Meinung Der Iran hat sich verzockt

Ajatollah Ali Chamenei, Oberster Führer und geistliches Oberhaupt des Iran.
Ajatollah Ali Chamenei, Oberster Führer und geistliches Oberhaupt des Iran.

Der iranische Angriff auf Israel wird die Islamische Republik und deren Staatsoberhaupt wohl einen hohen Preis kosten. Ajatollah Ali Chamenei riskiert die Zerstörung seines Lebenswerks.

Geburtstagsfeiern seien Zeitverschwendung, sagte Ali Chamenei einmal. An seinem 85. Geburtstag in dieser Woche hat der iranische Revolutionsführer anderes zu tun, als Gratulanten zu empfangen und sich hochleben zu lassen: Am vergangenen Wochenende hat Chamenei seinen jahrzehntelangen Grundsatz, den Iran aus der direkten Konfrontation mit dem Erzfeind Israel herauszuhalten, aufgegeben und den Iran an die Schwelle eines Krieges mit dem jüdischen Staat geführt. Die Islamische Republik wird für Chameneis Schwenk möglicherweise einen hohen Preis zahlen.

Seit er nach dem Tod von Staatsgründer Ajatollah Ruhollah Khomeini im Jahr 1989 das Amt des Revolutionsführers übernahm und damit zum mächtigsten Mann im Staat wurde, schützte sich Chamenei lange mit einem Kniff vor Kritik. Er kultiviere das Image eines „unparteiischen und großzügigen“ Staatsoberhaupts hoch über den Niederungen der Tagespolitik, analysierte die US-Denkfabrik Carnegie im Jahr 2009. Wenn etwas schief ging, feuerte er Minister oder Bürokraten, die er zu Sündenböcken machte. Erfolge verbuchte er für sich.

Chamenei hat den Schattenkrieg beendet

Auch damit hat Chamenei am Wochenende gebrochen. Der Abschuss von mehr als 300 Drohnen und Raketen auf Israel kann nur vom Revolutionsführer selbst angeordnet worden sein. Damit begrub Chamenei seinen Plan der „strategischen Geduld“, die darin bestand, auf israelische Angriffe entweder überhaupt nicht oder nur über Hilfstruppen wie die Hisbollah im Libanon zu reagieren. Die „Geduld“ und ein niedrigschwelliger Schattenkrieg mit Israel sollten sicherstellen, dass der Iran nicht ins Visier der modernen Streitkräfte Israels oder der USA geriet.

Nun hat Chamenei den Schattenkrieg beendet und Israel direkt angegriffen. Aus der Sicht seines Regimes ging es nicht anders: Der israelische Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus erforderte für Teheran zwingend eine Antwort, um die Glaubwürdigkeit der Regionalmacht Iran auch in den Augen ihrer Verbündeten im Nahen Osten zu wahren. Die „strategische Geduld“ wich deshalb fast über Nacht einer taktischen Eile, mit der Chamenei die Initiative dem Gegner überließ: Teheran will nach wie vor keinen neuen Nahost-Krieg, doch die Entscheidung darüber liegt nicht mehr beim Iran. Chamenei und seine Generäle müssen abwarten, wie Israel jetzt reagiert.

Chamenei riskiert viel

Israelische Kampfjets und Geheimdienstler haben schon häufiger bewiesen, dass sie die iranischen Verteidigungslinien nach Belieben überwinden können. Israel griff iranische Atomanlagen an, schickte Computerviren in iranische Netze und ermordete iranische Atomwissenschaftler. Im Jahr 2018 stahlen israelische Agenten das gesamte Atomarchiv der Islamischen Republik.

Wenn es Israel mit seinem erwarteten Gegenschlag nun erneut gelingt, den Iran schwach aussehen zu lassen, hätte sich Chamenei nach 40 Jahren an der Macht verzockt: Der magere Prestigegewinn, den sein Regime nach dem Angriff vom Sonntag für sich verbucht, wäre dahin – und das jetzt, wo sich viele Iraner ohnehin von der Islamischen Republik abgewandt haben. Vor zwei Jahren gingen Millionen Iranerinnen und Iraner gegen das Regime auf die Straße und forderten in Sprechchören: „Tod dem Diktator!“ Chamenei riskiert die Zerstörung seines Lebenswerkes.

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