Politik Leitartikel: Jenseits der sechs Prozent

Der Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst sollte möglichst bald nach Ostern

beigelegt werden. Einige strukturelle Probleme des Dienstleistungssektors können die Tarifparteien allein aber nicht lösen. Tätigkeiten in der Industrie werden häufig besser entlohnt als soziale Dienstleistungen.

Ja, es nervt. In den vergangenen Tagen mussten auch in der Pfalz viele Eltern die Betreuung ihrer Kleinen privat organisieren, weil die Kita geschlossen hatte. Busse fuhren nicht, Mülltonnen blieben ungeleert – wie in kaum einer anderen Branche bekommen die Bürger Warnstreiks im öffentlichen Dienst unmittelbar zu spüren. Das zeigt zum einen, wie wichtig ein funktionierender öffentlicher Dienst ist, und sollte zum anderen Verpflichtung für die Verhandler sein, sich möglichst rasch auf einen neuen Tarifvertrag zu einigen. In bislang zwei Verhandlungsrunden kam diese Einigung nicht zustande, bisher legten Bund und Kommunen nicht einmal ein Angebot vor. Letzteres ist freilich vor allem der Tatsache geschuldet, dass bislang der Vertreter des Bundes, Thomas de Maizière, als geschäftsführender Innenminister und damit auf Abruf am Tisch saß. Es wäre schlechter Stil und dem Verhandlungsprozess eher abträglich gewesen, hätte de Maizière hier seinem Nachfolger Horst Seehofer vorgegriffen. Nun wird Seehofer im Grundsatz gleich argumentieren wie de Maizière und die Kommunen: Die geforderten sechs Prozent sind zu viel. Und diese sechs Prozent wird es, das wissen auch die Gewerkschaften, nicht geben. Der eigentlich spannende Punkt in Sachen Lohnerhöhung ist ein anderer: die Forderung der Gewerkschaft nach einem Gehaltsplus von mindestens 200 Euro im Monat. Diese „soziale Komponente“ soll dafür sorgen, dass die Einkommen in den unteren Lohngruppen stärker steigen als im Gesamtschnitt; laut Arbeitgebern würde dies in einigen Fällen auf ein Lohnplus von fast 11,5 Prozent hinauslaufen. Das wiederum, warnen die Kommunen, erhöhe den Druck, eher gering qualifizierte Tätigkeiten auszulagern und zu privatisieren. Aus Gewerkschaftssicht hat der besondere Fokus auf diese Beschäftigten nicht nur die öffentlich genannten sozialen Gründe: Unter ihnen ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad besonders hoch, sie bilden das unverzichtbare Rückgrat bei Streikaktionen. Während insbesondere die Kommunen bei diesen Beschäftigtengruppen unter einem deutlichen Wettbewerbs- und Preisdruck gegenüber privaten Anbietern stehen, sehen sich die öffentlichen Arbeitgeber bei höher qualifizierten Tätigkeiten einem Wettbewerb ganz anderer Art ausgesetzt: In Zeiten des Nachwuchs- und Fachkräftemangels bleiben nicht nur Stellen für Ingenieure und IT-Spezialisten unbesetzt, gleiches gilt etwa für Pflegekräfte und Kita-Personal. Zum einen, weil private Unternehmen im Zweifel beim Gehalt leichter eine Schippe drauflegen können. Zum anderen, weil Tätigkeiten in der Industrie häufig besser entlohnt werden als, insbesondere soziale, Dienstleistungen. Dieses Problem können die Tarifparteien allein nicht lösen. Denn letztlich geht es dabei um die Frage, welchen Wert bestimmte Produkte und (Dienst-)Leistungen für die Gesellschaft, für uns alle haben, welchen Preis zu zahlen wir dafür willens sind. Konkret: Dass die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie besser verdienen als vergleichbar qualifizierte Arbeitnehmer in anderen Branchen, hängt auch damit zusammen, dass Konsumenten in Deutschland und weltweit bereit sind, viel Geld beispielsweise für ein Auto zu zahlen. Spürbar höhere Löhne für den Dienst am Menschen, der einen guten Teil des öffentlichen Dienstes ausmacht, sind also auf Dauer nur denkbar, wenn wir alle bereit sind, für diese Dienste mehr Steuern, Gebühren und Beiträge zu zahlen.

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