Fussball Wie der Pfälzer Jürgen Kohler 1996 in 14 Minuten zum EM-Titel kam

Kapitäne unter sich: Jürgen Kohler (rechts) und der ehemalige FCK-Profi Miroslav Kadlec vor dem Gruppenspiel.
Kapitäne unter sich: Jürgen Kohler (rechts) und der ehemalige FCK-Profi Miroslav Kadlec vor dem Gruppenspiel.

Am Sonntag steigt im Londoner Wembley-Stadion das EM-Finale zwischen Italien und England. Vor 25 Jahren war Jürgen Kohler, der gebürtige Lambsheimer und Weltmeister von 1990, an gleicher Stelle nicht mehr dabei. Als Europameister firmiert der Ex-Coach des SC Hauenstein trotzdem.

Wembley – da war doch was? Am 30. Juni 1996 ist die deutsche Nationalmannschaft in London zum zweiten Mal Fußball-Europameister geworden. Jürgen Klinsmann führte die Mannschaft von Bundestrainer Berti Vogts als Kapitän zum Titel, das Finale entschied Oliver Bierhoff in der Verlängerung. Es war ein historischer Treffer – das erste Golden Goal der Fußballgeschichte. Als Bierhoff in Minute 95 traf, war das Spiel beendet.

Wenig später nahmen Klinsmann, Köpke, Sammer, Häßler und Kollegen die Glückwünsche der Queen entgegen. Und Stefan Kuntz machte artig einen tiefen Diener, als ihm Königin Elizabeth II. die Hand reichte. Im Trainingsanzug dabei: Jürgen Kohler, der gebürtige Lambsheimer, gerade mit Borussia Dortmund Deutscher Meister geworden, aber im ersten EM-Gruppenspiel nach 14 Minuten verletzt ausgeschieden.

Fatales Duell mit Kuka

Beim EM-Start hieß der Gegner Tschechien. Jürgen Kohler durfte als Kapitän ran, weil Klinsmann pausierte. Bis zur Beförderung Klinsmanns zum Kapitän war es in der Nationalmannschaft geübter Brauch, dass der Spieler mit den meisten Länderspielen die Spielführerbinde trug. Das war nach dem Verzicht auf Lothar Matthäus Kohler, Berti Vogts aber zog Klinsmann vor.

Das traf Kohler damals unerwartet und machte ihm einige Zeit schwer zu schaffen. An jenem 9. Juni vor 25 Jahren in Old Trafford in Manchester trug Kohler die Binde, nach 14 Minuten aber war das Spiel und auch die EM für den Pfälzer Weltklasseverteidiger aus der Nähe von Frankenthal beendet. Das Malheur passierte in einem Duell mit Pavel Kuka vom 1. FC Kaiserslautern. „Das hat mir sehr leid getan, das war Pech. Aber solche Dinge passieren im Fußball“, sagte der einstige Klassestürmer später. „Ich ging allein vom Platz, hatte ja gemerkt, dass es nicht weitergeht. Mein Knie wollte allein spazieren gehen ...“, erinnert sich Kohler an die unglücklichen Minuten. Für ihn kam Markus Babbel von Bayern München ins Spiel, wurde Stammspieler und war 21 Tage später Europameister.

„Mull“ beruhigt den „Kokser“ auf dem Rückflug

Jürgen Kohler flog am Tag nach der Verletzung zurück nach Deutschland, begleitet vom deutschen Mannschaftsarzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, Spitzname „Mull“. In seiner Praxis in München gab es ein MRT-Gerät; das war in jenen Zeiten noch nicht handelsüblich, erinnert sich Kohler. „Der Flieger ging morgens um 6 Uhr. Der Doc hat mich dann doch beruhigt. Ich hatte Glück im Unglück. Es war ein Innenbandriss, es war keine OP notwendig. Sechs, sieben Wochen Pause, ich konnte beim BVB dann in der Vorbereitung einsteigen und wurde in der neuen Saison belohnt – wir haben die Champions League gewonnen.“

Nach dem Karriereende 2002 in Dortmund war er später unter anderem in der Saison 2015/16 Trainer des Oberligisten SC Hauenstein, mit dem er im letzten Aufstiegsspiel am 4. Juni 2016 vor über 3000 Zuschauern im Stadion Am Neding mit 4:4 dramatisch knapp am Regionalliga-Aufstieg scheiterte. Dafür hatte Kohler mit seiner Truppe durch das 2:1 nach Verlängerung gegen den TSV Schott Mainz eine Woche zuvor den Verbandspokal gewonnen. In der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals verloren die „Hääschder“ dann – schon mit Thomas Fichtner als Trainer-Nachfolger von Kohler – auf der Husterhöhe gegen Bundesligist Bayer 04 Leverkusen mit 1:2.

Im Halbfinale wieder als Zuschauer da

In England gewann das deutsche Team damals auch ohne Kohler ihr Auftaktspiel gegen die Tschechen durch Tore von Christian Ziege (26.) und Andy Möller (32.) mit 2:0. „Solche Verletzungen, so ärgerlich sie sind, gehören halt auch zu einer Karriere“, weiß Kohler. Zum Halbfinal-Krimi gegen England, der im Elfmeterschießen 6:5 gewonnen wurde, war der „Kokser“ als Zuschauer wieder zurück. Bei der aktuellen Europameisterschaft verarbeitete Englands Coach Gareth Southgate gerade sein damaliges Trauma des verschossenen, entscheidenden Strafstoßes, indem er mit seinem Team das Halbfinale gegen Dänemark in Wembley gewann und ins Finale am Sonntag an gleicher Stelle einzog.

Im Finale 1996 – das Wiedersehen der Deutschen mit Tschechien. Neben den beiden FCK-Assen Miroslav Kadlec und Kuka prägten große Spieler diese Mannschaft: Karel Poborsky, der nach der EM von Slavia Prag zu Manchester United ging, Pavel Nedved, den Lazio Rom nach dem Turnier von Sparta Prag loseiste, dazu die Schalker Jiri Nemec und Radoslav Latal. Nach 59 Minuten führt Tschechien 1:0 durch den Dortmunder Patrik Berger, der nach der EM zum FC Liverpool wechselte. Wechselbedarf verspürte auch Berti Vogts nach dem Rückstand. „Was? Wer soll reinkommen?“, fragte Rainer Bonhof, der Co-Trainer, entsetzt zweifelnd. In der Bundesliga gescheitert, über Austria Salzburg zu Udinese Calcio gekommen, hatte Bierhoff erst drei Monate vor der EM in der Nationalelf debütiert.

„Bierhoff war stocksauer, weil er nicht gleich spielte“, erinnert sich Jürgen Kohler an den Finaltag, als Nationaltrainer Berti Vogts das richtige Näschen für den Joker mit Torriecher hatte. Vogts wusste, dass Bierhoff in der Jugend- und Juniorenzeit als Joker oft gestochen hatte: „Immer, wenn ich ihn eingewechselt habe, hat er entscheidende Tore erzielt. Er war der Mann, der die Rückstände wettmachte.“ In der 69. Minute löste Bierhoff also Mehmet Scholl ab, vier Minuten später traf er: 1:1. Und in der fünften Minuten der Verlängerung schrieb Bierhoff Fußballgeschichte – 2:1, Golden Goal, Deutschland war Europameister. Und Kohler war einer davon.

Vogts: Star ist die Mannschaft

„Wir hatten damals die Seuche – Mario Basler verletzt, Fredi Bobic verletzt, ich verletzt. So wurde der damalige Freiburger Jens Todt nachgeholt“, erinnert sich Kohler. „Aber wir haben als Mannschaft funktioniert, waren eine Einheit – so wie es Berti sagte: Der Star ist die Mannschaft.“ Die spielte im Finale mit Andreas Köpke - Matthias Sammer - Markus Babbel - Thomas Strunz, Dieter Eilts (46. Marco Bode), Thomas Helmer, Christian Ziege - Mehmet Scholl (69. Oliver Bierhoff), Thomas Häßler - Jürgen Klinsmann, Stefan Kuntz.

Nach knapp einer Viertelstunde war die Europameisterschaft 1996 für Jürgen Kohler (am Boden) vorbei.
Nach knapp einer Viertelstunde war die Europameisterschaft 1996 für Jürgen Kohler (am Boden) vorbei.
Versöhnlicher Abschluss: Jürgen Kohler (rechts) und Markus Babbel im Wembley-Stadion mit dem EM-Pokal.
Versöhnlicher Abschluss: Jürgen Kohler (rechts) und Markus Babbel im Wembley-Stadion mit dem EM-Pokal.
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