Rheinland-Pfalz „Wir müssen rausgehen“

Barbara Schleicher-Rothmund (rechts) twittert wenig, ganz anders als der amerikanische Präsident Donald Trump. Seit er an der Ma
Barbara Schleicher-Rothmund (rechts) twittert wenig, ganz anders als der amerikanische Präsident Donald Trump. Seit er an der Macht ist, steht die Weltpolitik noch ein bisschen mehr auf dem Kopf – im Gespräch mit RHEINPFALZ-Korrespondentin Karin Dauscher ist es zum Glück nur die Sanduhr.

„Eine Stunde mit ...“ heißt die RHEINPFALZ-Gesprächsreihe, bei der sich der Gast den Ort des Treffens aussuchen darf. An den Rhein zog es Barbara Schleicher-Rothmund (58). Die SPD-Politikerin aus Rheinzabern ist Vizepräsidentin des Landtags. Am Mainzer Stresemann-Ufer unterhielt sich RHEINPFALZ-Redakteurin Karin Dauscher mit Schleicher-Rothmund. Stummer Zeuge des Gesprächs war wieder die RHEINPFALZ-Sanduhr – sie läuft genau eine Stunde.

Schon während ich den gläsernen Zeitmesser aus der Verpackung hole, sind wir mitten im Gespräch. Das dauert bei Frauen ohnehin nicht lange und bei zwei Personen, die zur gleichen Zeit, nämlich vor 16 Jahren, beruflich mit der Landespolitik in Kontakt kamen, schon gar nicht. Barbara Schleicher-Rothmund wurde bei der Landtagswahl 2001 zum ersten Mal ins Parlament gewählt, ich wechselte damals von der RHEINPFALZ-Zentrale in Ludwigshafen als Korrespondentin nach Mainz. Wir haben uns in den vergangenen Jahren manchmal zum Essen getroffen – in der „Martinsstube“, in der immer auch andere Politiker und Journalisten sitzen. Ungezählte Stunden habe ich die Pfälzer Politikerin und weitere Abgeordnete von SPD, CDU und FDP im Jahr 2010 im „Untersuchungsausschuss Nürburgring“ kritisch beobachtet. Sie war damals Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion. Und im vergangenen Jahr, als Barbara Schleicher-Rothmund mit den beiden Fraktionskollegen Hendrik Hering und Jochen Hartloff um das Landtagspräsidenten-Amt konkurrierte, telefonierten wir das eine oder andere Mal. Hering ist es letztlich geworden, Schleicher-Rothmund blieb Vizepräsidentin mit der Perspektive, im nächsten Frühjahr Bürgerbeauftragte zu werden. Es waren angespannte Zeiten. Heute ist nichts davon zu spüren. „Der Rhein hat etwas Gelassenes, Beruhigendes“, sagt die gebürtige Bonn-Bad Godesbergerin. Tatsächlich. Einzig die Sanduhr bereitet mir ein Problem, denn sie steht auf dem Kopf. Sollen wir sie für das Foto umdrehen? Die schwierige Entscheidungsfrage beantworten wir gemeinsam: Nein, denn das wäre Manipulation an der Zeit. „Fake“, wie es so schön heißt. Und schon sind wir bei Donald Trump: Wie hält es die Politikerin mit dem Kurznachrichtendienst Twitter, über den der amerikanische Präsident zu regieren scheint und der auch in der Landespolitik groß in Mode ist? „Ich nutze Twitter, aber wenig. Es wird inflationär verwendet für Mitteilungen, deren Wert überschaubar ist.“ Wegen der Begrenzung auf 140 Zeichen würden oft Personalpronomen oder Artikel weggelassen. „Das führt zu einer Uniformierung der Sprache“, fürchtet sie. Mit Sprachen und ihren Besonderheiten kennt sich Barbara Schleicher-Rothmund aus: Sie ist Diplom-Übersetzerin für Spanisch und Arabisch, hat während der Ausbildung ein Semester in Kairo studiert. Das Arabische sei eine sehr logische Sprache. Dass sie sich sehr analytisch und strukturiert in Themen einarbeiten könne, führt sie unter anderem auf das Studium der Sprache zurück. Doch wegen der fehlenden Übung könne sie heute kaum mehr einen Zeitungstext lesen. In der Schriftsprache werden nur die Konsonanten notiert. Ob „lbn“ nun „leben“, „lieben“ oder „loben“ heiße, ergebe sich nur aus dem Kontext. Immerhin konnte sie als Vizepräsidentin des Landtags einmal eine Gruppe Flüchtlinge auf Arabisch begrüßen. In der Regel sprechen die Gäste des Landtages aber deutsch. Vereine, Schulklassen, Ortsverbände. Wenn sie trotzdem manchmal nicht verstehen, was im Plenum geschieht, dann hat das wenig mit Sprachkompetenz zu tun. Schleicher-Rothmund, die abwechselnd mit Hendrik Hering und Vizepräsident Hans-Josef Bracht (CDU) die Landtagssitzungen leitet, muss die 101 Abgeordneten manchmal zur Ruhe mahnen. Für Besuchergruppen sind Debatten dann spannend, wenn sie lebendig sind, wenn die Politiker klar Position beziehen, sagt sie und erinnert an die Debatte zum Kirchenasyl neulich. Doch mitunter gibt es Themen, wie zum Beispiel EU-Richtlinien, die geregelt werden müssen, von denen Schleicher-Rothmund offen sagt, sie seien für Zuhörer „schnarchlangweilig“. Das fällt auch Besuchern auf. Um für die Arbeit des Parlaments zu werben, reicht es ihren Worten nach nicht, Menschen im Landtag zu empfangen: „Wir müssen rausgehen zu den Leuten, mit ihnen vor Ort reden.“ Als Beispiel nennt sie den Schulbesuchstag jedes Jahr am 9. November. Dabei kommen Parlamentarier mit Schülern ins Gespräch. Mehr dieser Kontakte wünscht sie sich. Wenn sie bei Parlamentssitzungen die Leitung übernimmt, „präsidiert“, wie es offiziell heißt, ist sie mit gerader Haltung und aufmerksamer Mimik präsent. Als größte Herausforderung für das Präsidium empfindet sie die Auftritte der AfD-Abgeordneten und den Umgang der übrigen Parlamentarier mit ihnen. „Am Anfang haben wir sehr auf einzelne Begrifflichkeiten geachtet, bevor wir eingeschritten sind. Inzwischen achten wir nicht nur auf das Wort, sondern auf den Kontext. Das haben wir uns erarbeitet.“ So geht es nicht mehr nur um Begriffe wie „Brandstifter“, auch um Sätze, in denen jedes Wort für sich in Ordnung ist, die dennoch eine Beleidigung darstellen. „Ich nehme für mich in Anspruch, da sehr klar zu sein“, sagt die Frau, die als Quereinsteigerin gilt, weil sie erst mit 40 in die SPD eingetreten ist. Der Sand rieselt weiter. Ich will noch wissen, was sie an ihrem zukünftigen Amt als Bürgerbeauftragter reizt. Sie will den Menschen zuhören, noch mehr als jetzt. Leider können wir nicht in die Tiefe gehen. Die letzte Frage gehört dem Gast: „Was würden Sie mir für die Zukunft raten?“ Hmmm. Schwierig. Wir Journalisten bewerten die Arbeit und das Auftreten von Politikern eher im Nachhinein. Meine Antwort: „Bleiben Sie so authentisch und so ansprechbar, wie Sie sind, aber gehen Sie vielleicht mehr in die Offensive und legen Sie, wenn nötig, auch mal den Finger in Wunden der eigenen Partei.“

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