Ludwigshafen „Wo sind die Gagen hin?“

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2016 werden, wie bereits in den Jahren zuvor, beim Filmfestival in Ludwigshafener gleich zwei Preise für Schauspielkunst vergeben. Einer geht am kommenden Samstag an Maria Furtwängler. Mit dem ersten ist am Sonntag Ulrich Tukur ausgezeichnet worden.

Tukur kam mit seiner Frau, der Fotografin und Bühnenbildnerin Katharina John, und dem gemeinsamen Hund, einem Eurasier, aus Kiel nach Ludwigshafen. Der Schauspieler und Musiker hatte noch am Vorabend ein Konzert („Let’s Misbehave!“) zur Eröffnung der Kieler Woche gegeben. Festivaldirektor Michael Kötz, selbst ein Kind der Ostfriesischen Insel Langeoog, gestand in seiner Laudatio, dass er Tukur stets ebenfalls für einen Norddeutschen gehalten habe. Regionalpatriotischer Applaus brandete auf, als er dann aber zugeben musste, dass der blonde Schauspieler in Viernheim, „also hier um die Ecke“, zur Welt gekommen ist. Freilich, mutmaßte Kötz, wisse er gar nicht, wie Viernheim aussehe, da die Eltern mit dem 1957 geborenen Sohn bald nach Westfalen und schließlich nach Niedersachsen umzogen. „Ich wusste doch, dass er etwas Norddeutsches hat“, sah Kötz sich bestätigt. In Tübingen studierte Tukur Germanistik und begann mit dem Musikmachen, das er bis heute als Sänger, Pianist und Akkordeonist mit seiner Band, den Rhythmus Boys, pflegt. In Stuttgart begann er dann eine Ausbildung zum Schauspieler und landete 1983 wieder im Südwesten, nämlich als Nachwuchsdarsteller bei den Städtischen Bühnen in Heidelberg. „Er wäre also beinahe beim Theater gelandet“, so Kötz, „wenn er nicht zwei Jahre zuvor zum ersten Mal vor einer Filmkamera gestanden hätte“. Der Regisseur Michael Verhoeven war der erste, der ihn engagierte: als Willi Graf in dem Kinofilm „Die weiße Rose“, der 1983 mit einem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Bis heute folgten Rollen in annähernd 100 Filmen, unter ihnen so bekannte wie „Stammheim“, „Solaris“, „Das Leben der Anderen“, „Ein fliehendes Pferd“, „Das weiße Band“, sowie als Kommissar Felix Murot im „Tatort“. Es gebe aber neben den unterschiedlichsten Tukurs in all den Filmen und Formaten mindestens vier weitere Persönlichkeiten, die es zu ehren gelte, führte Kötz aus: „Tukur, den Theatermann, Tukur, den Musiker, Tukur, den Schriftsteller und ein bisschen auch Tukur privat“. Kötz zählte 75 Spielfilme, 13 CDs, 15 Hörbücher und drei Bücher von Tukur, dazu bislang 20 Auszeichnungen und fragte provokant vor der Vergabe der 21.: „Ulrich Tukur, was willst du hier? Du hast doch schon alles!“ „Dann kann ich ja gehen!“ entgegnete der Schauspieler, der dann doch auf seinem Platz blieb. Die Liste der Leistungen, die der Viernheimer, der mittlerweile ein Venezianer ist, bisher vollbracht hat, habe ihn regelrecht erschüttert, bekannte Kötz: „Wir werden in wenigen Jahren einen weiteren Preis an ihn verleihen müssen – den Herkulespreis für Schauspielkunst!“ „Ich bin sehr verwirrt über diese Masse an Leben und was ich alles getan habe“, entgegnete Tukur, als er den Preis entgegennahm. „Die Frage ist natürlich: Wo sind die ganzen Gagen hin?“ Ja, es sei natürlich verdammt viel, was er bereits gemacht habe, aber das Leben sei auch so verdammt aufregend, wunderbar, erstaunlich und unverständlich, dass man es immer wieder neu abzubilden versuche, um es überhaupt zu verstehen, erklärte der 58-Jährige. Den Blumenstrauß reichte Tukur an seine Frau weiter, bei der er sich damit dafür bedankte, dass sie „diesen ganzen Wahnsinn“ mitmache. Ernst Ludwig Ganzert, der Produzent des anschließend gezeigten Fernsehfilms „Herr Lenz reist in den Frühling“, berichtete, dass auch dieser Filmtitel eine Idee Tukurs gewesen sei. „Dieser Mann ist nie müde und keine Diva!“ ergänzte voller Achtung Andreas Kleinert, der Regisseur des schön skurrilen Films um einen verstockten Deutschen auf unvorhersehbaren Pfaden tief in Thailand.

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