Politik Leitartikel: Unverhandelbar

Im Streit mit der Türkei werfen deutsche Politiker leichtfertig

rechtsstaatliche Grundsätze über Bord. Wer diese aber von anderen

einfordert, muss sie zunächst einmal selbst einhalten. Soll Deutschland in

den Erdogan-Stil verfallen?

Wie schwach wäre das.

Es ist verstörend und muss jeden Demokraten beunruhigen, in welchem Maße sich die Türkei von den Werten der Freiheit und Gerechtigkeit entfernt. Präsident Erdogan will sein Land zu einem Präsidialstaat umbauen und die Todesstrafe wiedereinführen, er tritt die Menschenrechte mit Füßen und sperrt Andersdenkende weg. Die Deutschen sind entsetzt über dieses immer radikaler gewordene Erdogan-System. Und mit gutem Grund fordern sie rechtsstaatliche Regeln ein. Einige vergessen dabei aber ein kleines Detail. Wenn wir unseren Werten trauen, dann sollten wir es nicht den Despoten dieser Welt gleichtun und unsere Grundsätze über Bord werfen. Gerade weil die Deutschen sehen, in welche Schieflage ein Land gerät, dessen Regierung elementare Grundrechte außer Kraft setzt, sollten sie das Recht zur Geltung bringen. Unser Grundgesetz erlaubt es jedem, seine Meinung frei zu äußern. Unter bestimmten Auflagen ist es jedem gestattet, eine Versammlung abzuhalten. Ein Rechtsstaat muss die Regeln, die er sich gegeben hat, ernst nehmen, auch wenn es weh tut. Und es tut weh, wenn in Deutschland Wahlkampf gemacht wird für ein umstrittenes türkisches Präsidialsystem. Aber wir können nur vom Despoten aus Ankara etwas fordern, wenn wir Recht und Gesetz selbst korrekt anwenden. Es ist erschreckend, wie leichtfertig mancher deutsche Politiker bereit ist, solche rechtsstaatlichen Grundsätze preiszugeben. Cem Özdemir, einer der beiden Spitzenkandidaten der Grünen, hat gerade das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung als Handelsware deklariert. Er knüpft die Auftritte türkischer Minister an die Erfüllung von „Gegenforderungen“, etwa indem „die Opposition freigelassen wird“. Ist der Mann von Sinnen? Vermutlich stellt sich Özdemir die Welt als großen Basar vor, auf dem um freie Rede und Gnadenerlasse gefeilscht wird. Grundrechte sind im Verständnis unserer Wertedemokratie jedoch unverhandelbar. Ein „Deal“ zwischen Politik und Justiz, der dem Demokraten Özdemir vorschwebt, ist etwas, das außerhalb unseres Grundgesetzes steht. Soll Deutschland also in den Erdogan-Stil verfallen? Wie schwach wäre das. Das Gegenteil muss der Fall sein: Wer Grundrechte predigt, muss sie einhalten. Auch die Einlassungen des CDU-Innenpolitikers Wolfgang Bosbach irritieren. Er nannte die Absage von Veranstaltungen mit Justizminister Bozdag in Gaggenau und mit Wirtschaftsminister Zeybekci in Köln „richtungsweisend“. Ist das so? Die Bundesregierung argumentiert da viel klüger. Sie glaubt, dass sich zunächst jeder an Recht und Gesetz hält, wenn er in Deutschland vor einer Menge auftritt. Dies ist das positive Menschenbild, das einem demokratischen Rechtsstaat ziemt. Erst wenn aus Propaganda Volksverhetzung wird, sind Konsequenzen fällig. In der Türkei ist es umgekehrt. Hier stehen außer den Regierungsanhängern alle unter Generalverdacht, eine Revolution anzuzetteln. Das ist das negative Menschenbild des Despotismus. Bosbach findet es gut, wenn der Hinweis auf mangelnde Parkplätze Schule macht und die Versammlungsfreiheit auf lächerliche Weise ausgehebelt wird – mit der Folge, dass nun alle Welt davon redet und selbst die Opposition in der Türkei das nicht gut findet. Hätte man die beiden Minister reden lassen, wäre das Abendland nicht untergegangen. Die 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland sind schlau genug, zu entscheiden, für wen sie Partei ergreifen.

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