Kultur Brecht-Inszenierung ganz ohne die moralische Keule

Starker Auftritt: Nele Sommer in der Titelrolle von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ am Pfalztheater.
Starker Auftritt: Nele Sommer in der Titelrolle von Brechts »Der gute Mensch von Sezuan« am Pfalztheater.

„Wertvoll“ ist das Motto der neuen Spielzeit am Pfalztheater in Kaiserslautern. Und weil Brecht zweifellos ein wertvoller Autor ist, startete mit ihm die Sparte Schauspiel am Samstagabend im Großen Haus in die Saison. Gastregisseur Jan Langenheim inszenierte den „Guten Menschen von Sezuan“ mit viel Phantasie und Liebe zum Detail. Prädikat seiner Inszenierung: ebenfalls wertvoll.

Bald 80 Jahre alt ist die Parabel, die Bertolt Brecht 1938 anging und die 1943 schließlich in Zürich uraufgeführt wurde. Von ihrer Aktualität hat sie dennoch nichts verloren, geht es dem Autor in seinem Lehrstück neben Religions- und Kapitalismuskritik um eine schonungslose Analyse der modernen Gesellschaft und des menschlichen Wesens an sich. Bezeichnend, dass in der Rahmenhandlung des Stücks die Götter auf der Erde im chinesischen Provinznest Sezuan nach einem einzigen guten Menschen auch noch mit der Lupe suchen müssen. Und selbst dieser, in Gestalt der Prostituierten und späteren Tabakladenbesitzerin Shen Te, handelt nicht nur aus altruistischen Motiven. Zwar glänzt die barmherzige Samariterin mit guten Taten am laufenden Band. Doch neben einer gehörigen Portion Naivität und Weltfremdheit ist es natürlich auch die Sucht nach Selbstaufwertung, die sie antreibt. „Ich wollte ein Engel sein“, bekennt sie und erkennt gleichzeitig die Mühsal dieser gelebten moralischen Überlegenheit. Immer wieder wird sie belogen, betrogen, ausgebeutet. Wehren kann sie sich nur mittels eines Alter Egos, das sie sich flugs erfindet: Der toughe Cousin Shui Ta holt für sie mehr als einmal die Kastanien aus dem Feuer. Er verdeutlicht, dass Shen Tes Hilfsbereitschaft in Selbstzerstörung mündet und zieht an ihrer Stelle überlebenswichtige Grenzen. Immense Aktualität bekommt Brechts Hauptthema angesichts jüngster Migrationsbewegungen. Die Diskussion um Hilfsbereitschaft und deren Grenzen bis hin zum viel strapazierten Begriff des Gutmenschen ist in seinem Drama par excellence angelegt. Und doch verzichtet Regisseur Jan Langenheim weitgehend auf eine Übertragung. Wenige Leinwandeinspieler von leidenden Kindern in Drittweltländern stellen den Bezug zur krisen- und kriegsgeschüttelten Gegenwart her. Ganz im Sinne des Brechtschen Parabelgedankens, der mit Sezuan alle Orte der Ausbeutung auf dieser Welt angesprochen wissen wollte, überlässt Langenheim die Aktualisierung – wie auch die letztendliche Ausdeutung – dem Publikum. Ein folgerichtiger Schluss, der die moralische Keule, die derzeit auch auf den Bühnen so gerne geschwungen wird, gerade einmal nicht bemüht – wie wohltuend! Vielmehr belebt der Regisseur das Geschehen mit einem ausgesprochen spielfreudigen Ensemble, das er bis in die Nebenrollen und bis ins Detail hinein äußerst dicht und konzentriert agieren lässt. Ob es die schräge Schar der Schmarotzer zwischen Mummenschanztruppe, Mangafiguren und Teletubbieclowns ist oder es die Hauptfiguren selbst sind: Ihre Aktionen verzahnen sich eng zum treibenden Fluss der Handlung, der das Publikum auch über drei Stunden Spieldauer (mit Pause) trägt. Zwar wären Kürzungen durchaus denkbar gewesen, doch reißt der Spannungsbogen nicht ab. Geschuldet ist dies zuerst einmal den schauspielerischen Leistungen: große Klasse die junge Nele Sommer in ihrer erst zweiten Spielzeit nach der Schauspielschule am Kaiserslauterer Haus. Sie verleiht Shen Te und und Shui Ta gleichzeitig überzeugend Gestalt und macht die persönlichkeitsspaltende Ambivalenz dieser Doppelrolle deutlich. Auch ihren Kollegen gelingen die vielen Rollenwechsel, oftmals nur angedeutet durch Details wie einen aufgemalten Bart oder ein herumgetragenes Requisit. Eine „feste Bank“ in Sachen Wandlungsfähigkeit, aber auch Charakterisierungskunst ist die „alte Riege“ im Ensemble mit Hannelore Bähr, Rainer Furch, Henning Kohne, aber auch die mittlere Darstellergeneration mit Oliver Burkia und Daniel Mutlu. Schön, solche Schauspieler am Haus zu haben. Aber auch die Jüngeren liefern starke Talentbeweise. Treffliche Regieeinfälle, ein opulentes Bühnenbild und ebensolche Kostüme (Anja Jungheinrich) sowie die live gespielte beziehungsweise abgerufene Bühnenmusik (Joachim Schönecker) samt Geräuschkulisse und Videoprojektionen sind weitere Ingredienzien, die das gerne als trocken und lehrmeisterlich verstandene Drama spannend machen. Hingehen und ansehen ist also die Devise. Aufführungen —6., 8., 14., 17., 20., 25. Oktober, 8., 29. November, 10. Dezember, 12. Januar, 19.30 Uhr —Karten 0631/3675-209, www.pfalztheater.de

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