Rheinland-Pfalz „Bin ich so fein“

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Eine prickelnde Geschichte ist es auf jeden Fall. Zum Ort des Geschehens gibt es allerdings unterschiedliche Überlieferungen: Die einen sagen, es war in jenem „Wirtshaus an der Lahn“, das im rheinland-pfälzischen Dausenau steht. Andere glauben, der Vorfall habe sich im „Goldenen Hecht“ in Heidelberg zugetragen. Noch andere berichten, dass genau dies in einer Schänke auf dem knapp 400 Meter hohen Berg Jenzig bei Jena passiert ist. Wo auch immer – am Ablauf der Begebenheit gibt es keine Zweifel: Johann Wolfgang von Goethe saß damals im Gasthaus an einem Tisch und trank eine Schorle. Ein Genuss in Ruhe war ihm dabei freilich nicht vergönnt. Denn eine Herrenrunde, die nebenan zechte, spottete unüberhörbar über das verwässerte Getränk. Darauf kritzelte der durstige Dichter diese Verse auf die Tischplatte: Wasser allein macht stumm, das zeigen im Bach die Fische. Wein allein macht dumm, siehe die Herrn am Tische. Da ich keins von beiden will sein, trink ich Wasser mit Wein. Verbürgt ist, dass Goethe zwischen 1774 und 1815 mehrfach in Dausenau im „Wirtshaus an der Lahn“ weilte. Noch bis 1935 sollen dort seine Verse auf dem Tisch – unter einer Glasplatte geschützt – zu lesen gewesen sein. Das sagt zumindest der Chemie-Professor und vielfache Sachbuchautor Georg Schwedt. Er hat in seinem Buch „Als Karl Baedecker durch das Lahntal reiste“ unlängst eine historische Tour nachempfunden – nämlich den Abstecher in dieses schmucke Rhein-Seitental, den der Koblenzer Verleger Baedecker, der Urvaters der Reiseliteratur, 1846 beschrieben hatte. Dass sich bei Schwedt wie Baedecker Reminiszenzen an Goethes Lahn-Erkundungen finden, liegt auf der Hand. Doch ist der große Dichter auch der Erfinder der Wein-Schorle? Wohl nicht. Denn diese geniale Mischung hatte man schon viel früher ausprobiert – nachzulesen ist dies in „Des Knaben Wunderhorn“: Unter dem Titel hatten die Romantiker Clemens Brentano – aus heutiger Sicht übrigens auch ein gebürtiger Koblenzer – und Achim von Arnim zwischen 1805 und 1808 eine stattliche Sammlung alter deutscher Volkslieder herausgebracht. Die Texte vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert füllen drei dicke Bände, dort findet sich auch das Lied „Vom Wasser und vom Wein“: Ich weiß mir ein Liedlein, hübsch und fein, wohl von dem Wasser, wohl von dem Wein. Der Wein kanns Wasser nit leiden, sie wollen wohl alleweg streiten. Genau das tun Wein und Wasser dann – 18 Strophen lang hacken sie mit Vehemenz aufeinander herum und prahlen abwechselnd mit ihren Vorzügen. Ein Auszug: Da sprach der Wein: Bin ich so fein, man schenkt mich in Gläser und Be- cherlein, und trinkt mich für süß und sauer, der Herr als gleich, wie der Bauer. Da sprach das Wasser: Bin ich so fein, man trägt mich in die Küche hinein, man braucht mich die ganze Wochen, zum Waschen, zum Backen, zum Ko- chen. Selbst als am Ende der Redeschlacht der Wein zerknirscht einlenkt, weil er ohne Wasser letztendlich nicht gedeihen kann, stichelt das Wasser weiter. So lange, bis es einem zu bunt wird. Im letztes Vers des Liedes heißt es: Sie wollten noch länger da streiten, – Da mischte der Gastwirth die beiden. Die Geburtsstunde der Weinschorle war also eine Art resolute Befriedungsaktion. In welchem Jahr es dazu kam, lässt sich im Nachhinein nicht mehr klären. „Mündlich“ sei ihnen das Lied überliefert worden, notierten die „Wunderhorn“-Herausgeber. Ungeklärt ist im übrigen auch, wieso Goethes Verse 1935 sang- und klanglos vom Tisch im „Wirtshaus an der Lahn“ verschwanden. Buchautor Schwedt hat jedoch eine Vermutung: „Sie könnten infolge von Renovierungsarbeiten beseitigt worden sein.“ Weggewischt wie eine umgekippte Weinschorle ... | Rolf Schlicher

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