Ludwigshafen „Das lassen wir uns nicht bieten“

91-64873560.jpg

Die fast 40 000 Beschäftigten in der Ludwigshafener Chemiebranche verfolgen gespannt die zähen Verhandlungen im aktuellen Tarifstreit. „Die Fronten sind verhärtet“, sagt IG BCE-Bezirksleiter Roland Strasser. Das Angebot der Arbeitgeber nennt der Gewerkschafter „eine Frechheit“. Mehr als 10 000 Teilnehmer erwartet er in einer Woche bei einer Großdemo.

Herr Strasser, bei der Vollversammlung der Vertrauensleute am Freitag im Heinrich-Pesch-Haus ist das Angebot der Arbeitgeber auf wütende Proteste gestoßen – warum?

Ganz einfach – weil es fernab von jeglicher wirtschaftlicher Realität in den Betrieben liegt. Es wertschätzt in keiner Weise die Arbeit der Kollegen in der chemischen Industrie, die im Vorjahr dafür gesorgt haben, dass eine überwältigende Mehrheit der Unternehmen Rekordergebnisse eingefahren hat. Das Angebot und auch das Verhalten der Arbeitgeber spiegelt nicht das wider, was die Arbeitnehmer verdient haben. Was konkret verdient denn ein Kollege im Jahr in der Chemiebranche? Im Schnitt 45.000 bis 50.000 Euro – je nach Unternehmen. In der Pharmaindustrie sind die Einstiegsgehälter höher als etwa in Betrieben, die Kunststoffe verarbeiten. BASF-Vorstandsvorsitzender Kurt Bock verdient per anno fünfeinhalb Millionen Euro. Ist das angemessen? Dazu äußere ich mich nicht. Warum nicht? (lacht) Das müssen Vorstand und Aufsichtsrat entscheiden. Im Vergleich zu manch anderen Vorständen beziehen die BASF-Vorstände noch ein relativ moderates Gehalt. Ob 5,5 Millionen Euro angemessen sind – darüber sollte sich jeder selbst ein Bild machen. Mir fehlt zumindest das Verständnis dafür, dass eine Tätigkeit als Vorstand im Vergleich zu der Arbeit der Beschäftigten so viel mehr wert sein kann. Zur Wahrheit gehört auch, dass ein höherer Abschluss die BASF eine ganze Stange Geld kosten wird. Ja, klar. Aber der Lohnzuwachs ist berechtigt. Unsere Forderungen sind nicht aus der Luft gegriffen. Am Ende des Tages sind die Personalkosten in der chemischen Industrie relativ gering. Deren Anteil am Umsatz ist nicht immens hoch. Da spielen andere Faktoren wie Rohstoffe eine gewichtigere Rolle. Wegen eines Tarifabschlusses hat noch kein Unternehmen Insolvenz anmelden müssen. Und für wirtschaftlich schwächere Unternehmen wurde immer eine gute Lösung gefunden, wie sie mit dem Abschluss umgehen können. Da gibt es etwa Öffnungsklauseln, die gezogen werden können, wenn die wirtschaftliche Situation insgesamt sehr angespannt ist. Ich kann Ihnen aber sagen: Im Bezirk Ludwigshafen hat diese Klauseln in den vergangenen Jahren kein Unternehmen in Anspruch genommen. Unternehmen schwächeln anscheinend immer nur dann, wenn es um die Tarifverhandlungen geht. Wie meinen Sie das? Schaut man sich die Wirtschaftsdaten an, die über die Medien kommuniziert werden – ob nun bei der BASF, bei Abbvie oder außerhalb unseres Bezirks bei Merck –, stellt man Folgendes fest: Gegenüber den Analysten, Aktionären und Anteilseignern werden superschöne Bilder gemalt. Aber wenn es um die Beschäftigten und die Tarifverhandlungen geht, dann sind plötzlich nur noch dunkle Wolken am Himmel. Genau das bemängeln wir in dieser Tarifrunde. Früher ist man recht schnell zu vernünftigen Gesprächen gekommen. Das ist aktuell mit den Arbeitgebern nicht möglich. Die Fronten sind definitiv verhärtet. Das hat nichts mehr mit Säbelrasseln zu tun. Wenn die Arbeitgeber bei der nächsten Verhandlungsrunde am 26. März kein vernünftiges Angebot vorlegen, dann sieht die Welt in der chemischen Industrie in Zukunft anders aus als bisher. So kann man mit uns als Partner nicht umgehen. Das lassen wir uns nicht bieten. Und deshalb machen Sie Druck – am 24. März soll es in Ludwigshafen eine Großdemonstration geben. Die Demo ziehen wir auf jeden Fall durch, damit die Beschäftigen zeigen können, was sie vom Angebot der Arbeitgeber halten. Ich erhoffe mir mehr als 10.000 Teilnehmer. Der Demozug wird ab 16.30 Uhr vom Betriebsratsgebäude der BASF über die Hochstraße bis zum Pfalzbau zur Hauptkundgebung führen, die um 17.30 Uhr beginnt. Es ist doch immer das gleiche Spiel bei Tarifverhandlungen: Zunächst das große Säbelrasseln auf beiden Seiten – und am Ende einigt man sich dann doch in der Mitte. Dass man zu Beginn gegensätzliche Einschätzungen zur wirtschaftlichen Lage austauscht, liegt in der Natur der Sache. In der Vergangenheit haben wir aber dann immer in ruhiger Atmosphäre gute Abschlüsse hinbekommen. Doch die aktuelle Lage ist eine veränderte Situation für uns. Es ist ein Irrglaube, dass man eine Forderung aufstellt, 50 Prozent davon abzieht und dann ein vertretbares Ergebnis erhält. Beim letzten Abschluss haben wir 5,5 Prozent mehr Lohn gefordert und am Ende einen Kompromiss bei 3,7 Prozent gefunden. Da sieht man, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Man muss immer schauen, wie man zueinander kommt. Beide Seiten müssen mit dem Kompromiss leben können. Hält jede Seite ihre Maximalforderung aufrecht, kommt man zu keinem Ergebnis. Daher sind Tarifabschlüsse immer Kompromisse – aber immer schön auf Augenhöhe. Sie nennen das Angebot der Arbeitgeber eine Frechheit – womit würden Sie denn leben können? (lacht) Das ist eine gute Frage. Deshalb stelle ich sie. Da müssen Sie Peter Hausmann, unseren Tarifverhandlungsführer in Hannover, fragen. Oder Landesbezirksleiter Francesco Grioli, der für die regionalen Verhandlungen verantwortlich ist. Jetzt tun Sie nicht so, als ob Sie keine Zahl vorm Komma im Kopf haben. Die habe ich. Aber ich werde sicher nicht der RHEINPFALZ ausplappern, mit welchem Verhandlungsergebnis ich zufrieden wäre. Seien Sie mir nicht böse, aber an diesem Punkt kriegen Sie mich nicht. Schade. Dann hätte ich gerne eine Meinung von Ihnen dazu, dass die BASF ihren Pensionären im 150. Jahr des Bestehens keine Prämie auszahlt. Diese Generation hat den Konzern doch erst zu dem gemacht, was er ist. Ich kann den Frust der Pensionäre aufgrund ihrer Lebensleistung für die BASF nachvollziehen. Viele haben sich sicher erhofft, eine Jubiläumsprämie zu bekommen oder zumindest eine Wertschätzung. Aber das ist ein Beschluss, den der Vorstand so getroffen hat. Mit der Verärgerung darüber muss die BASF-Führung leben. Wie geht’s in den nächsten Tagen in Sachen Tarifabschluss weiter? Wir werden die Kollegen für die Demo in einer Woche mobilisieren, über den Sachstand informieren, diskutieren und den Arbeitgebern noch mehr Druck machen. Wir sehen noch eine Chance, bei der anstehenden Verhandlungsrunde am 26. März ein Ergebnis zu erreichen, falls die Arbeitgeber sich bewegen. Und bewegen heißt? Kein neuerliches Angebot von 1,6 Prozent vorlegen. ZUR PERSON Roland Strasser Der 39-Jährige  leitet seit vier Jahren den Bezirk Ludwigshafen der Gewerkschaft IG BCE mit rund 36.000 Mitgliedern. Der gebürtige Frankfurter lebt aktuell in der Nähe von Darmstadt. Er  hat bei Hoechst Industriemechaniker gelernt. (ier)  MEHR ZUM THEMA

x