Meinung Nato: Bittere Lehren aus dem Krieg in der Ukraine

Ein ukrainischer Soldat an der Front in der Region Donezk.
Ein ukrainischer Soldat an der Front in der Region Donezk.

Europa versteckt sich in der Nato seit Jahrzehnten hinter den USA. Das kann sich der Kontinent nicht länger erlauben. Er muss endlich die Lektion verinnerlichen, die sich aus dem Überfall Russlands auf die Ukraine ergibt.

Kurz nach dem Ende des Kalten Krieges sah es für einen Augenblick tatsächlich aus, als wäre die Nato überflüssig geworden. Doch diese Hoffnung auf Frieden war aus heutiger Sicht völlig abstrus. Schnell zeichneten sich neue Konflikte ab. Und daraus erwuchsen neue Herausforderungen für das atlantische Verteidigungsbündnis. Die bittere Botschaft zum 75. Geburtstag lautet: Die Nato ist so wichtig wie selten zuvor. Sie sei „die mächtigste und erfolgreichste Allianz der Geschichte“, betonte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nun in Brüssel.

Wladimir Putin hat mit dem Überfall auf die Ukraine die Schrecken des Krieges wieder nach Europa gebracht. Aber der russische Präsident, dessen beißender Spott für die Allianz keine Grenzen kennt, hat sich verrechnet. Die Nato zeigte sich nach Jahren der lähmenden Sinnsuche überraschend geeint. Das ist auch ein Verdienst von Stoltenberg. Mit großem diplomatischem Geschick führte er die Nato zurück zu ihren Wurzeln: die Abschreckung eines möglichen Angreifers.

Rütteln an einem Grundpfeiler

Doch die Freude beim Festakt in Brüssel ist getrübt, denn hinter der Kulisse der demonstrativen Einheit verbergen sich fundamentale Probleme. Eine der größten Sorgen ist die mögliche Wiederwahl von Ex-US-Präsident Donald Trump. Er hat immer wieder gedroht, Bündnispartnern mit in seinen Augen zu geringen Verteidigungsausgaben im Fall eines russischen Angriffs keine amerikanische Unterstützung zu gewähren. Damit sägt Trump an der Beistandsverpflichtung und damit an einem der zentralen Grundpfeiler der Nato-Solidarität.

Also hoffen die allermeisten Bündnispartner im November inständig auf einen Sieg des Demokraten Joe Biden. Aber auch das ist Augenwischerei. Denn das Problem mit den USA wäre dann zwar kleiner, aber nicht vom Tisch. Der Demokrat ist zwar bekennender Transatlantiker, allerdings würde er seine Aufmerksamkeit in Zukunft eher dem pazifischen Raum und dem aufstrebenden Rivalen China zuwenden. Die Europäer müssen sich also in jedem Fall für ein verändertes Szenario rüsten. Es wäre zu gefährlich, sich in Sicherheitsfragen weiter hinter den USA zu verstecken, wie es im Moment auch im Fall der Ukraine passiert. Was geschieht, wenn Washington womöglich bald als größter Geld- und Waffengeber ausfällt?

Imperialistische Gelüst

Auch geostrategisch ist die Zukunft Europas offen. Deshalb muss jeder denkbare Ausgang des Krieges vorbereitet werden – auch dass Russland große Teile der Ukraine behält. Das wäre eine große Gefahr für den Kontinent, denn daraus würde kein Frieden erwachsen, sondern eine Art Dauerkonflikt, den Putin nach Belieben immer wieder eskalieren könnte. Die imperialistischen Gelüste des russischen Präsidenten wären nicht gestillt, sondern blieben weiter geweckt. Europa muss also sein Abschreckungspotenzial deutlich erhöhen – auch ohne Rückendeckung der USA.

In enger Abstimmung mit der Nato muss Europa deutlich mehr in die eigene Sicherheit investieren, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass Wladimir Putin und seine Machtclique nur die Sprache der Stärke verstehen. Diese Lektion muss Europa endlich verinnerlichen und darauf entschlossen reagieren.

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