Rheinland-Pfalz Debatte um Ärztegutachten in Abschiebeverfahren

Vor dem Abflug: Der Aufenthaltsraum für zurückzuführende Frauen und Männer (links) und das angrenzende Arbeitszimmer der Bundesp
Vor dem Abflug: Der Aufenthaltsraum für zurückzuführende Frauen und Männer (links) und das angrenzende Arbeitszimmer der Bundespolizei am Frankfurter Flughafen.

«Mainz». In Rheinland-Pfalz kam es 2015 und 2016 in 71 Fällen nicht zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, weil diese nicht reisefähig waren. In zwei Fällen hatten die Ausländerbehörden den Verdacht, dass ein Gefälligkeitsgutachten vorgelegt worden war. Eine von ihnen eingeschaltete Ärztekammer sah jedoch nach Angaben der Landesregierung keinen Verstoß der betroffenen Mediziner.

Aufgrund einer kleinen Anfrage des CDU-Landtagsabgeordneten Matthias Lammert hatte das Mainzer Integrationsministerium eine Abfrage bei den 36 rheinland-pfälzischen Ausländerbehörden zur Frage von Reiseunfähigkeits-Bescheinigungen gestartet. Ergebnis: Bei 22 Behörden gab es 2015 und 2016 keine solchen Fälle, sechs Behörden konnten laut Ministerium keine Angaben machen, da bei ihnen „keine Statistiken geführt werden.“ Die restlichen acht Ausländerbehörden verzeichneten 2015 insgesamt 34 Abschiebungen, die aufgrund einer Reiseunfähigkeits-Bescheinigung nicht vollzogen wurden; im Jahr darauf waren es 37 Fälle. Nur bei zwei dieser unterbliebenen Abschiebungen hätten die Behörden den Verdacht eines sogenannten Gefälligkeitsgutachten gehabt und darüber „die Ärztekammer“ informiert. „Diese sah jedoch keinen Verstoß der Ärztin oder des Arztes gegen ihre oder seine ärztlichen Berufspflichten; von daher wurde keine Strafanzeige gestellt“, heißt es in der Antwort der Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) auf die CDU-Anfrage. Unklar ist jedoch bislang, wen die zwei Ausländerbehörden da eigentlich eingeschaltet hatten. Eine Sprecherin der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz sagte, man kenne diesen Vorgang nicht. Die Bundesärztekammer ließ entsprechende RHEINPFALZ-Anfragen unbeantwortet. Zum Hintergrund der Parlamentsinitiative der rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsfraktion: Vor einem Jahr hatten Bundesinnenminister Thomas de Maizière beklagt, dass „immer noch zu viele Atteste von Ärzten ausgestellt“ würden, „wo es keine echten gesundheitlichen Abschiebungshindernisse gibt“. Es könne „nicht sein, dass 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren vor einer Abschiebung für krank und nicht transportfähig erklärt werden“. Belastbare Belege für diese Aussage lieferte der Minister allerdings nicht; die Bundesregierung räumte hinterher ein, dass es dazu keine statistische Erhebung gegeben habe. Der Präsident der Bundesärztekammer, Ulrich Montgomery, kritisierte damals die von de Maizière losgetretene Debatte: Ärztliche Gutachter in Abschiebeverfahren gerieten immer wieder zwischen die Fronten. Mal werde ihnen vorgeworfen, sie erstellten Gefälligkeitsgutachten im Sinne der Asylbewerber, dann heiße es wieder, sie seien Erfüllungsgehilfen staatlicher Stellen. „Solche Unterstellungen – egal aus welcher Richtung sie kommen – entbehren jeder Grundlage und bringen uns nicht weiter“, mahnte der Ärztekammerpräsident. Im September legte die Bundesregierung jedoch nach. In ihrer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken wird der Vorwurf erneuert: Man stehe in einem ständigen Dialog mit den Ländern und einigen ihrer Ausländerbehörden. In diesem Zusammenhang sei von „auffälligen Attestierungen von Krankheiten rückzuführender Ausländerinnen und Ausländer berichtet“ worden. Diesen Angaben zufolge werde eine Vielzahl von Attesten vorgelegt, „die auffallen, weil immer wieder die gleichen Ärzte mit gleichlautendem Inhalt oder fehlender fundierter Begründung Reiseunfähigkeit attestieren“, erklärte die Bundesregierung. Der solchermaßen schwelende Konflikt war im März dann in Hessen eskaliert: Der Wetteraukreis erstattete Strafanzeige gegen den Psychiatrie-Professor Bernd Gallhofer. Der Leiter der Gießener Psychiatrie habe „in Form einer Beihilfe“ gegen das Aufenthaltsgesetz verstoßen, weil er mittels eines Gutachtens versucht habe, dem später dennoch abgeschobenen Flüchtling aus dem Kosovo zu einem Aufenthaltsrecht zu verhelfen. Der Mann, dessen Asylanträge abgelehnt worden waren, hatte sich in stationärer Behandlung wegen Vorfällen im Zuge des Kosovo-Krieges in den 1990er Jahren befunden. Damals soll der heute 32-Jährige als Jugendlicher von den Serben zwangsrekrutiert worden sein – unter anderem, um erschossene Zivilisten zu verscharren. Daraus habe der Mann eine posttraumatische Belastungsstörung mit Suizidgedanken entwickelt, sagt Gallhofer. Der Landkreis hielt diese Diagnose hingegen für eine Schutzbehauptung, um einer Abschiebung zu entgehen. In dem Fall ermittelt immer noch die Staatsanwaltschaft Gießen. Im vergangenen Jahr gab es 168.212 geduldete Flüchtlinge in Deutschland: In 1762 Fällen waren dafür medizinische Gründe ausschlaggebend – davon betrafen 73 Fälle Rheinland-Pfalz, 50 waren es in Baden-Württemberg, zwölf im Saarland. Die Mainzer Integrationsministerin Anne Spiegel beschreibt das Prozedere in Zweifelsfällen so: Habe die Ausländerbehörde Bedenken hinsichtlich einer vorgelegten ärztlichen Bescheinigung, erfolge regelmäßig eine ärztliche beziehungsweise fachärztliche Überprüfung. Werde ein Attest dabei nicht bestätigt, müsse dies aber nicht bedeuten, dass ein sogenanntes Gefälligkeitsgutachten erstellt worden sei oder der Arzt gar wissentlich falsche Ausführungen gemacht hätten. Die Ministerin: „Vielmehr sind die Krankheitsbilder häufig schwierig zu beurteilen, insbesondere wenn es um psychische Krankheiten, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Suizidalität geht.“ Insofern gebe es häufig unterschiedliche Fachmeinungen verschiedener Ärzte. Die Forderung, dass künftig nur noch Amtsärzte über die Reisefähigkeit von Personen entscheiden sollen, die abgeschoben werden sollen, macht sich Spiegel nicht zu eigen: Dies sei nur eine von mehreren bestehenden Möglichkeiten, eine objektive medizinische Beurteilung zur Reisefähigkeit zu erhalten.

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