Kultur Cannes: Der französische #MeToo-Film

Judith Godrèche (Mitte, kurze Haare) mit den Beteiligten an ihrem Film auf der Bühne im Stranskino.
Judith Godrèche (Mitte, kurze Haare) mit den Beteiligten an ihrem Film auf der Bühne im Stranskino.

Judith Godrèche stand nicht allein auf der Bühne im Strandkino am Mittwochabend, etwa 50 der tausend Frauen, die in ihrem Kurzfilm „Moi aussi“ (ich auch, die Übersetzung von Me too) zu sehen sind, umringen die 52-jährige französische Schauspielerin, Regisseurin und Aktivistin.

„Der Film gehört euch, ich bin stolz, hier in Cannes zu sein, wo die größten Stars sind, und dass ihr gekommen seid, um das Projekt zu unterstützen“, bedankte sie sich bei den Französinnen, die ihrem Aufruf gefolgt waren, bei dem Kurzfilm dabei zu sein. Sie hatten sich ab 6. Februar 2024 bei der E-Mail-Adresse moiaussijudith@gmail.com gemeldet und erzählt, was sie als Opfer von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen erlebt haben. Innerhalb weniger Wochen waren 6000 Aussagen da.

Godrèche, Sex-Opfer des Regisseurs Benoît Jacquot, hatte in Frankreich eine Untersuchungskommission zu sexueller Gewalt in der Filmbranche gefordert, der sich Schauspielerinnen wie Juliette Binoche anschlossen. Godrèche vergleicht die Filmbranche mit einer Familie, in der sich keiner traut, einen anderen anzuzeigen, auch wenn in Frankreich in den letzten Jahren immer mehr sexuelle Übergriffe in der Filmbranche bekannt geworden sind – gegen die Regisseure Benoît Jacquot und Jacques Doillon, gegen den Produzenten Alain Sarde, den Schauspieler Gérard Depardieu.

Massenszene aus „Moi aussi“ von Judith Godrèche mit der Tänzerin Tess Barthélémy im weißen Kleid,
Massenszene aus »Moi aussi« von Judith Godrèche mit der Tänzerin Tess Barthélémy im weißen Kleid,

Der 18-Minuten-Film, der von der Festivalleitung kurzfristig noch ins Programm der Nebenreihe „Un certain regard“ und des Strandkinos aufgenommen wurde, ist eine Hommage an die Frauen, die Godrèche geantwortet haben. Er wurde im März in Paris erst gedreht und schnell geschnitten, damit er für Cannes fertig sein kann. Es ist kein depressiver Film, auch wenn da am Anfang eine ältere Frau erzählt, dass sie 19 war, als es passierte, eine andere, dass sie sechs war, als der Schwiegervater sie missbrauchte. Die Stimmen der Frauen überlagern sich, sie verschwimmen und verschwinden, die Frauen werden zu einer anonymen, aber dennoch sichtbaren Masse.

In ihrer Mitte zieht eine Tänzerin die Blicke auf sich, Sie ist ganz in Weiß mit langen lockigen Haaren, sie erscheint wie ein Engel. Es ist Godrèches 19-jährige Tochter Tess Barthélémy, die sich zwischen den Frauen auf einer breiten Pariser zu grazil bewegt zu einem poetischen englischen Lied nur mit Gitarrenbegleitung, das für den Film komponiert wurde. Da ist die Rede von einem Schatten in einem anderen Licht.

Gegen das Schweigen

Die Frauen in der Menge werden lebhafter, sie flüstern einander ins Ohr, sie fassen sich an die Händen, dann halten sich alle beide Hände vor den Mund und gehen langsam schweigend aus dem Bild – denn es geht Godrèche auch um die Frauen, die immer noch schweigen und sexuelle Übergriffe nicht melden. Im Abspann ist zu lesen, dass 160.000 Kinder jedes Jahr vergewaltigt werden, jede fünfte Frau sexuelle Übergriffe beklagt – und jeder 14. Mann, 81 Prozent bevor sie 18 sind. In Frankreich wird der kurze, poetische und nachdenkliche Film auch im Fernsehen gezeigt. In Deutschland gibt es noch nichts Vergleichbares.

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