Rhein-Pfalz Kreis Auf das Stilfser Joch mit dem Klapprad

Geschafft! Michael Vornetran, Sarah Dunker, Monika Ballheimer-Stamm und Andrea Hick (von links) haben den Gipfel erreicht. Die F
Geschafft! Michael Vornetran, Sarah Dunker, Monika Ballheimer-Stamm und Andrea Hick (von links) haben den Gipfel erreicht. Die Frauen haben sich Zöpfe an den Helm geklebt. Ein bisschen Spaß muss sein.

«Schifferstadt.» „Das geht nicht.“ Wenn Michael Vornetran aus Schifferstadt diesen Satz hört, ist der Ansporn für ihn und seine Radfahrfreunde nur umso größer. Ihre jüngste Tour führte sie nach Südtirol. Dort bezwangen sie das Stilfser Joch, den höchsten Gebirgspass in Italien – mit dem Klapprad, wohlgemerkt. Ein bisschen verrückt müssen sie dafür schon sein. Knapp 2000 Höhenmeter, durchschnittlich zehn Prozent Steigung. Und das ohne Gangschaltung!

48 Kehren. Wie in den Fels gemeißelt sehen sie aus. Schier unendlich winden sich die Serpentinen den Berg hinauf, von Prad auf 910 Metern bis zur Passhöhe des Stilfser Jochs auf rund 2760 Metern. Ein Paradies für Radfahrer, Amateure wie Profis – und eine Qual. „Die Kehren sind nummeriert“, sagt Michael Vornetran, „und zwar rückwärts.“ Ab Nummer 4 wird er richtig hart. Da brennen die Oberschenkel. Begonnen hat alles vor einigen Jahren an der Kalmit. „Das ist unser Hausberg“, sagt Vornetran, 58 Jahre alt, beim Marathonteam Ketsch aktiv. Auch mit dem Rennrad hat er schon einiges erlebt – ist etwa über die Berge Mallorcas oder Touren durch die Dolomiten gefahren. Und doch ist die Kalmit etwas ganz Besonderes für ihn. Oder besser: eine bestimmte Veranstaltung dort bei Maikammer, der Klapprad-Cup. Als kleines Gaudi-Rennen hat es zum Beginn des Jahrtausends angefangen, inzwischen ist es Kult. Jedes Jahr machen fast 1000 Menschen mit. „Es wird immer verrückter“, sagt er, „es ist wie Karneval an der Kalmit.“ Die Leute sind verkleidet und treten in die Pedale. 48 Kehren. Das ist schon eine andere Hausnummer, weiß auch Vornetran. Natürlich kennt er das Stilfser Joch. Die Idee, mit dem Klapprad den Berg zu bezwingen, ist eine Gemeinschaftsproduktion. „Aber die Initialzündung dürfte von mir gekommen sein“, sagt Vornetran. Gemeinsam mit Sarah Dunker, Monika Ballheimer-Stamm und Andrea Hick beginnt er die Planung des Abenteuers. Als jemand zu ihnen sagt, dass das Vorhaben ohnehin nicht klappt, wächst der Ehrgeiz nur. Sie wollen das Stilfser Joch mit einem „echtem“ Klapprad hinauffahren – ohne Schaltung, mit nur einem Gang. „Die Klapprad-Gemeinde ist sehr rührig“, sagt Vornetran. Man kennt sich, die Rennen sind immer ein netter Treffpunkt. In diesem Jahr war er auch beim ersten Schifferstadter Klapprad-Cup während des Rettichfests am Start. „Oval geht es um Geschwindigkeit“, sagt Vornetran, „am Berg um Intensität.“ Beides hat seinen Reiz. Während der Vorbereitung für die Alpen-Tour sammeln die Pedaleure Spenden für das Heart-Racer-Team in Heidelberg. Der Verein setzt sich für die Inklusion behinderter Kinder durch Sport ein. Es werden 2500 Euro zusammenkommen, von denen die Institution ein Tandem-Rennrad kaufen wird. Im Training fahren die vier um Vornetran die Kalmit drei- bis viermal hintereinander hinauf. „Als Simulation“, sagt Vornetran. Der Hausberg hat eine durchschnittliche Steigung von sechs Prozent. In Südtirol sind es im Schnitt 7,2 Prozent, im steilsten Stück 15 Prozent. Bei vielen Rad-Internetportalen ist das Stilfser Joch einer der am häufigsten aufgerufenen Pässe. Einer seiner Spitznamen ist „Höchster Rummelplatz Europas“. Auch die Profis fahren beim Giro d’Italia regelmäßig hinauf. Es ist Herausforderung und Faszination zugleich. 48 Kehren. Zunächst ist die Strecke von Wald umgeben. Nach der Hälfte der Serpentinen schweift der Blick in die Ferne, heißt es in einigen Reiseführern über die Strecke. Auf den 3905 Meter hohen Ortler. Der Weg führt vorbei an Berghöfen, mit Ausblicken auf die umliegenden Dreitausender und Gletscher. Die Luft wird dünner. Das lässt sich auch an der heimischen Kalmit nicht trainieren. Bis Ende Mai ist der Pass jedes Jahr gesperrt. In den Wochen zuvor blicken die vier Klapprad-Fahrer per Webcam nach Südtirol. Sie sehen Schnee, meterhoch. „Ein Unsicherheitsfaktor“, räumt auch Vornetran ein. Doch zum Start Anfang Juni – Kaiserwetter in Italien. Los gehts. Die Vier fahren zusammen, geben aufeinander acht. Der Pass ist auch ein Paradies für Motorradfahrer. „Da will man nicht anhalten müssen und ein Fahrrad reparieren“, sagt Vornetran. Zwei Begleitfahrzeuge passen zusätzlich auf. Gut drei Stunden brauchen sie für knapp 25 Kilometer Strecke und fast 2000 Höhenmeter. Nahezu gleichzeitig kommen die vier oben an. Und werden empfangen wie Helden, erzählt Vornetran. Die Klappräder haben durchgehalten. Und sie auch. 48 Kehren. Stilfser Joch. Seit bald 200 Jahren verbindet der höchste Gebirgspass Italiens das Veltin und Südtirol. Der Grund für den Bau waren nicht der Handel oder früher Tourismus. Sondern militärische Überlegungen. Das passt ja. Heute bietet die Bergstrecke einen Kampf zwischen Mensch und Berg. Michael Vornetran und seine Mitstreiterinnen haben ihn gewonnen.

Die Bergstrecke am Stilfser Joch ist schlicht imposant.
Die Bergstrecke am Stilfser Joch ist schlicht imposant.
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