Panorama Plagiatsprozess gegen Ed Sheerans könnte ganze Branche in „Paranoia“ stürzen

Ed Sheeran steht vor Gericht. Er soll bei seinem Hit „Thinking out loud“ plagiiert haben.
Ed Sheeran steht vor Gericht. Er soll bei seinem Hit »Thinking out loud« plagiiert haben.

Eigentlich wollte sich Ed Sheeran auf seine bevorstehende Tournee und die Veröffentlichung eines neuen Albums konzentrieren. Doch derzeit stehen für den britischen Popmusiker auch regelmäßige Gerichtstermine in New York auf dem Programm. Und dabei geht es nicht nur um Plagiatsvorwürfe wegen eines Songs des britischen Sängers - sondern womöglich um die Zukunft einer ganzen Branche. Denn die eigentliche Frage bei dem Prozess ist: Sind Akkordfolgen urheberrechtlich geschützt?

Hat sich Sheeran bei Marvin Gaye bedient?

Sheeran ist angeklagt, bei seinem Hit „Thinking Out Loud“ beim US-Soul-Sänger Marvin Gaye abgeschrieben zu haben. Geklagt haben die Erben des Songwriters Ed Townsend, der den Soul-Klassiker „Let's Get It On“ aus dem Jahr 1973 zusammen mit Gaye verfasste. Gayes Hit habe „auffällige Ähnlichkeiten und offensichtliche Gemeinsamkeiten“ mit Sheerans Song „Thinking Out Loud“ von 2014, sagen die Kläger. Der Prozess ist der jüngste in einer Reihe hochkarätiger Urheberrechtsfälle, welche die Branche in Aufruhr versetzen.

Verteidigung mit Hilfe der Gitarre

Vor Gericht griff Sheeran in seiner Verzweiflung sogar zur Gitarre, um Richtern und Geschworenen zu beweisen, dass die beanstandete Akkordfolge seines Songs ein grundlegender Baustein der Popmusik sei, der nicht urheberrechtlich geschützt werden könne. Seine Anwälte argumentieren, Gaye und Townsend seien bei Weitem nicht die ersten gewesen, die diese Akkordfolge genutzt hätten. Als Beispiel nannten sie eine Reihe von Liedern des nordirischen Musikers Van Morrison, welche dieselbe Sequenz genutzt hätten und vor „Let's Get It On“ geschrieben worden seien.

Diese Ansicht vertritt auch der forensische Musikwissenschaftler Joe Bennett. „Solche Ähnlichkeiten können so leicht durch Zufall entstehen“, sagt der Professor am Berklee College of Music in Massachusetts. „Sie sollten nicht durch das Urheberrecht geschützt werden können.“

Beide Seiten haben für das Gerichtsverfahren Sachverständige engagiert, die den Geschworenen die musiktheoretischen Details erklären sollen. Wie die Laienrichter am Ende entscheiden, ist völlig ungewiss. „Wenn man den Geschworenen Musik vorspielt, kann es so oder so ausgehen“, sagt Bennett.

Led Zeppelin, Marvin Gaye: Urheberrecht beschäftigt Branche

In den vergangenen Jahren gab es mehrere Entscheidungen zum Urheberrecht in der Musik: 2016 verklagte Gayes Familie, die am aktuellen Prozess nicht beteiligt ist, die Künstler Robin Thicke und Pharrell Williams wegen Ähnlichkeiten zwischen dem Song „Blurred Lines“ und Gayes „Got to Give it Up“. Der Erfolg dieser Klage überraschte viele im Musikgeschäft und selbst Juristen, die viele der strittigen musikalischen Elemente als grundlegend und frei für die Allgemeinheit betrachteten.

Kurz darauf bestätigte ein Berufungsgericht den Sieg der britischen Rockband Led Zeppelin in einem ähnlichen Fall, bei dem es um ihren berühmtesten Song „Stairway to Heaven“ ging. „Ein Grund, warum der Fall Ed Sheeran für die Branche wirklich wichtig sein könnte, ist, dass er zeigen könnte, ob das Pendel wieder zur anderen Seite ausschlägt, oder ob es hin und her geht“, sagt der auf Urheberrecht spezialisierte Jurist Joseph Fishman von der US-Universität Vanderbilt. Entscheiden die Gerichte immer wieder anders, „könnte das einen abschreckenden Effekt auf die Art und Weise haben, wie Songwriter komponieren“, sagt der Rechtsprofessor.

Sheeran: Vorwürfe sind „beleidigend“

Selbst wer ohne Absicht Elemente anderer Komponisten aufgreift, ist nicht vor einer Verurteilung gefeit: 1976 wurde Beatles-Gitarrist George Harrison für schuldig befunden, „unbewusst“ den Song „He's So Fine“ von der US-Girlband Chiffons plagiiert zu haben. In seinen Memoiren schrieb Harrison später, dass er danach beim Songschreiben unter einer „Paranoia“ litt.

Andere Songwriter hätten ihm gesagt „Du musst für uns gewinnen“, erklärte Sheeran jetzt vor Gericht. Setzten sich die Kläger durch, „dann bin ich erledigt“, sagte der 32-Jährige mit verzweifelter Stimme. „Ich finde es wirklich beleidigend, wie die Arbeit meines ganzen Lebens von jemandem herabgesetzt wird, wenn er sagt, dass ich geklaut habe.“

Viele seiner Studierenden machten sich wegen des Prozesses gegen Sheeran Gedanken um ihre eigene Zukunft als Liedermacher, sagt der Musikwissenschaftler Bennett. „Ich fürchte, dass die Vorstellung, immer unverwechselbar sein zu müssen und nichts übernehmen zu dürfen, den emotionalen und kreativen Prozess eines Songwriters gefährdet“, fügt die Musikstudentin Mary Jo Swank hinzu. „Es wäre schön, wenn ich meine Version einer Akkordfolge schreiben dürfte, ohne mir Sorgen machen zu müssen, dass sie nicht einzigartig genug ist.“

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