Religion Evangelischer Kirchentag: Wunder, Waffen und Posaunenklänge

Dorothee Wüst, Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, hält beim Kirchentag in Nürnberg eine Friedensandacht an d
Dorothee Wüst, Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, hält beim Kirchentag in Nürnberg eine Friedensandacht an der Pegnitz.

Erkennungszeichen des Kirchentags ist der grüne Schal mit dem Slogan „Jetzt ist die Zeit“. Ihn trägt auch die Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, Dorothee Wüst. An diesem Freitag freut sie sich auf ein Ereignis besonders.

In der Kirche St. Sebald in der Altstadt von Nürnberg ist es an diesem Donnerstagmorgen mucksmäuschenstill. Mit Hunderten Gläubigen kommt die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst der Aufforderung von Pawlo Schwarz nach, eine Minute Stille zu halten. Still zu sein, sich zu sammeln, innezuhalten. Aber es ist mehr, wie der Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine erklärt: „In der Ukraine beginnen wir jeden Tag in Stille, um an diejenigen zu denken, die im Krieg tapfer für unsere Sicherheit gekämpft haben und gefallen sind.“ Und so ist er auch hier präsent – der Krieg mitten in Europa.

Nach der Stille beginnt Schwarz, eine Wundererzählung aus der Bibel auszulegen – die Hochzeit in Kanaa. Es wird berichtet, wie Jesus von Nazaret als Gast einer Hochzeitsfeier – auf Drängen seiner Mutter Maria – Wasser in Wein verwandelt. An elf weiteren Standorten in Nürnberg beschäftigen sich an diesem Morgen Theologen, Politiker, Künstler oder Ärzte mit dieser Textstelle aus dem Johannesevangelium.

Für Dorothee Wüst gehört die morgendliche Bibelarbeit einfach zu einem Kirchentag dazu: Damit besinne man sich auf die Grundlage und Quelle, die das eigene Tun berührten. Biblische Geschichten könnten ermutigen, stärken, vergewissern und Hoffnung geben. „Die Bibelarbeit am Morgen und der Segen am Abend – das ist der geistliche Rahmen, den ein Kirchentag braucht neben den politischen Debatten oder spirituellen Angeboten“, ist sich die pfälzische Theologin sicher.

Krieg und Frieden

Auf dem Weg zur Friedensandacht an der Pegnitz sind sie zu hören – Posaunenchöre. An den unterschiedlichsten Plätzen in der Stadt stimmen alte und junge Bläser geistliche Lieder an. Man spürt, dass die Kirchenpräsidentin am liebsten mitspielen würde. „Mich berührt das.“ Für sie hat die Verkündigung durch die Musik eine hohe Spiritualität. Doch sie muss weiter, freut sich aber schon darauf, am Freitagmittag mit dem Posaunenchor Appenthal auf zwei Plätzen in der Altstadt „Jetzt ist die Zeit“ und „Du bist mein Gott“ anstimmen zu können. Mit mehr als 60 Bläsern aus der ganzen Pfalz und der Saarpfalz ist Wüst, die Trompete spielt, mit dem Bus nach Nürnberg gereist.

Auf dem kleinen Platz an der Pegnitz hat sich eine kleine Schar zur Friedensandacht versammelt. Daniela Willenbücher vom Verein Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) organisiert die Andachten mit. Entstanden sind sie aus der Aktion Friedenslicht aus Betlehem, das jedes Jahr in der Adventszeit von Pfadfinderinnen und Pfadfindern in Kirchen und Häuser gebracht wird. „Während des Kirchentages bieten wir jeden Tag zur vollen Stunde eine Friedensandacht an“, erklärt die Ludwigshafenerin, die die Kirchenpräsidentin für die Eröffnung gewinnen konnte.

Krieg und Frieden ist es ein heikles Thema beim Kirchentag: Waffen liefern ja oder nein? Militärische Gewalt oder Pazifismus um jeden Preis? Ein Thema, das bereits den Kirchentag 1979 in Nürnberg bestimmte. Nachdem die Sowjets immer mehr Atomraketen gegen Europa richteten, drohte der Westen mit der Aufstockung seiner atomaren Sprengköpfe. Ein Wettrüsten zeichnete sich ab. Die Friedensbewegung in der evangelischen Kirche meldete sich zu Wort.

Ein halbes Jahr später kam es zum Nato-Doppelbeschluss, der die Grundlage für die Stationierung weiterer Atomraketen in den 1980er-Jahren bildete. Erst als der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow im Kalten Krieg auf Entspannung setzte und 1989/90 zwischen Ost und West der Eiserne Vorhang fiel, zeichnete sich eine Entspannung ab. Nun gehört in Europa militärische Aufrüstung wieder zum Tagesgeschäft.

Steinmeier: Es ist auch Zeit für Waffen

Bei der Eröffnung des Kirchentages am Mittwochabend verteidigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Lieferung von Waffen an die Ukraine „Neben all den anderen Anstrengungen – es ist auch Zeit für Waffen.“ Es müsse ein gerechter Friede sein. „Wenn die Ukraine ihre Verteidigung einstellt, ist das das Ende der Ukraine“, bekräftigte er. Jedoch räumte er ein, dass der Krieg viele Christen in ein tiefes Dilemma stürze.

Davon spricht auch Dorothee Wüst bei der Friedensandacht: „Wir haben lernen müssen, dass der Prüfstein für Pazifismus nicht der Frieden ist, sondern der Krieg.“ An diesem Prüfstein schieden sich die Geister. Das sei eigentlich richtig, denn Frieden sei nicht selbstverständlich. Und es ginge um Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gebe. Eine Teilnehmerin empört sich, dass das Leid der Russen mit keinem Wort erwähnt worden sei. Am Samstag wollen 20 Friedensgruppen ihren Unmut über die Waffenlieferungen auf dem Kirchentag zum Ausdruck bringen.

Schutz und Fürsorge

Am selben Tag wird Dorothee Wüst auf einem Podium „Missbrauch beim Namen nennen – Woher kommt Mut zum Wandel?“ Rede und Antwort stehen. Die Kirchenpräsidentin ist Sprecherin der Beauftragten im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Einem Forum, in dem zu gleichen Teilen Betroffene und Kirchenvertreter mitarbeiten. Ziel sei es, so Wüst, für die Betroffenen bestmögliche Lösungen und flächendeckende Standards beispielsweise bei Anerkennungsleistungen zu finden. „Das braucht Zeit“, räumt sie ein.

Auch der Kirchentag hat sich mit seinem Schutz- und Fürsorgekonzept zur Prävention von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt verpflichtet. Das ist gut und schön. Doch Betroffene müssen schon suchen, um auf der Internetseite des Kirchentages unter den Hinweisen von A bis Z das Konzept zu finden, und noch wichtiger die Telefonnummer, unter der unabhängige Ansprechpersonen rund um die Uhr erreichbar sind.

Lesen Sie auch: Klimaschutz beim Kirchentag: Abgasfrei und möglichst vegetarisch

„Jetzt ist die Zeit“ – so lautet das Motto des Kirchentags.
»Jetzt ist die Zeit« – so lautet das Motto des Kirchentags.
x