Speyer „Eure Mandate abzugeben, wäre konsequent“

Frau Christen, fühlen Sie sich provoziert, wenn man Sie mit einem zünftigen „Petry Heil“ begrüßt?Christen:

(lacht) Ich glaube, bis vor zwei Wochen war das nichts als ein Anglergruß. Was die Wahl von einer neuen Vorsitzenden in den Köpfen der Leute bewirkt, ist erstaunlich. Die Frage hat natürlich ernsthaften Hintergrund: Kritiker rücken die AfD in die Nähe der NPD – zurecht? Christen: Das ist vollkommener Quatsch. Wir haben politische Leitlinien, die über ein Jahr alt sind. Das waren unsere Leitlinien für die Europa-, die Kommunal- und für die Bundestagswahl. Ich habe die Broschüre dabei, mit einem schönen Vorwort von Bernd Lucke. Es gibt darin keine programmatische Veränderung. Es gibt aber Äußerungen prominenter AfD-Politiker: Björn Höcke, Thüringen-Chef der AfD, hat in einem Interview gesagt, „dass man nicht jedes einzelne NPD-Mitglied als extremistisch einstufen kann“. Christen: Das sieht auch die Bundesregierung mit ihrem Aussteigerprogramm für NPD-Mitglieder so. Matzat: Damit will man Extremisten zurück in die Mitte der Gesellschaft holen. Aber ein Aussteigerprogramm vom Bund kann ja kein Einsteigerprogramm für NPDler in die AfD sein. Christen: Ich kann nur Herrn Lucke zitieren, der mal gesagt hat, es wäre grundsätzlich zu begrüßen, wenn die Menschen nicht mehr NPD wählen, sondern uns. Matzat: Es geht aber um Mitglieder der NPD, nicht um Wähler. Christen: In der AfD gibt es eine Aufnahmesperre für NPD-Mitglieder. Anders als etwa bei der CDU, wo man ehemalige NPD-Mitglieder sogar auf die Kandidatenlisten lässt. Wir hätten da noch ein paar Zitate von AfD-Politikern: Peter Streichan hat die Grünen auf dem Parteitag in Essen als „pädophile Genderfaschistentruppe“ bezeichnet. Dubravko Mandic verteidigte dort, dass er Obama „Quotenneger“ genannt hat. Heinrich Fiechtner verglich den Koran mit „Mein Kampf“. Verstehen Sie da nicht, dass Herr Matzat keine Lust mehr auf die Partei hat? Christen: Ich kenne kein einziges dieser Mitglieder, die Sie zitiert haben. Ich weiß wohl, dass diese Zitate kursieren. In jeder Partei gibt es Leute, die sich außerhalb des politischen Mainstreams äußern. Matzat: Aber das erste Zitat ist auf dem Parteitag in einer Bewerberrede gefallen. Die Aussage wurde bejubelt. Christen: Nein, wurde sie nicht. Und der Mann wurde nicht gewählt. Matzat: Es gab eine Stichwahl gegen einen Kandidaten, der gesagt hat, dass die Europäische Union eine linksradikale Idee ist. Verurteilen Sie solche Äußerungen, Frau Christen? Christen: Ja, das steht außer Frage. Aber warum reden wir über drei Leute und nicht über mehr als Tausend vernünftige AfD-Mitglieder in Rheinland-Pfalz? Matzat: Ich erinnere daran, dass es auf dem vorletzten Parteitag einen Bewerber für den Landesvorstand gab, der den Islam als faschistoide Ideologie bezeichnet hat. Der hat 38 Prozent bekommen. Man kann also nicht von Einzelfällen reden. Christen: Die Aussagen Einzelner kann man trotzdem nicht zum Programm stilisieren. In unseren Leitlinien finden sich solche Aussagen nicht – und nur die sind verbindlich. Die Ludwigshafener, die Schifferstadter und die Mannheimer Stadtratsfraktionen haben sich nach dem Essener Parteitag aus der AfD verabschiedet. Können Sie das nachvollziehen? Christen: Nein. Wir haben in Essen einen neuen Vorstand gewählt, offenbar war mit dem Gesicht Lucke so viel Persönliches verbunden, dass die Leute es als persönliche Niederlage empfinden, wenn er nicht wiedergewählt wird. Und da zerplatzen sicher auch ein paar Karriereträume. Anders kann ich es mir nicht erklären. Ich habe auch eine Wahlniederlage erlitten, als ich als Landesvorsitzende kandidiert habe. Und ich habe nicht im Traum daran gedacht aufzugeben. Matzat: Da muss ich widersprechen. Das Einstehen für Politik hat immer auch etwas mit Bauchgefühl zu tun. Ein Programm kann man sehr neutral formulieren, damit sich viele Leute darin wiederfinden. Wie das Programm aber gelebt wird, hat sehr wohl etwas damit zu tun, welche politischen Kreise ich anziehe. Und die genannten Äußerungen zusammen mit einem sehr breit gefassten Programm zeigen, dass zumindest in den Ostverbänden eine andere Klientel angesprochen worden ist, als zur Parteigründung 2013. Da hat der Islam keine Rolle gespielt. Und der Ton hat sich verschoben, deshalb treten viele aus. Äußerungen wie „dann schneide ich dem Lucke den Kopf ab“ in Essen haben den Leuten den Rest gegeben. Christen: Das ist nicht wahr. Matzat: Na gut, dann bezichtigst du meinen ehemaligen Stellvertreter Norbert Grimmer der Lüge, direkt neben ihm ist diese Äußerung gefallen. Christen: Ich meine, in Essen sind beide Seiten nicht zimperlich miteinander umgegangen. AfD-Mitbegründer Konrad Adam hat zuerst geredet und wurde ausgebuht, Frauke Petry wurde stark angegriffen bei ihrer Rede. Die Lucke-Anhänger waren aber in der Minderheit. Die breite Basis hat dieser Themenverengung, die er vorhatte, nicht zugestimmt. Petry hat dadurch, dass sie viele Themen angesprochen hat, das Korsett geöffnet. Es war eine unheimliche Befreiung für viele Leute. Es kann sein, dass da manche über die Stränge geschlagen haben. Aber das Vokabular des „Weckrufs“ ist auch interessant. Petry wird als Naziprinzessin bezeichnet, die in der AfD verbleibenden Mitglieder sind auf einmal ein Sumpf und Lumpenproletariat. Das ist das Weckruf-Vokabular. Im Übrigen wäre Lucke heute liebend gerne Vorsitzender derselben Partei, wenn er gewählt worden wäre. Aber wir können uns darauf einigen, dass Worte gefallen sind, die für eine Partei keine gute Werbung sind? Christen: Das stimmt. Das unangemessene Verhalten von Lucke und Olaf Henkel liegt nur schon viel, viel weiter zurück. Matzat: Was war da unangemessen? Christen: Henkel hat vor einigen Monaten schon gesagt, man müsse 20 Prozent der Mitglieder loswerden. Matzat: Das ist keine Beleidigung, das ist eine Meinung. Christen: Wenn Henkel das in Richtung von erfolgreichen Landesvorsitzenden wie Björn Höcke und Alexander Gauland sagt, dann kommen die mit einem Gefühl der Schmähung zum Parteitag. Dann entlädt sich das. Herr Matzat, wenn man Sie als Fahnenflüchtigen bezeichnet, würde Sie das provozieren? Matzat: Nein, ich habe die Konsequenz daraus gezogen, wie die Ausrichtung der Partei jetzt sein wird. Ich will diese Entwicklung nicht mittragen. Ich bin in eine offenere Partei eingetreten, als es die Partei ist, aus der ich jetzt ausgetreten bin. Meinungen, wie man mit dem Islam oder der Flüchtlingsfrage umgeht, können nicht mehr offen diskutiert werden. Christen: Genau das Gegenteil ist der Fall. Herr Matzat, Sie sagen, der Rechtsruck der AfD war für Sie ein Austrittsgrund wie auch die Annäherung an Pegida und die Position zur Homo-Ehe. Matzat: Genau, das ist nicht mehr meine Welt. Die Annäherung an Pegida, die von Teilen der Partei vorangetrieben wurde, hat ja darin gegipfelt, dass wir uns in Essen als Pegida-Partei bezeichnet haben. Schon im Dezember sind Gauland und Petry zu Pegida und haben sich nicht distanziert, sondern solidarisiert. Das war ein großer Fehler. Ich hatte als Polizist mit Pegida-Demonstrationen zu tun. Dort waren ganz klar Leute, die der extremen Rechten zuzuordnen sind. Christen: Ich würde da gerne einiges richtig stellen. Die Universität Dresden hat ermittelt, dass die Pegida-Demonstranten nicht rechts stehen, sondern gut ausgebildete und überdurchschnittlich verdienende Mittelständler sind, die laut Studie „ihr grundgesetzlich garantiertes Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen“ – und das sollte nun wirklich nicht in Frage stehen. Und erstens hat Gauland nicht an einer Pegida-Demo teilgenommen, sondern sich vor Ort umgesehen, wie die Lage ist, das haben andere auch getan … Matzat: … wie man das dann nennt, ist zweierlei … Christen: … zweitens hat Frau Petry keine Gespräche geführt, sondern ein Gespräch. Und sie hat die Tür geöffnet für etablierte Politiker, es ihr gleichzutun. Hätte Petry Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich und SPD-Chef Sigmar Gabriel nicht unter Zugzwang gesetzt, hätten die nicht das Gespräch mit den Leuten gesucht. Wenn so viele Menschen auf die Straße gehen und ihr Unwohlsein ausdrücken, sollte man mit ihnen reden. Matzat: Ich würde es nicht als viele Menschen bezeichnen, wenn in Dresden ein paar Zehntausend auf die Straße gehen und im Westen keiner dieser Ableger irgendeinen Erfolg hat. Die Menschen haben dieses Problem so nicht gesehen. Die AfD wollte es als Mittel zum Zweck nutzen. Christen: Was soll der Zweck sein? Matzat: Wähler anzuziehen, die die AfD als Protestpartei wahrnehmen. Christen: Das musst du der SPD dann auch vorwerfen. Matzat: Die AfD hat das anders genutzt. Christen: Die Polizei hatte übrigens mit Aggressionen zu tun, die von Gegendemonstranten ausging. Pegida-Demonstranten mussten vor linken Aktivisten beschützt werden. Aber Sie wissen, dass an der Pegida-Spitze fragwürdige Personen stehen? Christen: Niemand von uns hat sich mit Pegida jemals gemein gemacht. Die AfD tritt nur dafür ein, Menschen, die mit einem Anliegen auf die Straße gehen, nicht von oben herab abzukanzeln, sondern mit ihnen zu sprechen. Nichts anderes ist geschehen. Gilt das für Menschen aus dem ganz linken und ganz rechten Spektrum? Christen: Das war in Dresden kein Spektrum, das nur pauschal gegen Einwanderung demonstriert hat. Es ging nicht nur um dieses Thema. Wo kommt denn das Wort „Lügenpresse“ her? Das kommt daher, dass die Menschen sich durch die Presse falsch wiedergegeben fühlen, durch die GEZ-Medien zum Beispiel. Matzat: Genau so ein Vokabular und solche Pauschalisierungen wie GEZ-Medien stören mich. Christen: Ich weiß, die AfD Ludwigshafen ist etwas bequemer als andere Verbände oder Fraktionen. Matzat: Was meinst du damit? Christen: Oppositionsarbeit ist anstrengend und unter Umständen auch unangenehm. Matzat: Unbequem ist zum Beispiel, Abtreibungsfragen im Kreistag zu debattieren, der dafür überhaupt nicht zuständig ist. Christen: Ja, zum Beispiel. Für den Antrag, wie wir ihn gestellt haben, war der Kreistag sehr wohl zuständig. Frau Christen, wo steht die AfD denn jetzt im politischen Spektrum? Christen: Die Parteienlandschaft in Deutschland hat einen sehr starken linken Schwerpunkt. Das erkennt man auch daran, dass die CDU im Laufe der vergangenen zehn bis 15 Jahre konservative Themen mehr und mehr verlassen hat und dem linken Mainstream hinterhergelaufen ist. Wer hätte denn vor zehn Jahren geglaubt, dass ausgerechnet die CDU den altlinken Traum von der Abschaffung der Wehrpflicht erfüllt? Matzat: Das ist kein linker Traum, die FDP war schon lange für die Abschaffung der Wehrpflicht. Christen: Ein anderes Beispiel ist der Atomausstieg, ohne dass ich der Atomkraft das Wort reden will. Die CDU greift immer mehr Themen ab, die ins linke Spektrum gehören. Rechts davon ist ein riesiges Vakuum entstanden. Und das füllt die AfD. Matzat: Da stimmen wir überein. Nur war die AfD so ursprünglich nicht angelegt. Rechts der CDU, davon war am Anfang nie die Rede. Partei des gesunden Menschenverstands, hieß es. Christen: Du wirst doch nicht bestreiten wollen, dass das alles hochkonservative Themen sind, die die AfD vertritt. Matzat: Ja, aber sie wurde erst mit der Zeit so konservativ. Deswegen bin ich ausgetreten. Frau Christen, Frauke Petry hat alle Lucke-Anhänger, die aus der Partei ausgetreten sind, zum Mandatsverzicht aufgefordert. Sollte Herr Matzat seinen Sitz im Stadtrat aufgeben? Christen: In der Tat finde ich, dass es die Mitglieder sind, die die Mandatsträger in ihre Mandate gebracht haben. Und konsequenterweise müsstet ihr die Mandate abgeben, wenn ihr aus der Partei austretet. Matzat: Das sehe ich anders. Wir haben auf unserer Kreisversammlung einstimmig ein Programm beschlossen. Und diesem Programm fühlen wir uns verpflichtet und werden es konsequent weiter verfolgen. Christen: Wenn dir unsere Leitlinien zu konservativ sind, warum bist du dann nicht letztes Jahr schon ausgetreten, als sie beschlossen wurden? Matzat: Ich habe die Entwicklung beobachtet und jetzt eine Entscheidung getroffen. Frau Christen, der Landesvorstand ist zurückgetreten. Werden Sie sich noch mal um den Landesvorsitz bewerben? Christen: Das habe ich noch nicht entschieden. Aber ich werde auf jeden Fall weiter mitarbeiten, wenn es möglich ist, auch im Vorstand. Herr Matzat, wenn sich eine neue Lucke-Partei gründet, machen Sie mit? Matzat: Ich werde mir Zeit lassen, um diese Entscheidung zu treffen. Im Moment ist das völlig offen. Frau Christen, die Griechenland-Krise kocht gerade hoch – und die AfD hat dilettantisch die Chance verspielt, davon zu profitieren, stimmt’s? Christen: Ja, das ist das große Versäumnis der vergangenen Wochen. Ausgewiesene Wirtschaftsexperten haben sich auf einen Machtkampf versteift, anstatt sich den wichtigen Themen unserer Zeit zu widmen. Matzat: Wegen innerparteilicher Querelen war keine Zeit mehr, echte Sachpolitik zu machen. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass wir eine Alternative zu diesem Euro-Konstrukt bräuchten, die formuliert werden müsste von einer politischen Kraft. Diese Chance ist vergeudet worden.

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