Geschichte Ein US-Präsident als Betrüger

„Möge Gottes Gnade mit Euch sein“: Richard Nixon verabschiedet sich nach seinem Rücktritt am 9. August 1974 in Washington von se
»Möge Gottes Gnade mit Euch sein«: Richard Nixon verabschiedet sich nach seinem Rücktritt am 9. August 1974 in Washington von seinen Mitarbeitern.

Den Beginn der Watergate-Anhörungen vor 50 Jahren verfolgten mehr Zuschauer als die Mondlandung. Die Aufklärung der Affäre um Richard Nixon war auch ein Triumph der Medien.

Der Tag brannte sich in das kollektive Gedächtnis ein. Gebannt verfolgten die Amerikaner, wie der Watergate-Ausschuss im Senat am 17. Mai 1973 seine Arbeit aufnahm. Live übertragen direkt aus dem Kapitol, wo der republikanische Ko-Vorsitzende des Ausschusses Howard Baker zu Beginn der Anhörungen nicht weniger als „die parteiübergreifende Suche nach der ungeschminkten Wahrheit“ versprach. Im Fokus der Senatoren stand der Einbruch in das Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Gebäude elf Monate zuvor.

Der Watergate-Ausschuss hatte Dutzende hochrangige Mitarbeiter des Weißen Hauses als Zeugen geladen, um der Vertuschung und Behinderung der Justiz bei der Aufklärung der Straftat auf den Grund zu gehen. Am spannendsten aber war die Frage nach der Rolle, die Präsident Richard Nixon bei all dem spielte. Was wusste Nixon, zu welchem Zeitpunkt – und hatte er gar den Auftrag erteilt, auf illegalem Weg kompromittierende Informationen gegen seine politischen Gegner zu sammeln.

Das Weiße Haus versuchte, die Anhörungen im Kongress um jeden Preis zu verhindern. Nixon berief sich dabei auf das Privileg der Exekutive, Vertraulichkeit über die interne Kommunikation wahren zu können. Vergeblich. Es gebe kein Exekutivprivileg, konterte der Vorsitzende des Ausschusses, Sam Ervin. Dies sei, so wörtlich, „Schwachsinn“.

Woodward und Bernstein

Die 51 Sitzungstage entwickelten sich zum ersten politischen „Must-see“-Fernsehen in der Geschichte der USA. Acht von zehn Amerikanern verfolgten die Anhörungen zur Aufklärung der Watergate-Affäre. Die Einschaltquoten der drei TV-Anstalten NBC, CBS und ABC gingen mit bis zu 85 Prozent durch die Decke. Die Grundlage für das im Fernsehen aufgeführte Polit-Drama hatten die investigativen Recherchen der US-Medien über immer neue Details der Affäre geliefert.

Es begann mit der exklusiven Geschichte der „Washington Post“ über den Einbruch in die Büros der Demokraten im „Watergate“-Komplex von Georgetown. Dieser sah zunächst wie eine gewöhnliche Straftat aus. Deshalb kümmerten sich nicht namhafte Reporter, sondern zwei blutjunge Lokal-Redakteure um die Geschichte.

Bob Woodward und Carl Bernstein fiel bei der Anklageverlesung gegen die mutmaßlichen Einbrecher aber auf, dass einer der fünf ein ehemaliger CIA-Agent war. Es stellte sich heraus, dass James McCord als Sicherheitschef des Komitees zur Wiederwahl Nixons tätig war. Der Verdacht stand im Raum, dass der Einbruch ein politisches Ziel hatte. Wofür auch die bei der Festnahme der Einbrecher gefundenen Abhörgeräte hindeuteten.

Investigative Recherchen

Tiefe gewannen die Recherchen durch die Insider-Unterstützung eines Informanten mit dem Decknamen „Deep Throat“. Dahinter verbarg sich der Vizechef der Bundespolizei FBI, Mark Felt, der sich mit Woodward regelmäßig in einer Tiefgarage traf. Anonym, im Dunklen und sprichwörtlich unsichtbar. Seine Identität blieb bis 2005, kurz vor seinem Tod, verborgen. Felt bestätigte nicht bloß die Recherchen des „Woodstein“ getauften Recherche-Tandems. Er führte die Reporter auch auf neue Fährten.

Der Chefredakteur der „Washington Post“, Ben Bradlee, vertraute seinen Nachwuchstalenten Woodward und Bernstein. Er bewies gute journalistische Instinkte, die Geschichten der beiden prominent zu platzieren. Nur wenige Tage vor Eröffnung der Watergate-Anhörungen erhielt das Blatt für seine Berichterstattung den Pulitzerpreis. Die Chance dafür hätte auch die „New York Times“ ergreifen können. Doch die reagierte zögerlicher und sprang erst spät auf den Watergate-Zug auf. In den ersten sechs Monaten nach dem Watergate-Einbruch publizierte die „Post“ mit rund 200 Artikeln mehr als doppelt so viele wie die „Times“.

Die „Post“ war nicht allein aktiv in der Watergate-Affäre, aber am längsten und konsequentesten. Weshalb sich sowohl die Senatoren als auch die Justiz auf diese Recherchen bezogen. So kontaktierte der Vorsitzende des Watergate-Ausschusses, Sam Ervin, Woodward, um dessen Rat einzuholen. Auch der Richter im Prozess gegen die Watergate-Einbrecher, John Sirica, stützte sich auf Informationen der investigativen Reporter. Später vertraute er Woodward an, wie sehr ihm die investigativen Recherchen in dem Prozess geholfen hätten.

Zäsur in der US-Politik

Ob es ohne die Vorarbeiten der „Watergate“-Enthüller zu den Anhörungen im Senat gekommen wäre, bleibt umstritten. Bernstein selbst räumt ein, dass die Rolle der beiden Reporter bei der Aufklärung der Watergate-Affäre ein wenig „mythologisiert“ worden sei. Menschen liebten es, die Welt in Schurken und Helden aufzuteilen. Tatsächlich seien sie einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen und hätten „das Richtige getan“.

Die Reporter-Legende Dan Rather ist sich sicher, dass Nixon die Vertuschung geglückt wäre, wenn „die Presse ihre Arbeit nicht gemacht hätte.“ So sieht es auch der Historiker David Greenberg, der glaubt, dass die Bundespolizei FBI und der Senat der Affäre ohne die Watergate-Berichterstattung der „Post“ nicht sorgfältig auf den Grund gegangen wären. Andere Experten wie der Historiker Stanley Kutler halten das für übertrieben. Schließlich seien die Hinweise für „Woodstein“ aus dem FBI selbst gekommen.

Gewiss markierte Watergate eine Zäsur in der US-Politik, auch die Öffentlichkeit und die Medien stehen seitdem ihren Regierungen kritischer gegenüber. Wurden deren Handlungen bis dahin selten hinterfragt, haben die Amerikaner gelernt, „dass sie ein Recht haben, zu erfahren, was ihre gewählten Vertreter tun, während sie im Amt sind“, so der Journalist Patrick Hollis.

Nixon aktiv beteiligt

Die entscheidende Frage der Affäre lautete, was Nixon davon wusste und wann? Darum ging es an vorderster Stelle bei den Anhörungen im Senat. Die Amerikaner trauten ihren Ohren nicht, als der Justiziar im Weißen Haus, John Dean, aussagte, er habe Nixon schon früh gesagt, da wachse ein „Krebsgeschwür“ heran.

Dean war der Hauptverantwortliche für die Vertuschungsversuche im Weißen Haus. Weil sein Auftraggeber ihn zum Sündenbock machen wollte, wechselte Dean die Seiten und avancierte zum Kronzeugen gegen Nixon. Der Justiziar des Weißen Hauses führte im Detail aus, wie die Justiz bei der Aufklärung behindert, Falschaussagen unterstützt und Geld gewaschen worden war. Vor allem aber lieferte Dean Belege dafür, dass der Präsident aktiv an alldem beteiligt war.

Das bestätigten später die Tonband-Aufnahmen aus dem Weißen Haus, die Nixon nach den Aussagen Deans an den Ausschuss herausrücken musste. Sie bestätigten die Version seines Justiziars. An einer Stelle etwa ist der Präsident deutlich zu hören, wie er FBI-Ermittler in der Watergate-Affäre anweist: „Verfolgen Sie den Fall nicht mehr weiter! Punkt!“

Die Flucht nach vorn

Der 1250 Seiten umfangreiche Abschlussbericht des Senatsausschusses vom Juni 1974 lieferte die Grundlage zu 40 Anklagen von Regierungsbeamten. Nixon selbst drohte das Ende seiner Präsidentschaft durch ein Amtsenthebungsverfahren. Heillos verstrickt in die Watergate-Affäre, trat er die Flucht nach vorn an. Feierlich kündigte er am 8. August 1974 als erster US-Präsident in der Geschichte seinen Rücktritt an. „Möge Gottes Gnade mit Euch sein in allen Tagen, die vor uns liegen“.

Nixons Niederlage ging als Triumph der Kontrolle der Regierung durch den Kongress in die Geschichte ein, aber auch als der der Presse in den USA. Beides kulminierte in den „Watergate“-Anhörungen, die den Präsidenten als das enttarnten, was er vorgab, nicht zu sein: ein Betrüger.

Die „Watergate“-Enthüller Bob Woodward (rechts) und Carl Bernstein (links).
Die »Watergate«-Enthüller Bob Woodward (rechts) und Carl Bernstein (links).
x