Speyer Geburtshelfer der Galileo-Satelliten
. Eigentlich war Rainer Grohe gerade dabei, sich in seinem Ruhestand einzurichten, als er Anfang 2002 zum damaligen Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) in dessen Berliner Büro eingeladen wurde. „Plötzlich klingelte das Telefon und der Minister sagte: Gehen Sie hin, das ist für Sie“, erzählt Grohe. Irritiert hob der frühere Viag-Vorstand ab. Am anderen Ende der Leitung war Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der sagte: „Der Bodewig macht Ihnen jetzt einen Vorschlag, den müssen Sie annehmen!“ „Darf ich ihn mir erst einmal anhören“, fragte Grohe. „Ja, aber nicht ablehnen“ entgegnete Schröder. Rainer Grohe sollte das EU-Satellitennavigationssystem Galileo (siehe Stichwort) aufbauen. „Das wird mehr als ein Fulltime-Job, das war mir gleich klar“, erinnert sich Grohe. Das war es dann erst einmal mit den Ruhestandsplänen. Als Grohe seiner Frau zuhause in Otterstadt davon erzählte, grinste die nur und sagte: „Du kannst ja gar nicht Nein sagen.“ Stimmt, und so kam es, dass Rainer Grohe eineinhalb Jahre später – es hatte unerwartete Verzögerungen gegeben – in einem leeren Büro in Brüssel ankam, vor ihm eine Mammutaufgabe. Galileo ist ein Gemeinschaftsprojekt, das zu je der Hälfte von der Europäischen Union und der Europäischen Weltraumorganisation ESA finanziert wird. Beide wollen das Sagen haben. Mittendrin Grohe als Verwaltungsdirektor der neu gegründeten „Galileo Joint Undertaking“, einer privatwirtschaftlichen Firma, die die technische und kommerzielle Entwicklung des Projektes managen sollte. Grohe musste EU- und ESA-Staaten (zu Beginn waren es 15 + 13, aktuell sind es 28 + 18) und später noch außereuropäische Länder unter einen Hut bringen. So etwas in Europa zu machen, sei schon kompliziert und mit unglaublich viel Bürokratie verbunden. Ein Beispiel: Die ESA verlangte, dass die Herstellung der Komponenten für das Galileo-System auf alle ESA-Länder verteilt wird, was zwar nicht wirtschaftlich sei, aber gute technische Ergebnisse liefere. Die EU dagegen forderte eine weltweite Ausschreibung. „Für mich war das ein riesiger Eiertanz“, sagt Grohe. Eine andere Herausforderung war das Einarbeiten in die Weltraumtechnik. Obwohl Grohe Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik mit Fachrichtung Nachrichtentechnik ist, verstand er am Anfang nur Bahnhof. „Die Weltraumtechniker sprechen ja nur in Abkürzungen“, erklärt er. Großen Spaß habe es ihm dann aber gemacht, mit den vielen jungen Leuten zusammenzuarbeiten. Oft eine ziemliche Herausforderung sei dagegen der Umgang mit Politikern gewesen, die mitunter beratungsresistent sein könnten. Politiker überzeugen zu wollen, sei wie gegen eine Wattewand zu rennen: „Das tut zwar nicht weh, aber man kommt auch nicht durch.“ An Europa schätzt er die Vielfalt. „Ich habe festgestellt, dass die typischen Vorurteile gar keine sind, das ist tatsächlich so!“ Die Uhren in den Satelliten funktionieren hervorragend – sie kommen aus der Schweiz. Franzosen seien tatsächlich eitel, Deutsche verlässlich, aber oft zu honorig und defensiv, Briten Gentlemen und Italiener hätten schon eine Tendenz, krumme Dinger zu drehen, so Grohe. So habe Italien den Start des Projektes um eineinhalb Jahre verzögert, weil es ein zweites Bodenkontrollzentrum in Rom neben dem in Oberpfaffenhofen forderte. Es wurde gebaut. „Dann hat Spanien aufgemuckt, weil es nun auch eines haben wollte“, erzählt Grohe, „das hat sieben Monate gekostet.“ Spanien hat nun pro forma auch ein Bodenkontrollzentrum bekommen, allerdings ohne Funktion. „In solchen Situationen hilft mir nur Gelassenheit.“ 2007 war Schluss für Grohe. Galileo hatte den Praxistest, die „In-Orbit-Validation“ bestanden, die ersten Satelliten haben ihre Signale aus dem All gesendet. Ab da ging es an den Ausbau des Systems und die Inbetriebnahme. Das ist nicht mehr Grohes Aufgabe. Nun hat er also seinen zweiten Ruhestand in Otterstadt begonnen. Stellt sich die Frage, wie ein Galileo-Manager, der in Berlin geboren und an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen studiert hat, überhaupt in den kleinen Ort am Rhein kommt? Dort wohnt er eigentlich schon seit 1986 – mehr oder weniger. Denn von 1969 bis 1991 hat er, mit drei Jahren Unterbrechung, bei BBC (jetzt ABB) in Mannheim gearbeitet und war viel unterwegs, ab 1977 als Vorstandsmitglied. Von 1991 bis 2000 war er Mitglied des Vorstandes von Viag (jetzt Eon) in München. Dazu kamen Aufsichtsratsmandate im In- und Ausland. Otterstadt sah er da höchstens am Wochenende. Seine inzwischen längst erwachsene Tochter sei anfangs gar nicht erfreut gewesen, auf dem Dorf zu wohnen. „Meine Frau hat ihr dann gesagt: Es heißt OtterSTADT aber DüsselDORF.“ Langweilig wird es Grohe auch in Zukunft nicht werden; immer noch hat er verschiedene Aufsichtsratsmandate und damit „eine Handvoll Termine jede Woche“. Endlich hat er aber Zeit, das nachzuholen, was er bei seinen eigenen beiden Kindern verpasst hat: Er kümmert sich liebevoll um die vier Enkelkinder. Die fünfjährige Svenja, die gerade in Otterstadt zu Besuch ist, schmiegt sich wie zum Beweis an den Opa und macht unmissverständlich klar, dass das Interview jetzt bitteschön beendet ist. Sie braucht den Opa zum Spielen.