Kreis Südliche Weinstraße Ganz im Sinne Luthers

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Vorderweidenthal. Um 11.40 Uhr am gestrigen Montag komme ich im evangelischen Gemeindehaus, direkt neben der schmucken Kirche gelegen, an. Von 12 Uhr bis 12.30 Uhr geht meine Schicht. „Es ist ganz einfach, Sie warten bis zum Schlag der Kirchturmuhr, dann gehen Sie vor zur Bibel. Die Dame, die vor Ihnen liest, zeigt Ihnen, wo sie gerade ist, dann geht es weiter“, instruiert mich Pfarrer Johannes Berthold. Seine Idee ist die Bibellesung. „Verbo solo“ – das Wort alleine soll gelten. Damit meinte Luther das Wort Gottes, die Heilige Schrift – die Bibel. Also ist das, was gerade in Vorderweidenthal passiert, ganz im Sinne des Reformators. Ilona Hoff liest sehr ruhig, nicht zu laut und nicht zu leise. Aber wie soll ich lesen? Ich bin im Vorlesen durchaus geübt. Meine beiden Söhne freuen sich, wenn Papa ihnen hin und wieder etwas vorliest. Aber „Feuerwehrmann Sam“ oder „Die Welt der Saurier“ – das ist schon etwas anderes als die Bibel. Außerdem ist der Saal ziemlich groß. Die Turmuhr schlägt. 12 Uhr. Los geht’s. „Als aber der Sohn Sauls hörte, dass Abner in Hebron umgekommen war, entfiel ihm der Mut, und ganz Israel erschrak“, lautet mein erster Satz. Wir sind beim zweiten Buch Samuel – Isch-Boschets Ende – im Alten Testament angelangt. Gelesen wird aus der neuen Luther-Bibel, die zu Beginn des Jubiläumsjahres an alle protestantischen Kirchengemeinden ausgehändigt wurde. Vier Zuhörer habe ich. Ilona Hoff, Pfarrer Berthold und ein älteres Paar. Eigentlich ein bisschen wenig, denn das Vorlesen macht wirklich Spaß. „Na ja, die Resonanz ist natürlich ganz unterschiedlich“, sagt Pfarrer Berthold. Los ging es am Sonntag um 11 Uhr, direkt nach dem Gottesdienst. Erster Vorleser war Dekan Dietmar Zoller. Da war der große Saal im Gemeindehaus voll besetzt. „Die Leute kommen und gehen, mal sind es mehr, mal weniger“, erzählt Berthold. Natürlich waren in der Nacht zum Montag kaum Zuhörer da. Pfarrer Berthold, der immer dann einspringt, wenn sich in der Vorleserliste eine Lücke auftut, hat in der Nacht gelesen, ebenso seine Frau. Vorgelesen hat aber auch Birkenhördts Ortsbürgermeister Matthias Ackermann, der von 1 Uhr bis 1.30 Uhr dran war. „Ich hab zu den Leuten gesagt, ihr könnt doch sowieso nicht schlafen, dann kommt doch einfach rüber ins Gemeindehaus und hört ein bisschen zu“, scherzt Berthold. Er hatte mit diesem Vorschlag durchaus Erfolg. Kurz nach 1 Uhr kam tatsächlich jemand, um mal zu sehen, wie das so ist mitten in der Nacht. Auch in den frühen Morgenstunden gab es Zuhörer, die sich, bevor sie zur Arbeit fuhren, noch ein paar Bibelverse anhörten. Um 6.30 Uhr hat dann Helmut Veiock vorgelesen. Er ist Austräger der RHEINPFALZ. Und nach getaner Arbeit hat er sich direkt ins Gemeindehaus begeben, um vorzulesen. Schammua, Schobab, Nathan, Salomo, Jibhar, Elischua, Nefeg, Jafia, Elischama, Eljada, Elifelet – zugegeben, die Namen aus dem Alten Testament sind für den Mitteleuropäer des 21. Jahrhunderts nicht immer ganz leicht auszusprechen. Ich bin Christ. Ich bin Protestant. Ich bin getauft und konfirmiert, und ich hab auch schon hin und wieder in die Bibel geschaut. Aber ganz ehrlich, die Passagen, die ich gestern gelesen habe, waren mir völlig unbekannt. „Man merkt bei einigen schon, dass das Alte Testament nicht so geläufig ist“, hat Berthold festgestellt. Die zitierten Namen gehören übrigens den Söhnen König Davids, die ihm zu Jerusalem geboren wurden. Als es darum ging, das Reformationsjubiläum im Dekanat Bad Bergzabern zu organisieren, ist Johannes Berthold die Idee mit der 82-Stunden-Lesung gekommen. „Ich hatte davon gehört, dass so etwas schon einmal irgendwo gemacht wurde. Da hab ich mir gedacht, warum soll ich das nicht einmal hier probieren“, erzählt Berthold. Es sei ihm klar gewesen, dass das in so einer kleinen Pfarrei nicht ganz einfach ist. „Aber es hat geklappt“, freut er sich. Natürlich gibt es Presbyter, die, wie Pfarrer Berthold und seine Frau, mehrfach in diesen vier Tagen zum Einsatz kommen müssen. Aber die Bereitschaft an der ungewöhnlichen Aktion teilzunehmen, begeistert den Geistlichen. Die katholischen Diakone Franz Ripplinger und Albert Wilhelm haben ebenso vorgelesen wie am gestrigen Montagabend der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Gebhart. Bis morgen, Mittwoch, so gegen 16.30 Uhr wird eifrig weiter vorgelesen. Auf einen Mitstreiter freut sich Johannes Berthold ganz besonders. Der kommt aus Straßburg, macht in Weißenburg einen Krankenhausbesuch und fährt dann nach Vorderweidenthal, um aus der Bibel vorzulesen. Durch ihn hat Berthold auch erfahren, dass es eine ähnliche Aktion schon einmal im Jahr 2003 in Straßburg gab. „Dort haben sie 82 Stunden gelesen, natürlich in einer französischen Bibel“, erzählt Berthold. Wieder schlägt die Kirchturmuhr. Es ist 12.30 Uhr, meine Vorlesezeit ist zu Ende. Sie verging wirklich rasend schnell. Pfarrer Berthold löst mich ab. Meine vier Zuhörer sind bis zum Ende geblieben. Kann also nicht so schlecht gewesen sein.

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