Klette-Festnahme Die mysteriöse dritte RAF-Generation

Die undatierten Handouts des Bundeskriminalamtes (BKA) zeigen Fahndungsfotos (oben) und Alterssimulationen (unten) von Burkhard
Die undatierten Handouts des Bundeskriminalamtes (BKA) zeigen Fahndungsfotos (oben) und Alterssimulationen (unten) von Burkhard Garweg (l-r), Ernst-Volker Staub und Daniela Klette, Mitglieder der inzwischen aufgelösten terroristischen Vereinigung RAF (Rote Armee Fraktion).

Ermittlern ist ein spektakulärer Erfolg gelungen: Nach Jahrzehnten ist Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette in Berlin festgenommen worden. Nun sitzt sie in U-Haft. Lichtet sich jetzt der Nebel um die dritte Generation der Rote Armee Fraktion?

Sie soll sich Claudia genannt, Mathe-Nachhilfe gegeben und zu Weihnachten Kekse verschenkt haben: Doch die freundliche Nachbarin in Berlin-Kreuzberg heiße in Wirklichkeit Daniela Klette und sei die lange gesuchte Ex-RAF-Terroristin, zeigten sich die Ermittler am Dienstag in Hannover überzeugt. Die 65-Jährige selbst bestreite das auch nicht. Anhand ihrer Fingerabdrücke sei es gelungen, sie zu identifizieren.

Zielfahnder waren jahrelang im In- und Ausland Tausenden Hinweisen nach einem flüchtigen RAF-Trio nachgegangen. Die Ermittler hoffen, nach der Festnahme von Klette auch auf die Spur von Burkhard Garweg (55) und Ernst-Volker Staub (69) zu kommen, dem Rest des Trios. Es gebe bereits eine weitere Festnahme in Berlin, berichteten sie am Dienstag.

Festnahme in Berlin

Das Trio wurde lange im Ausland vermutet, doch die Festnahme Klettes gelang letztlich mitten in Berlin. Die Hinweise auf das terroristische und kriminelle Vorleben in der von der 65-Jährigen genutzten Wohnung erscheinen spärlich: Zwei Pistolenmagazine samt Munition förderte eine Durchsuchung ans Licht. Gut drei Jahrzehnte hat Klette im Untergrund verbracht. Doch es war nicht die großangelegte Öffentlichkeitsfahndung, die die Ermittler vor einigen Tagen auch mithilfe der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“ gestartet hatten und bei der mindestens 250 Hinweise eingegangen waren. Der entscheidende Hinweis stammte bereits aus dem November 2023.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gab am Dienstag keine Pressemitteilung zur Festnahme von Daniela Klette ab. Das ist überraschend, da sie der dritten Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) zugerechnet wird, und für die Verfolgung terroristischer Straftaten die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe originär zuständig ist. Aber ob und für welche RAF-Taten Klette heute noch belangt werden kann, muss offenbar erst geprüft werden.

Klette wird vorgeworfen, Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein und 1993 den Sprengstoffanschlag auf den Gefängnisneubau im hessischen Weiterstadt mit begangen zu haben. DNA-Spuren von Klette wurden dort sichergestellt, außerdem bekannte sich die RAF zu dem Anschlag. Auch bei einem fehlgeschlagenen Sprengstoffanschlag auf ein technisches Zentrum der Deutschen Bank im Jahr 1990 wurden Haarspuren von Klette gefunden.

Aber die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verjährt nach zehn Jahren. Weiter wurde bei dem Sprengstoffanschlag in Weiterstadt niemand verletzt. Auch da könnte Verjährung eingetreten sein. Geprüft wird in Karlsruhe nun wohl, ob die Verjährungsfrist durch konkrete Ermittlungen unterbrochen wurde.

Sechs Haftbefehle

Der dritten Generation der RAF wurden bisher auch die unaufgeklärten Morde an dem Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen im Jahr 1989 und dem Treuhand-Chef Detlev Rohwedder 1991 zugerechnet. Diese Taten verjähren nie, allerdings gab es bei diesen Morden, soweit bisher bekannt, keine Spuren, die zu der mittlerweile 65-jährigen Klette führten.

Klette wird sich nach derzeitigem Stand daher nicht für die Terroranschläge der RAF vor Gericht verantworten müssen. Aber ihr wird in sechs Haftbefehlen die Beteiligung an sechs Raubüberfällen zur Last gelegt. Die Raubserie startete nach der 1998 erklärten Selbstauflösung der RAF. Dabei ging es um Beschaffungskriminalität für das Leben im Untergrund.

Immer wieder wurde DNA des Trios Klette, Garweg und Staub im Zusammenhang mit Raubüberfällen gesichert, die sie zwischen 1999 und 2016 begangen haben sollen. Schwerpunkte waren Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Bei den Überfällen etwa auf Geldtransporter waren sie schwer bewaffnet – vermutlich konnten sie sich aus den Waffendepots der RAF bedienen.

Die aktuellsten Fotos, mit denen nach Klette gefahndet wurde, zeigen sie als etwa 30-Jährige Ende der 1980er Jahre. Sie sei aber durchaus von Angesicht zu Angesicht wiederzuerkennen, hieß es am Dienstag.

Viele Jahre tappten die Ermittler im Dunkeln und wussten nicht, wer der dritten Generation der linksterroristischen Rote Armee Fraktion (RAF) zuzurechnen ist. Immerhin zehn der laut Bundesanwaltschaft 34 Morde der RAF sollen auf das Konto dieser dritten Generation gehen.

Was weiß Klette?

Die RAF galt in der Bundesrepublik über Jahrzehnte als Inbegriff von Terror und Mord. Insgesamt ermordete die RAF mehr als 30 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Opfer waren unter anderem Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto und Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. Die Rote Armee Fraktion war 1970 unter anderem von Andreas Baader und Ulrike Meinhof gegründet worden. Neun Morde gelten als nicht aufgeklärt. Einen Höhepunkt erlebte der Terror 1977 im „Deutschen Herbst“.

Aber wissen Staub, Garweg oder Klette, wer am Rohwedder-Attentat beteiligt war? Immerhin soll dabei dasselbe Gewehr benutzt worden sein wie beim Anschlag auf die US-Botschaft in Bonn. „Die werden nichts sagen. Alle haben bislang geschwiegen, keiner hat den anderen verraten“, hatte ein Ermittler vor vielen Jahren prognostiziert. Und so ist die Anhörung Klettes vor einem Untersuchungsrichter am Dienstag keine Überraschung: Es habe keine Einlassung zur Sache gegeben.

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