Politik Linguisten untersuchen Verschwörungstheorien

Die Trierer Sprachwissenschaftler Sören Stumpf (links) und David Römer an ihrem Arbeitsplatz. Auf den Bildschirmen zwei Ereignis
Die Trierer Sprachwissenschaftler Sören Stumpf (links) und David Römer an ihrem Arbeitsplatz. Auf den Bildschirmen zwei Ereignisse, über die es Verschwörungstheorien zuhauf gibt: der Terroranschlag am 11. September 2001 in New York und die Mondlandung der Amerikaner.

Zwei Linguisten der Universität Trier haben erstmals analysiert, welche Sprache in Verschwörungstheorien verwendet wird. Und wie bestimmte Wörter und Sprachbilder Stimmung machen. Intensiv untersucht haben David Römer und Sören Stumpf den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 und die Resonanz auf dem Internetportal Youtube.

Ein moderner Klassiker unter den Verschwörungstheorien: die Gerüchte um die Mondlandung. In Wahrheit, so wird von Verschwörungstheoretikern ausgeführt, seien die Amerikaner in den Jahren 1969 bis 1972 gar nicht auf dem Himmelskörper gelandet. Ein weiterer Dauerbrenner: Am blauen Himmel zu sehende Kondensstreifen von Flugzeugen enthielten keinen Wasserdampf, sondern Chemikalien, mit denen auf die Bevölkerung eingewirkt werden solle. Eine historische Liste mit Verschwörungstheorien wäre so lang wie abstrus. Solche Gegenerzählungen sind beileibe keine Erfindung des Internet-Zeitalters. Ziemlich früh schon in der Menschheitsgeschichte wurde „anderen“ – vorzugsweise Minderheiten im eigenen Land oder feindlichen Nationen – vorgeworfen, irgendwelche krummen Dinger gedreht zu haben oder den Staat von innen heraus aushöhlen zu wollen. So kursierte während der Pestepidemien im 14. Jahrhundert in vielen Ländern Europas die Mär, Juden hätten Brunnen vergiftet, um so die Christenheit zu vernichten. Etwa ein Jahrhundert später verfolgten fanatische Christen „Hexen“, die sie für Krankheiten, Unfälle und Naturkatastrophen verantwortlich machten. Wechselseitig schoben sich sodann Katholiken und Protestanten die geplante oder vollzogene Ermordung gekrönter Häupter in die Schuhe. Manche der Verschwörungstheorien sind skurril, manche regen zum Schmunzeln an. Nicht wenige dieser Erzählungen aber, insbesondere wenn sie im zeitlichen Umfeld eines politischen Großereignisses, einer Katastrophe oder eines Terroranschlags kursieren, sind gefährlich. Gefährlich für eine Gesellschaft. Denn sie verunsichern Menschen, indem sie Tatsachen als unwahr erscheinen lassen oder weil sie Stimmung gegen bestimmte Gruppen machen. Jede Verschwörungstheorie basiert auf Sprache – so wie jeder Entwurf von Wirklichkeit. Nur über Sprache – in schriftlicher oder mündlicher Form, aber auch über Bildersprache – kann der Mensch (seine) Realität „konstruieren“. Im wahrsten Sinne des Wortes. Zwei Sprachwissenschaftler an der Universität Trier, die Germanisten David Römer und Sören Stumpf, haben sich daher die Frage gestellt: „Wie werden Verschwörungstheorien sprachlich konstruiert und glaubwürdig gemacht?“ Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Verschwörungstheorien lassen sie dabei bewusst außen vor. Auch die Frage, ob heute vielleicht mehr Menschen als früher – wegen der Möglichkeiten und Verführungen des Internets – an Verschwörungstheorien glauben, können und wollen sie nicht beantworten. Sie sind eben Linguisten, Sprachwissenschaftler. Und als solche wollen sie wissen: Lassen sich bei der Darstellung von Verschwörungstheorien wiederkehrende Sprachmuster feststellen? „Wir suchen nach bestimmten Wörtern und Redewendungen, nach Metaphern (Sprachbildern)“, sagt David Römer. Außerdem interessiert sie, wie Verschwörungstheoretiker bestimmte Argumentationsmuster einsetzen, „um ihre Vorstellungen als die richtige Version der Wirklichkeit zu legitimieren“. Überrascht waren die beiden, dass bis dato zumindest im deutschsprachigen Raum keine systematische Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Sprache und Verschwörungstheorien vorliegt. Als Grundprinzip für Verschwörungstheorien haben die Trierer Linguisten ausgemacht: Erst werden bei einer allgemein anerkannten Version eines Ereignisses eventuelle Ungereimtheiten und Schwachstellen im Erklärungsmuster aufgedeckt, dann wird eine eigene Version des Geschehens nachgeschoben und auf eine bestimmte Art und Weise legitimiert. Intensiv untersucht haben David Römer und Sören Stumpf den Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016. Bekanntlich steuerte der islamistische Terrorist Anis Amri einen Sattelschlepper in die Menschenmenge, elf Besucher starben am Tatort, 55 Besucher wurden teils lebensgefährlich verletzt. Der Tunesier Amri konnte entkommen, wurde dann aber am 23. Dezember bei einer Routinekontrolle in Italien von Polizisten erschossen. Die Trierer Linguisten konzentrierten sich bei ihrer Analyse auf die Videoplattform Youtube, auf der Kurzfilme zum Thema zu sehen sind, in daran angehängten Kommentaren aber auch heftig über den Anschlag diskutiert wurde. Insgesamt haben die Wissenschaftler nach eigener Aussage 1800 Kommentare zu dem Anschlag ausgewertet. Immer wieder, so David Römer, hätten solche Kommentarautoren darzulegen versucht, weshalb der Anschlag nicht so stattgefunden haben könne wie von der Polizei beschrieben. Im Extremfall hätten manche Verfasser gar zu belegen versucht, dass es überhaupt keinen Anschlag am Breitscheidplatz gegeben habe. Mit Argumenten wie: Warum sind bestimmte Betonklötze nicht beschädigt worden? Wie hätte der Sattelschlepper denn durch die enge Gasse kommen können? Dies sei physikalisch unmöglich. Verweise auf angebliche naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten haben David Römer und Sören Stumpf bei ihrer Arbeit immer wieder entdeckt. Häufig im Zusammenhang mit dem menschengemachten Klimawandel. „Auch beim Klimawandel argumentieren die Zweifler häufig auf der Basis pseudowissenschaftlicher Fakten.“ Diese zu widerlegen, erfordere einen immensen Aufwand, basierend auf einem großen Wissen, sagt Römer. Der einzelne „Normalbürger“, der plötzlich mit solchen Aussagen konfrontiert werde, sei in den allermeisten Fällen überfordert. Was die Wortwahl bei Verschwörungstheorien betrifft, so haben die Trierer Experten festgestellt: Negationswörter wie ,kein’ oder ,nicht’ tauchen sehr häufig auf. Beliebt seien auch Metaphern, die aus dem Theaterbereich stammten – und die suggerieren sollen, dass im Hintergrund ganz andere (Mächte) die Fäden ziehen. Und dass das, was „auf der Bühne“ zu erblicken ist oder von der vorgeblichen „Lügenpresse“ beschrieben wird, nicht der Wahrheit entspreche. Die Linguisten sprechen in diesem Zusammenhang von „Inszenierungs-Metaphern“: Beispiele sind „hinter die Kulissen blicken“, „Puppenspieler“ oder „Marionetten“. Sehr beliebt bei Verschwörungstheoretikern, so haben Römer und Stumpf herausgefunden, seien auch Wortneubildungen, um die offizielle Darstellung zu diskreditieren. So tauchten im Zusammenhang mit dem Berliner Anschlag häufig die zentralen Begriffe „Terrorismus“, „Lkw-Anschlag“ und „Regierung“ auf. In den Kommentaren auf Youtube sei dann die Rede von „Regierungsterrorismus“ oder einem „Fake-Anschlag“. Sobald sie Zweifel gesät haben, gehen Verschwörungstheoretiker meistens dazu über, ihre eigene Sicht der Dinge an den Mann oder die Frau zu bringen. „Es wird versucht, die eigene Version der Wirklichkeit mit Wörtern wie ,sicher’, ,klar’, ,eindeutig’ oder ,offensichtlich’ als plausibel erscheinen zu lassen“ – ganz im Gegensatz zur kritisierten offiziellen Version. In nächster Zukunft wollen sich David Römer und Sören Stumpf mit der Sprache der „Reichsbürger“ beschäftigen. Denn Populisten und Verschwörungstheoretiker haben ihrer Meinung nach vieles gemeinsam. Ihre Sprache ist vordergründig eindeutig, alles ist entweder schwarz oder weiß.

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