Ludwigshafen „Der Kollege hängt“

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Auf der Nordseite des Müllheizkraftwerks ist es ganz schön kalt am Donnerstag zur Mittagszeit. Frank Roßberg kommt gut gelaunt um die Ecke. GML-Geschäftsführer Thomas Grommes begrüßt den Leipziger und fragt: „Sind die Temperaturen kein Problem?“ Alles gut, signalisiert Roßberg. Dann streckt er den Zeigefinger: „Schauen Sie, der Kollege hängt.“ Was flapsig klingt, ist einfach eine sehr prägnante Arbeitsbeschreibung. Denn seit Montag ist der 35-jährige Roßberg mit seinen Kollegen Torsten Friedrich und André Wühlert in Ludwigshafen, um an der Fassade des GML-Müllheizkraftwerks Korrosionsschutz- (also Schutz von Metallteilen) und Anstricharbeiten auszuführen. Das Besondere dabei: Das Trio aus Leipzig hat kein Gerüst aufgebaut, um in 37 Metern Höhe Hebebühnen, Geländer und Türen zu streichen. Die Handwerker hängen an Seilen, die auf dem Flachdach befestigt sind. Seit 2004 ist Roßberg als Handwerker selbstständig und hat sich vor ein paar Jahren dann auf Arbeiten mit Seilzugtechnik, so der offizielle Name, spezialisiert. Es gibt sogar einen eigenen Verband, den Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken, erklärt Roßberg. „Über diesen ist unter anderem genau geregelt, wer in welcher Höhe arbeiten darf und welche Fortbildungen dafür zu besuchen sind.“ Klingt irgendwie banal. Für Roßberg ist es das auch. Sein Job sei „ganz normal“. Weltweit sei er auf Baustellen unterwegs. Die Bandbreite reiche von einer Dachrinnenreinigung bis zu Arbeiten an Industrieanlagen. Wichtig sei vor allem technisches Verständnis, um die Baustellen entsprechend einrichten zu können – „und eine große Portion Vertrauen in die Technik, dass einem da oben nichts passiert“. Auch den Job an der Fassade des Müllheizkraftwerks stuft Roßberg nicht als sonderlich herausfordernd ein. Da es das Flachdach sowie verschiedene Türen und Hebebühnen gibt, kommen er und seine zwei Kollegen überall hin und können sich gut absichern. „Wir sind einfach da oben und streichen“, sagt er. Thomas Grommes kann das nicht so stehen lassen: „Von wegen. Ich wäre da oben nicht in der Lage, einen Pinsel zu halten.“ Gelächter. Das kommt auch auf, als eine Kollegin von Grommes aus der Pause kommt. Ob sie auch mal da hoch wolle, fragt der Chef. Die Frau zögert nicht: „Ja“. Aber dann schiebt sie nach: „Es darf dann da oben nur keine Spinne rumkrabbeln.“ An diese Tiere hat Roßberg bisher keinen Gedanken verschwendet. Vögel sind eher ein Thema, weil diese die luftigen Höhen ja für sich reklamieren. Wenn zu Brutzeiten solche Arbeiten anstünden und ein Nest in der Nähe sei, könne es schon mal laut werden. „Aber sonst lassen uns die Vögel in Ruhe“, sagt der 35-Jährige. Im Blick hat er eher, dass niemandem etwas passiert. Deshalb sind die 10,5 Millimeter dicken Seile auch mit einer Schutzhülle versehen. „Damit sie an einer scharfen Stelle nicht gleich reißen.“ Aktuell ist Torsten Friedrich derjenige, der gewissermaßen im Seil sitzt und den Pinsel schwingt. Genau genommen, sind es zwei Seile, „damit er auch Fläche machen kann“. Wie in einem Seilzug kann sich der Handwerker an der Wand nach unten oder oben bewegen. Das geschieht über Körperkraft. Das ist doch aber anstrengend? Roßberg bleibt gelassen: „Sitzt man den ganzen Tag im Seil, spürt man das abends schon.“ Als er vor ein paar Jahren angefangen habe, habe er das nicht länger als 30, 45 Minuten durchgehalten. „Aber man gewöhnt sich dran. Das ist wie beim Laufen, da steigt auch niemand mit dem Marathon ein.“ Das Leipziger Trio wechselt sich bei der Arbeit im Tagesverlauf ab: einer ist im Seil. Einer passt in der Nähe auf und sichert den Kollegen. „Das muss sein. Wenn jemand da oben das Bewusstsein verlieren sollte, wäre das Hängen im Seil sein Tod.“ Und der dritte, der nicht gerade oben an der Baustelle sein muss, schaut sich die Arbeiten von unten an. „Da haben wir die Perspektive der Kunden und können mitteilen, wo Nachbesserungsbedarf ist“, sagt Roßberg. Dass er überhaupt in Ludwigshafen ist, hat etwas mit dem Thema Nachbesserungsbedarf zu tun. Denn Auftraggeber Grommes will und muss dafür sorgen, dass seine Gebäude in Schuss bleiben. „Deshalb machen wir regelmäßig einen neuen Anstrich und sorgen für Korrosionsschutz.“ Außerdem will Grommes weg von den vielen verschiedenen Farben am Müllheizkraftwerk. So verschwinden mit dem Anstrich die gelben und blauen Elemente, alles wird grau. „Dadurch soll die Anlage geordnet aussehen. So wollen wir auch Vertrauen bei den Bürgern aufbauen“, sagt Grommes. Der Kontakt zu den Fassadenkletterern ist vor ein paar Jahren bei anderen Arbeiten an der Anlage zustande gekommen. Der GML-Chef hat großen Respekt vor den Fachleuten, die in luftiger Höhe Hand anlegen. Und sie helfen ihm, Geld zu sparen. Für die aktuellen Arbeiten hätte ein Gerüst 30.000 Euro gekostet, erklärt er. „Nun kostet alles zusammen die Hälfte.“ Ganz zufrieden betrachtet Frank Roßberg derweil den Fortschritt der Arbeiten. In bis zu 200 Metern Höhe war er schon als Handwerker im Einsatz, 500 Meter Seil hat er dabei. Dass es kalt ist, stört ihn nicht. Die Farbe halte ja trotzdem. Nur Seitenwind sei richtig unangenehm – und gefährlich.

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