Kultur Blinden Auges in die Katastrophe

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Biedermann (Henning Kohne, Mitte) erklärt dem Polizisten (Martin Schultz-Coulon), das
Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Biedermann (Henning Kohne, Mitte) erklärt dem Polizisten (Martin Schultz-Coulon), dass das Fass seiner neuen Freunde Schmitz (Stefan Kiefer, links) und Eisenring (Jan Henning Kraus) voll mit Haarwasser sei – und keinesfalls Benzin enthalte.

Es ist kein leichter Theaterabend, den Jan Langenheim dem Publikum im Pfalztheater Kaiserslautern bereitet. Vielmehr kann seine Inszenierung des Frisch-Klassikers „Biedermann und die Brandstifter“ gehörig nerven. Sie ist anstrengend, macht mitunter ratlos, ist an manchen Stellen schwer auszuhalten und nur eines nicht – langweilig. Denn der Regisseur verpasst dem „Lehrstück ohne Lehre“, so der Untertitel, eine explizite Aktualisierung.

Langenheim nutzt das Stück als Folie, vor dessen Hintergrund er den gesellschaftlichen Status quo angesichts der Migrationskrise schildert. Schon zu Beginn decken die Mitglieder eines die Handlung kommentierenden, an die Antike angelehnten Chors Zeitzusammenhänge auf: zum Irak-Krieg etwa, zur iranischen Revolution, zu Martin Luther Kings Rede. Sie machen bereits deutlich, wohin die Reise geht – eben ins Hier und Heute. Im Verlauf des Dramas präpariert Langenheim als Parallelhandlung die Konflikte heraus, die unsere Gesellschaft spalten. Eine Verständigung ist den Parteien, die sich mit den viel strapazierten Extrembegriffen vom „Gutmenschen“ und „besorgten Bürger“ etikettieren lassen, nicht möglich. Es bleibt beim gegenseitigen Niederbrüllen. Und auch Langenheim deutet hier keinen Ausweg an, er erschöpft sich in einer Zustandsbeschreibung, die wissenschaftlich (Backfire-Effekt) untermauert wird. Zwischen diesen Exkursen aus den Reihen des Chors erzählt Langenheim die Geschichte des Gottlieb Biedermann in grellen, karikierenden Bildern. Plastisch wird dabei das Eindringen der Anarchie in das scheinbar so sichere Bürgertum ebenso wie die typischen Verhaltensmuster des saturierten Bürgers. Bis zum bitteren Ende negiert Biedermann den Fakt, dass er Brandstiftern seine Gastfreundschaft angedeihen lässt, die letztendlich – und nach etlichen Vorwarnungen – auch sein Zuhause abfackeln werden. Sehenden oder besser: blinden Auges stolpert er in die Katastrophe. Doch wer sind nun diese Brandstifter? Der Autor selbst hält sich bedeckt, was in der Rezeptionsgeschichte des Stücks zu den verschiedensten Deutungen führte: Mal waren es Kommunisten, mal Rechte, die den Umsturz betrieben. Auch in unseren Tagen bleiben Interpretationsspielräume. Sind es gewalttätige Migranten, die eine Gesellschaft mit ihren Messerattacken und Gruppenvergewaltigungen unterwandern? Oder sind es die Nazis, die klammheimlich im sprichwörtlichen Gewand des Biedermanns von der AfD die eigentliche Gefahr darstellen? Und so ganz unschuldig ist dieser Biedermann selbst ja auch nicht an der ganzen Misere. Langenheim deutet zwar eine Positionierung an, lässt dem Betrachter jedoch noch so viel Spielraum zur eigenen Interpretation, dass Frischs Intention der Offenheit gewahrt bleibt. Rege Diskussionen des Publikums nach der Aufführung belegten denn auch, dass diese Rechnung aufgegangen ist – das Theater beweist seinen Stellenwert als Stätte der Reflexion. Auf die Brechtschen Lehrstücke spielt Frisch im ironischen Untertitel seines vor 60 Jahren in Zürich uraufgeführten Stücks an. Weiter bezieht er komische und makabre Elemente zuhauf in den Text ein. Auch hier folgt ihm Regisseur Langenheim letztendlich konsequent. Und so überzeichnet er die Figuren seiner Groteske bis ins Schrill-Schräge hinein. Sein Biedermann ist ein Spießbürger aus dem Bilderbuch, mit Zigarre und Anzug, täppisch und überfordert. Henning Kohne verleiht ihm Gewicht – vor Jahren hatte er in der Biedermann-Inszenierung des ehemaligen Pfalztheater-Schauspielchefs Thomas Krauß noch als Brandstifter sein Unwesen getrieben. Diese werden nun als abgefahrenes Doppel von Stefan Kiefer (Schmitz) und Jan Henning Kraus (Eisenring) zwischen Unterwürfigkeit und Unverschämtheit dargestellt. Das Klischee einer konsumverwöhnten Ehefrau bedient Aglaja Stadelmann, neu im Ensemble, bestens. Ebenfalls in ihrer ersten Saison am Pfalztheater ist Sophia Hahn, die das Hausmädchen Anna mit Temperament gibt. Auch die Nebenrollen sind trefflich besetzt. Zusammen mit etlichen Regieeinfällen entsteht auf der Bühne mit ihrem 60er-Jahre-Charme (Anja Jungheinrich, auch Kostüme) ein Spielfluss, der den Zuschauer eineinhalb Stunden (ohne Pause) bannt. Dass er zunächst vielleicht ambivalent aus dem Theater entlassen wird, er sich seine Haltung zur Inszenierung erst erarbeiten muss und im besten Fall seine Einstellung zu unserer Lebenswirklichkeit überdenken kann, ist zweifellos nicht der schlechteste Zug der Inszenierung. Eine Auseinandersetzung lohnt sich also, auch wenn sie anstrengend ist. Termine Am 10., 15., 23., 27. November, 7., 16., 19., 29. Dezember, 9. Januar, 8., 14., 19. Februar im Großen Haus des Pfalztheaters; Karten unter 0631/3675-209 und www.pfalztheater.de.

x