Neustadt Ein Festmahl für die Augen

Suggestives Spiel mit Strukturen und 3D-Effekten: „Unendlich“ von Ursula Rieder.
Suggestives Spiel mit Strukturen und 3D-Effekten: »Unendlich« von Ursula Rieder.

«Neustadt». Als Familientreffen des Neustadter Kunstvereins beschreibt der Vorsitzende Wolfgang Glass gerne die im Zwei-Jahres-Rhythmus ausgerichteten Mitgliederausstellungen in der Villa Böhm. Folgt man diesem Bild, so haben sich bei der aktuellen Ausgabe, die an diesem Freitag eröffnet wird, wieder besonders viele Onkel und Tanten eingefunden. Anders als bei früheren Gelegenheiten stimmt diesmal aber auch die künstlerische Qualität. Und natürlich gibt es wieder für nahezu jeden Geschmack etwas.

Mit 73 ausstellenden Künstlerinnen und Künstlern (bei knapp 290 Vereinsmitgliedern insgesamt) liegt die Beteiligung zwar etwa im Mittel der letzten Jahre, dadurch aber, dass diesmal wesentlich mehr großformatige Gemälde angeliefert wurden, herrscht doch ein ganz schönes Gedränge an den hohen Wänden in der Villa Böhm. Dass viele dieser Werke auch ausgesprochen intensive Farberlebnisse bieten, verstärkt noch den Eindruck der Opulenz. Stilistisch dominiert dabei einmal mehr die ungegenständlichen Malerei in ihren unterschiedlichen Facetten von Informel, Tachismus und Abstraktem Expressismus bis hin zu Anklängen an Konstruktivismus, Farbfeldmalerei und Op-Art, wobei sich allerdings manch langgedientes KV-Mitglied auf seine alten Tage quasi noch einmal neu erfindet. Umgekehrt kann sich der Verein aber auch diesmal wieder über etliche interessante Neuzugänge aus nah und fern freuen, die seine ungebremste Anziehungskraft bei Kunstschaffenden aus der ganzen Pfalz belegen. Aus der Fülle der abstrakten Bilder seien hier nur einige wenige Beispiele herausgegriffen: der Neustadter Reiner Landua etwa mit einer exquisiten monochromen Tupf-Komposition, der er den Titel „Farbraum B“ gegeben hat. Oder der Königsbacher Hans-Werner Scholl mit einem unbetitelten Großformat, das mit seinen feinen Riffelungen in Weiß und Grau Assoziationen an Fossilien oder geologische Strukturen heraufbeschwört. Wie eine schrille Farbexplosion wirkt dagegen die „Orangene Welt“ von Anja Hardt aus dem nordpfälzischen Albisheim. Und die in Brüssel und Neustadt lebende Elke Michels zeigt eine Farbfeldkomposition, die mit ihrer großen Blaufläche fast ein wenig an Yves Klein erinnert. Wolfgang Ternis wiederum, der aus dem rheinhessischen Flörsheim-Dalsheim stammt, zeigt eine große, farblich suggestive Arbeit, die wie ein Labyrinth von oben aussieht. Den malerisch entgegengesetzten Pol besetzen einige hyperrealistische Bilder, etwa eine amerikanische Großstadtansicht in kaltem nächtlichem Blau der Kaiserslautererin Ursula Coressel oder eine fast altmeisterlich anmutende Waldszene des Neustadters Klaus Scheu mit dem Titel „Aufbruch“, die nicht nur vom Motiv her – ganz oben am Bildrand ist ein Reiter zu erkennen – fast so anmutet, als solle hier ein Eichendorff-Roman illustriert werden. So eindeutig sind freilich nur die wenigsten der rund 20 Gemälde, die man in der Schau mit einigem Recht der Gegenständlichkeit zuordnen kann. Hervorzuheben wären hier etwa die abstrahierten Landschaften von Peter Büchler und Cordula Wagner oder ein in der Tradition der phantastischen Kunst stehendes Aquarell-Sgraffito von Manfred Küchler, das einen Krebs mit Perle und Feder vor einem magisch dunklen Himmel zeigt. Ein echter Hingucker ist die Mischtechnik „Unendlich“ der Lachen-Speyerdorferin Ursula Rieder, die sich im Grunde jeder stilistischen Zuordnung entzieht. Es ist ein mit schwarzen und weißen Streifen überzogener Frauentorso, der entfernt an eine Madonna erinnert – allerdings eine mit nackten Brüsten. Politische Aussagen finden sich – eigentlich erstaunlich angesichts der turbulenten Zeiten – nur in zwei Arbeiten: Gleichermaßen suggestiv und plakativ ist dabei das „Freedom“ betitelte Branding-Art-Objekt des Neustadters Emil Walker, das eine angekettete und mit Einschusslöchern übersäte Schmetterlingsfrau zeigt, deren in den Farben Russlands und der USA gehaltene Flügel auch gleich anzeigen, woher die Bedrohung der Freiheit nach Auffassung des Künstlers kommt. Gerhard Lämmlin, sonst eher in der Abstraktion zu Hause, klagt in seiner mit Collage-Elementen angereicherten Mischtechnik „No more lost generations – make peace“ dagegen das Schicksal der Kindersoldaten weltweit an. Die aufgeführte Liste der betroffenen Staaten reicht von Afghanistan bis Yemen. Natürlich sind in der Ausstellung auch einige schöne Beispiele aus den Bereichen Plastik, Grafik und Fotografie vertreten, während Medienkunst – wie fast jedes Mal – vollständig fehlt. Der Gang durch die fünf prall mit Kunst gefüllten Räume bereitet trotzdem viel Spaß. Auch hier passt deshalb wieder sehr gut die eingangs erwähnte Metapher vom Familienfest: Man muss sich dabei nur eben aussuchen, neben wem man sitzen will und wem man doch lieber aus dem Weg geht. Am Ende aber wird man sicher sagen, dass es insgesamt doch eine schöne Sache war. Die Ausstellung Die Mitgliederausstellung des Kunstvereins wird am Freitag, 16. Juni, um 19 Uhr in der Neustadter Villa Böhm eröffnet und läuft im Anschluss bis 2. Juli. Öffnungszeiten: donnerstags und freitags 15–18 Uhr, samstags und sonntags 11–13 Uhr und 15–18 Uhr. Zur Einführung bei der Vernissage spricht Katharina Dück, die Vizevorsitzende des Vereins. Michael Hofreiter sorgt mit Elektronic-Pop für die musikalische Umrahmung. Der Eintritt ist frei.

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