Kultur Eine „Quasi-Religion“

„Niemand erwartet in einer dreimal ausgespülten Kaffeetasse voller Wasser einen starken Kaffee“, stellt Natalie Grams klar.
»Niemand erwartet in einer dreimal ausgespülten Kaffeetasse voller Wasser einen starken Kaffee«, stellt Natalie Grams klar.
Sehen Sie den Globuli-Glauben als Absage an ein wissenschaftliches Weltbild und somit auch als Ausdruck eines gesellschaftlichen Problems?

Ja. Ich würde das heute so sagen. Der Glaube an Irrationales ist zutiefst menschlich. Aber er ist auch eine große Gefahr für uns als Gesellschaft. Es gibt gute Studien dazu. Menschen, die an eine Verschwörungstheorie glauben, sind anderen zugeneigt. Homöopathie ist oft der Einstieg zum Ausstieg aus der normalen Medizin. Dann fängt auch die Impfskepsis an. Oder man glaubt an absurdere Methoden. Es ist auch gesellschaftlich eine Gefahr, wenn sich Menschen nicht mehr an Fakten halten. Haben Sie schon Globuli gegen Frühjahrsdepressionen genommen? Ich habe eher Frühlingsgefühle – aber auch dagegen habe ich keine Globuli genommen. Machen wir es kurz: Wirken Homöopathika? Nicht über den Placebo-Effekt hinaus. Alleine das Gefühl, dass man gut behandelt wird, führt zur Verbesserung der Symptome. Auch die Einstellung zur Erkrankung verbessert sich. Das fasst man unter Placebo- und Kontexteffekten zusammen. Diese treten bei jeder Behandlung auf. Je besser das Verhältnis zum Arzt ist und je größer das Vertrauen, umso stärker können die Effekte sein. Die Homöopathie hat nicht mehr zu bieten. Auch in Studien sehen wir keine Belege, dass es eine spezifische Wirkung gäbe. Einzelne, oft methodisch mangelhafte, zeigen zwar positive Tendenzen, aber in nicht überzeugender Weise. Warum wirkt die Homöopathie nicht? Bei der Herstellung der Globuli wird der Wirkstoff herausverdünnt. Eine physiologische Wirkung gibt es nicht. Auch die Theorie stimmt nicht: Es wird behauptet, bei der sogenannten Potenzierung entstünde eine Energie, eine immaterielle Kraft. Wir wissen heute ganz sicher, dass es diese Kraft nicht gibt. Deshalb gibt es keinen Grund, warum Homöopathie wirken könnte. Das klingt wie der Glaube an Magie. Genau. Ich würde die Homöopathie als Glaubenslehre oder Quasi-Religion bezeichnen. Sie steht wider alle Belege und wider alles Wissen, das wir heute haben. Das ist zutiefst menschlich, das finden wir ja nicht nur bei der Homöopathie. Aber hier wird es zum Problem, da sie sich als Arzneitherapie und als Medizin ausgibt. Sie sagen, der Wirkstoff werde herausverdünnt. Homöopathen nennen das Verfahren Potenzierung – also Verstärkung. Was stimmt denn? Als Homöopathin habe ich auch gesagt, dass das stimmt. Wir haben die wissenschaftlichen Möglichkeiten, das zu prüfen. Ab einer Potenz D6 ist das Verhältnis von Wirkstoff zu Lösungsmittel eins zu einer Million. Ab D23 wird nur noch Lösungsmittel mit Lösungsmittel verdünnt. Da ist kein Molekül Wirksubstanz mehr vorhanden. Die üblichen Dosierungen sind C23, C30 – da ist kein Molekül Wirkstoff mehr zu finden. Da es auch diese Energie nicht gibt, gibt es nichts, was in der Homöopathie wirken könnte – außer der Glaube daran. Keine Wirkstoffe, stattdessen wird von einer „Energie“ gesprochen. Beim Kaffeekochen ist jedem Menschen sofort klar, dass ohne Kaffeepulver kein Kaffee entsteht. Woher kommt die Annahme, dass dies bei Medikamenten doch funktionieren könnte? Weil viele sagen, wir hätten noch nicht die wissenschaftliche Methodik. Aber eigentlich braucht man nur den gesunden Menschenverstand. Keiner würde erwarten, dass eine dreimal ausgespülte Kaffeetasse voller Wasser starken Kaffee enthält. Ich glaube, es liegt daran, dass die Homöopathie seit vielen Jahren mit positiven Attributen belegt wird. „Sanft, natürlich, nebenwirkungsfrei“ – man möchte dem gerne Glauben schenken. Man kneift beide Augen zu und sagt: „Es muss doch so gut sein, wie es klingt.“ Zum anderen machen viele Menschen bei Bagatellerkrankungen die Erfahrung, dass die Homöopathie die Beschwerden habe abklingen lassen. Eine Fehlannahme. Sie rechnen die Besserung der Homöopathie zu und nicht den Selbstheilungskräften des Körpers. Das funktioniert bis zu dem Zeitpunkt, zu dem man mal was hat, das nicht von alleine vergeht. Darin liegt auch die Gefahr der Homöopathie. Was meinen Sie mit Gefahr? Sie verspricht Heilung und kann das Versprechen nicht halten. Schlimm wird es, wenn man eine schwere, chronische oder akute Erkrankung hat – beispielsweise eine eitrige Mittelohrentzündung, Asthma oder Diabetes. Da kann Homöopathie nicht helfen. Wenn man aber Vertrauen dazu aufgebaut hat, schätzt man das vielleicht falsch ein und wartet zu lange, bevor man eine wirksame Therapie anfängt. Oder lässt diese ganz ausfallen. Wir sehen das auch derzeit bei der Impf-Diskussion. Zu viele Menschen denken: „Ich muss ja nicht impfen, ich kann das homöopathisch behandeln.“ Das ist fatal. Dann haben wir wieder Kinder, die an Masern sterben. Sie sagen, der Homöopathie würden die Attribute „sanft, natürlich und nebenwirkungsfrei“ zugeschrieben. Sind die korrekt? Etwas, das keine Wirkung hat, hat natürlich keine Nebenwirkung. Sanft ist die Homöopathie nur dann, wenn man nicht in die beschriebene Gefahrenzone rutscht. „Natürlich“ stimmt auch nicht. Denn nicht alle Ursprungsstoffe sind natürlich. Es gibt auch Plastik-, Röntgenstrahlungs- oder Berliner-Mauer-Globuli und spätestens ab D23 ist ja von der Natur nichts mehr drin. Homöopathie-Anhänger sagen, dass Globuli auch bei ihren Haustieren wirken, und dies wäre der Beweis, dass es nicht nur um Placebo-Effekte gehen kann. Was sagen Sie zu diesem Argument? Gerade Kinder und Tiere haben sehr feine Antennen für ihre Bezugspersonen und reagieren auf sie. Entspannt sich beispielsweise die Mutter, weil sie glaubt, mit den Globuli helfen zu können, so überträgt sich die Entspannung auf das Kind. Man nennt das „Placebo by proxy“. Zudem beobachtet man auch eine Katze anders, wenn man glaubt, etwas Sinnvolles getan zu haben, und erträgt die vergehende Zeit bis zur Besserung leichter. Cannabis gilt als Einstieg zu härteren Drogen. Ist in dem Sinne Homöopathie die Einstiegsdroge zur Esoterik? Zumindest ist sie gesellschaftlich akzeptiert. Wobei man ja auch bei Cannabis gesehen hat, dass es längst nicht so harmlos ist, wie man dachte. Es gab Signale von Gesundheitsminister Jens Spahn, dass er die Finanzierung durch die Krankenkassen kappen möchte. Was erwarten Sie sich von der Politik? Spahn hat einen ersten Schritt unternommen, indem er die Wahltarife für Homöopathie abgeschafft hat. Das ist als erstes Signal zu werten. Die Sache ist die, dass der Homöopathie zunächst der Status als Arzneimittel entzogen werden müsste. Man könnte sie dann auch von den Satzungsleistungen ausschließen. Auf die beiden Schritte hoffen wir. Die Krankenkassen argumentieren mit der Nachfrage nach Homöopathie. Sollten Kassen sich in Gesundheitsfragen nach Kundenwünschen richten? Nein, überhaupt nicht. Sie sollten sich nach Wirtschaftlichkeit und Wissenschaft richten. Wenn wir mit Krankenkassenvertretern sprechen, sind die meist ehrlich und sagen, dass sie nicht an die Wirksamkeit glauben. Globuli sind aber gute Kundenmagneten. So wirkt eine Kasse attraktiv, tolerant und weltoffen. Damit sammelt man ein interessantes Klientel: junge und gesunde Menschen. Trotzdem kann es nicht sein, dass man sich nach der Beliebtheit richtet. Sonst könnten die Kassen auch guten Rotwein erstatten. Zur Person Natalie Grams ist Ärztin und war früher Homöopathin. Die 41-Jährige Grams war bis 2015 als homöopathische Privatärztin tätig. Sie veröffentlichte 2015 ihr Buch „Homöopathie neu gedacht – Was Patienten wirklich hilft“. Während der Recherche zu diesem Werk, das eigentlich die Homöopathie im öffentlichen Diskurs hätte verteidigen sollen, revidierte sie ihre Ansichten und wurde zu einer bedeutenden Kritikerin der Heilmethode. Grams gründete unter anderem zusammen mit dem Autor Norbert Aust das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH), sie ist auch im Wissenschaftsrat der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) aktiv, sowie Kommunikationsmanagerin der Organisation. | Interview: Falk Reimer

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