Rhein-Pfalz Kreis Leben auf 9,82 Quadratmetern

Um 6 Uhr morgens ist „Lebendkontrolle“. Denn dann werden die Zellentüren in der Jugendstrafanstalt (JSA) Schifferstadt wieder geöffnet. Bis zu zwölf junge Straftäter sind pro Wohngruppe untergebracht. Sie sollen ihre Strafe verbüßen, resozialisiert werden und die nötige Erziehung erfahren. Um im Idealfall später ein Leben in geregelten Bahnen führen zu können.

Fliesen auf dem Boden, blaue Zellentüren rechts, Duschraum und Küche links. Der Flur ist karg, fast schon steril: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Leise öffnet sich eine Zellentür, mit einem jungen Mann tritt der Geruch von kaltem Zigarettenrauch in den Gang. „In den Hafträumen dürfen die jungen Männer rauchen“, erklärt Birgit Genzlinger, Sozialarbeiterin und Wohngruppenleiterin in der JSA Schifferstadt. Im spärlich eingerichteten Gemeinschaftsraum in der Mitte des Flurs ist das mittlerweile tabu. Ein Grund, warum er oft verwaist ist. Die Inhaftierten sitzen lieber in ihren Räumen und sehen fern – teils alleine, teils zusammen. Der junge Mann in beiger Anstaltskleidung, der kurz zuvor aus seiner Zelle kam, nickt.

Jeder hat seine Aufgabe

Während die anderen Wohngruppen-Mitglieder im Unterricht oder bei ihrer Arbeitsstelle in der JSA sind, kümmert er sich um Hausarbeit. Jeder, erklärt Genzlinger, bekomme eine Aufgabe. Im Haftraum sitzen und gegen die Wand starren – nein, das sei wahrlich nicht förderlich. Für Schule und Arbeit gibt es Geld. Ein wenig zumindest: 80 bis 150 Euro sind das pro Monat. Drei Siebtel davon sind Hausgeld, mit dem sich die jungen Männer einmal die Woche etwas am Kiosk kaufen oder Privatkleidung bestellen können, vier Siebtel sogenanntes Eigengeld. Strom, Telefon und Fernseher werden davon bezahlt, oft aber auch Schulden. Wer hier einsitzt, hat eine Geschichte. Eine, die oft von Misserfolgen geprägt ist. „Mit Hilfssystemen haben die jungen Männer positive und negative Erfahrungen gemacht“, sagt Genzlinger. Sie arbeitet seit 1991 in der Strafanstalt und hat über die Jahre viel Erfahrung gesammelt. „Man kommt mehr oder weniger gut an sie ran.“ Angebote gibt es viele. Verpflichtende und freiwillige. Sport kommt bei den meisten Jungs gut an. Suchtberatung oder Therapie sind oftmals eher Pflichtübungen als Kür.

Mindestens sechs Monate sitzen die Gefangenen ein

In der Jugendstrafanstalt kommen alle zusammen: vom Dieb bis zum Mörder. „Alle Delikte, die es im Strafgesetzbuch gibt, sind vorhanden“, sagt Genzlinger. Mindestens sechs Monate sitzen die Gefangenen ein, höchstens zehn Jahre. In den Wohngemeinschaften wird weder nach Alter, noch nach Nationalität oder Straftat unterschieden. Das Zusammenleben funktioniere in der Regel. „Aber man muss ein gutes Auge haben, ob jemand unterdrückt wird“, erklärt die Wohngruppenleiterin. Es herrsche eine klassische Hierarchie – je nach Straftat. Sexualstraftäter stehen auf unterster Stufe. Wird in der Gruppe gemobbt, schweigen Opfer oft aus Angst. Zum Glück gebe es immer wieder Ausnahmen. Im Schichtsystem kümmern sich Vollzugsbeamte und Psychologen gemeinsam mit Genzlinger, die für zwei Gruppen verantwortlich ist, um die jungen Männer. Elf Bedienstete sind das tagsüber in einem Hafthaus mit je vier Wohngruppen. Wenn die Zellen am Abend abgeschlossen sind, übernimmt der Nachtdienst.

Kontinuität im Knast

Das Leben hinter Gittern ist klar reguliert und strukturiert. „Draußen hatten die Jungs oft keine Kontinuität“, sagt Klaus Beyerle, der Leiter der JSA. In der Einrichtung bringe man den Häftlingen das bei, was sie „im Normalfall daheim vermittelt bekommen“. Dieser Erziehungsauftrag sei ein Grundpfeiler der Arbeit. „Es gibt hier viele Regeln, das ist anfangs für die Gefangenen schwierig.“ Daher gibt es für die ersten vier bis sechs Wochen eine Zugangsabteilung. In dieser Zeit wird auch der Vollzugs- und Eingliederungsplan erstellt, der individuell fortgeschrieben wird. „Wir überprüfen ihn immer wieder, um das beste Ergebnis zu erzielen.“ Die Erziehung baut auch auf dem klaren Tagesablauf auf. Um 6 Uhr morgens wird aufgeschlossen: „Lebendkontrolle. Wir haben eine ganz eigene Sprache hier“, sagt Genzlinger. Und: „Der letzte Suizid liegt 13 Jahre zurück“, betont Beyerle. Nach dem Frühstück muss der Haftraum aufgeräumt werden, bevor es zwischen 7 und 7.30 Uhr zur Schule oder Ausbildung geht. Bis spätestens 15 Uhr sind die jungen Männer dort beschäftigt. Es folgen Hofstunde und Freizeit. Sport, kochen, Anti-Aggressionstrainings, Gespräche in Suchtgruppen, all das ist dann möglich, bevor der Abend in der Wohngruppe beginnt. Der besteht zum Beispiel aus Putzen – nach Plan, versteht sich. „Es ist wie eine große WG, aber im Zwangskontext“, sagt Genzlinger.

Nachts kommt keiner raus noch rein

Der junge Mann, der in der Wohngruppe Hausdienst macht, lässt bereitwillig einen Blick in seinen Raum zu: Gitter vor dem Fenster, ein Bett mit blaukariertem Kissen und brauner Wolldecke, ein kleiner petrolfarbener Tisch, passende Regale, Schrank und kleine Nasszelle mit Toilette und Waschbecken. „Hier gibt es nur kaltes Wasser“, sagt Genzlinger. „Leider“, ergänzt der junge Mann. Wer warmes Wasser will, muss in den Duschraum. Luxus gibt es eben nicht auf den 9,82 Quadratmetern. Die Wände dieses Haftraums sind leer. In einem anderen hängen Bilder an einer Pinnwand. „Jeder gestaltet es anders. Einige möchten es nicht heimelig haben“, sagt Genzlinger. Ein kleines Stückchen Freiheit ist der kleine Schlüssel, den jeder Bewohner hat. Jener zu seinem Haftraum. Um ein kleines Stück Privatsphäre zu haben. Doch der kleine ist nicht so machtvoll wie jener große Bartschlüssel, den Birgit Genzlinger in den Händen hält, mit dem sie Zugang zu allen Räumen hat. „Die jungen Männer können sich in ihren Raum zurückziehen und abschließen“, erklärt die 52-Jährige. Aber der große Bartschlüssel öffne die Tür natürlich – auch wenn mit dem kleinen abgesperrt wurde. Nachts jedoch ist die Tür zu. Kein Rein, kein Raus – zumindest nicht ohne den großen Bartschlüssel. Sollte etwas sein, können die Inhaftierten über eine Sprechanlage mit dem Nachtdienst kommunizieren. Bis morgens um 6 Uhr. Wenn „Lebendkontrolle“ ist. Lediglich am Wochenende ist der Tag ein wenig anders: keine Arbeit, keine Schule. Dafür kürzere Öffnungszeiten. Heißt: später auf, früher zu. Und somit mehr Zeit auf den 9,82 Quadratmetern. Der junge Mann schließt derweil mit dem kleinen Schlüssel wieder seine blaue Zellentür auf und verschwindet in seinen knapp zehn Quadratmetern. Im kargen Flur bleibt nur der Geruch nach kaltem Rauch zurück.

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