mich mehr interessiert, wie der Bürger mit dem umgeht, was uns als Politik vorgesetzt wird. Ich sage mal ein Beispiel: Eine Zeichnung von Putin, der auf einer riesigen Röhre sitzt und den Gashahn zudreht, die halte ich für schwachsinnig. Es gibt aber viele Zeichner, die noch solche Karikaturen machen.

Warum ist das schwachsinnig?
Was erklärt diese Bildallegorie denn, welchen Erkenntnisgewinn habe ich von einer solchen Zeichnung? So was war sinnvoll zu Nasts Zeiten, als die Menschen Analphabeten waren, als sie nicht in der Lage waren, einen redaktionellen Text lesen zu können. Sein großer Erfolg vor 150 Jahren war, dass er viele Menschen erreicht hat, die keine Flugblätter oder Zeitungen lesen konnten, die mussten sich an den Bildern orientieren. Das ist bei mir nicht so. Ich richte mich explizit an ein bildungsbürgerliches Publikum. Ich zeichne auch nicht für Idioten, für Leute, die politische Sachverhalte nicht kennen. Die will ich gar nicht abholen.

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Allerdings verlieren die Zeitungen an Reichweite. Eröffnet das Internet neue Chancen?
Wir reden über einen Prozess, den es immer gegeben hat. Wenn ein neues Medium erfunden wurde, gab es immer den Hang, dorthin zu wechseln. Ich weiß nicht, welcher Generation Sie angehören, ich gehöre definitiv zu den alten Säcken. Unsere Generation ist mit Print groß geworden, ich hänge an Print und ich werde Gott sei Dank auch von Print bezahlt. Das sieht für jüngere Kollegen deutlich schlechter aus. Der Not geschuldet, haben sie sich dem Web geöffnet, aber im Internet gibt es keine etablierten Bezahlstrukturen. Es wird wahnsinnig viel Material umsonst bereitgestellt in der Hoffnung, dass irgendwer zugreift, kauft und in Print veröffentlicht.

Verlage sparen wie verrückt. Merken das auch die Karikaturisten?
Natürlich merken wir das. Da sind wir aber in keiner besonderen Situation. Das merkt auch jeder freie Journalist und jeder freie Fotograf. Die Karikaturisten arbeiten im Satireumfeld – das ist ein weiter Begriff. Da gibt es die Fernsehsatiriker, die Stand-up-Comedians, die komische Kunst und Karikaturisten und Cartoonisten. Und da hat es in den letzten Jahren eine interessante Verschiebung hin zum Fernsehen gegeben. Das kann man in den USA genauso sehen wie in Deutschland. Wenn man Freitagabend Fernsehen schaut, ist das Satireangebot unglaublich groß. Das hat es so nie gegeben. Es besteht also nach wie vor ein Bedürfnis nach satirischer Aufbereitung, aber nach einem Fernsehformat. Da spielen Karikaturisten leider keine große Rolle mehr. Thomas Nast war vielleicht so extrem erfolgreich, weil er keine Konkurrenz aus dem Web oder von weiß der Geier woher hatte.

Da haben Sie mit dem Exklusivvertrag beim „Stern“ eine solide Geldquelle. Ist das auch politisches Statement – Sie haben ja auch die „taz“ Bremen mit begründet?
Für mich ja. Ich mochte den „Stern“ immer als linksliberales Blatt. Da würde ich mich politisch verorten, das ist meine mediale Heimat. Außerdem habe ich da größtmögliche Freiheit: Die lassen mich meine Seite machen, wie ich will. Es gibt ja Kollegen, die sich damit entschuldigen, dass der Chef oder die Redaktion etwas so wollte. Das ist bei mir nicht so. Wenn’s schlecht ist, dann hab ich was schlechtes abgeliefert.

In gesellschaftlichen Debatten geht es immer ruppiger zu. Was macht das mit einem Karikaturisten? Wird er zahmer?
Ich kann das generell nicht sagen. Aber es gibt Momente, in denen man an sich selbst erkennt, dass man zurückhaltender wird. Für mich war es all die Jahre ein großartiger Moment, wenn man provozieren konnte. Seit Trump gibt es keinen, der noch mehr provozieren kann. Er ist der Großmeister. Das hat natürlich auch die Attraktivität der Provokation nicht vergrößert, wenn die Politik selbst in der völligen Übertreibung lebt. Ich bin darüber zurückhaltender geworden, damit der Laden nicht auseinanderfliegt, damit die Leute sich nicht an die Gurgel gehen.

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Empfinden Sie die immer mächtiger werdenden Wächter der Political Correctness und Wokeness als Feinde des Humors?
Für mich ist das ein Fundus für Cartoons. Das erinnert mich an die Französische Revolution, als die Jakobiner die Leute aufs Schafott geschickt haben. Das hat letztlich zu einer bürgerlichen Revolution geführt, die den Adel entmachtet hat. Aber das ging mit maßlosen Ungerechtigkeiten einher. In Frankreich kann man immer noch die irrwitzigen Zerstörungen an gotischen Kathedralen sehen. Die Sprach- und Genderkritik, die ich grundsätzlich für absolut berechtigt halte, ist teilweise maßlos überzogen. Und damit öffnen sich Tür und Tor für Spott und Hohn. Ich mache mich jedenfalls gerne lustig über diese durchgeknallten Woken, die das Kind mit dem Bade ausschütten.

Dann denken Sie nicht beim Zeichnen, dass Sie Menschen oder Gruppen kränken oder beleidigen könnten?
Nee. Ich denke zuerst daran, dass die Pointe witzig sein muss. Darum geht es. Ich bin auch im Privatleben keiner, der Leute kränkt. Aber ich sage Leuten meine Meinung. Auch meinen Kindern muss ich manchmal sagen, was ich Scheiße und was ich gut finde. Bei der AfD ist Spott ein bisschen billig: Was soll ich über Nazis sagen? Ich glaube, von mir erwartet keiner, dass ich Sympathien für diese Arschlöcher hege.

Wer ist humorloser: Linke oder Rechte?
Weil wir eine Radikalisierung im rechten Lager haben, würde ich Rechte nicht pauschal Rechte nennen, sondern in Konservative und Rechtsradikale unterteilen. Nazis haben keinen Humor. Das sind menschenverachtende Arschlöcher. Linke haben die Tendenz, Dinge zensieren zu wollen, weil sie für eine bessere Welt kämpfen. Daher gibt es die idiotischsten Beispiele von linker Zensur. Konservative haben oft einen größeren Langmut, sind liberaler, entspannter, was Humor angeht. Das klingt widersprüchlich, ist aber meine Erfahrung.

Sind Sie schon einmal konkret bedroht worden? Wenn ja: Wegen welcher Karikatur?
Es ist die Frage, ob man das ernst nimmt oder nicht: Man kriegt manchmal böse Mails oder Internet-Posts. Ich habe sie nie als Bedrohung empfunden, zumal diese Leute nicht mal richtig schreiben können. Ich habe mich explizit dafür eingesetzt, Mohammed-Karikaturen zu zeichnen, denn ich glaube, das ist unser Recht als Karikaturisten. Das ist geschützt von der Pressefreiheit. Wir leben in einem freien Land. Die Frage ist eine andere: Bevor die Debatte hochkochte, war das nie ein Thema für mich, weil weder die Masse der „Stern“-Leser muslimisch ist noch das in meinem privaten Umfeld ein großes Thema ist. Es spielt in meinem Lebensalltag keine Rolle. Durch die Politisierung ist es aber für alle ein Thema geworden. Ich glaube, viele Karikaturisten haben dann erst angefangen, Mohammed zu zeichnen. Das halte ich auch für richtig. Es gibt natürlich Kritik von orthodoxen Muslimen. Aber die müssen akzeptieren, dass wir in einem freiheitlichen Land leben – das ist deren Problem, nicht meins.

Was sind aktuell Ihre brisantesten Themen?
Der Ukraine-Krieg, Putin, die Energiekrise und natürlich die Klimakrise, die ist wahrscheinlich noch das viel größere Thema. Das alles müssen wir rauf und runter zeichnen: wie das unser Leben verändert, unsere Gesellschaft, unseren Blick auf Politik. Mich interessiert vor allem, was das mit der Zukunftsvision von Jugendlichen macht. Meine Kiddies sind jetzt 19 und 21. Als ich in dem Alter war, da gehörte mir die Welt. Da war ganz klar: Ich wollte raus, nach Südamerika, wollte mir alles angucken. Und das ist für die heutigen Teenies viel komplizierter geworden. Ich bin immer dankbar, wenn ich bei denen noch Optimismus sehe.

Zur Person

Gotthard-Tilmann Mette, geboren 1956 in Bielefeld, hat schon als Schüler Karikaturen gezeichnet. Während seines Lehramtsstudiums für Kunst und Geschichte in Bremen von 1980 bis 1986 erscheinen seine Zeichnungen in der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Frankfurter Rundschau“. 1985 gehört er zu den Mitbegründern der „taz“ Bremen. 1991 erscheint sein erstes Cartoon-Buch. 1992 geht er mit seiner Frau, einer promovierten Mathematikerin, in die USA , wo sie zunächst in New York, später in New Jersey leben. Mette veröffentlicht im englischen „Punch“ und in der amerikanischen „Funny Times“. Seit 1996 zeichnet er exklusiv für den „Stern“. Seit Mitte des Jahres 2006 lebt die Familie in Hamburg.

Termin

Til Mette erhält am Freitag, 9. Dezember, 19 Uhr, in der Landauer Festhalle den Thomas-Nast-Preis der Stadt Landau und des Thomas-Nast-Vereins. Der mit 5000 Euro dotierte Preis wird seit 1978 an herausragende Karikaturistinnen und Karikaturisten verliehen, die in der Tradition Thomas Nasts politische und soziale Ereignisse kommentieren. Der Namensgeber des Preises ist der vor rund 180 Jahren in Landau geboren und noch als Kind mit den Eltern in die USA ausgewandert.

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