Kreis Germersheim Politischer Umbruch zertrümmert die bürgerliche Mitte

Trotz Massenelend: Lange Zeit kämpften die Kommunisten vor allem gegen die SPD.
Trotz Massenelend: Lange Zeit kämpften die Kommunisten vor allem gegen die SPD.

«Wörth». Für den Deutschen Bundestag gilt die allgemeine, gleiche, direkte und geheime Verhältniswahl. Gleich nach dem 1. Weltkrieg hatte die junge Republik dieses freiheitliche Staatswahlrecht eingeführt. Es prägte auch das politische Profil von Wörth, damals fünftgrößte Gemeinde des Bezirks Germersheim.

Im Juni 1925 zählte der regionale Verkehrsknotenpunkt 2549 Einwohner. 55 Prozent waren Katholiken, die übrigen Protestanten. Rund 36 Prozent der Erwerbstätigen lebten von Fabrikarbeit und Baugewerbe. Meist arbeiteten sie in Pfortz-Maximiliansau und Karlsruhe. Die wirtschaftlich gefährdeten Kleinlandwirte machten gut 30 Prozent aus. Knapp darunter lagen die übrigen Berufssparten: Handwerk, Handel/Verkehr, öffentlicher Dienst (Bahn/Zoll). Bei den Landtags- und Reichstagswahlen vor 1914 führten die im protestantisch-bäuerlichen Mittelstand verwurzelten Nationalliberalen. Ihnen folgte das Zentrum, das die Katholiken schichtenübergreifend wählten. Schließlich die Sozialdemokraten. Um die Jahrhundertwende teilten sich die Wähler in drei große milieugestützte Lager. Das entsprach der konfessionellen und sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung. Ende 1918 erweiterte das Verhältniswahlrecht der Republik den Handlungsrahmen, indem es die Frauen und 20-Jährigen einbezog. 1239 Wahlberechtigte bedeuteten gegenüber 1912 eine Zunahme um 142 Prozent. Mittelfristig kam es zur Aufsplitterung der Stimmen: Anfang 1919 kreuzten die Wörther Wähler bei 4 Parteien an, 1930 bei 13. Sich überlagernde konfessionell-politische Gegensätze belebten Wahlkämpfe und Organisationsarbeit: Seit November 1898 bündelte der vom Ortsgeistlichen dirigierte, 100 Mitglieder starke „Katholische Arbeiterverein“ die Zentrumsaktivitäten. Ein knappes Jahr später entstand im „Rössel“ der erste SPD-Ortsverein auf Bezirksebene. Er wuchs von 28 auf 35 (1906) und mehr Parteigenossen. Dann zehrte ihn der Weltkrieg personell aus. Im Juni 1920 wurden am Ort die ersten Stimmzettel für die Kommunisten eingeworfen. Konflikt und Konkurrenz innerhalb der Linken setzten der SPD schwer zu. Unter dem Vorsitz des „Alten Bahnhof“-Wirtes Rudolf Jourdan gab es in den 1920er Jahren nur ein Dutzend eingeschriebene Sozialdemokraten. Wörths liberale Zusammenschlüsse fielen Krieg und Umbruch zum Opfer: Der im Dezember 1899 gegründete Nationalliberale Verein und die im Januar 1914 formierte liberale Vereinigung waren 1919/20 verschwunden. Den bäuerlichen Teil ihres Anhangs sammelte der 35-köpfige Ableger des Bundes der Landwirte (Februar 1921). 1926/27 kam eine KPD-Ortszelle hinzu, im August 1931 die vom Reichsbahnassistenten Karl Ludwig Beyerle geführte NSDAP-Ortsgruppe. Von ihren 35 Mitgliedern (November 1932) waren über die Hälfte Arbeiter. Für ländliche Verhältnisse hatte sich Wörths politische Infrastruktur früh und dicht entwickelt. Dennoch reichte die Wahlbeteiligung von fulminanten 96,2 (1933) bis hin zu mäßigen 53,1 Prozent (Mai 1924). Vor 1930 lag sie unter der von Reich, Bayern/Pfalz und Bezirk, 1932/33 aber beträchtlich darüber. Nachkriegskrisen und -nöte, Inflation und französische Besatzung hatten Abstinenz und Protest zur Folge, das Massenelend der Weltwirtschaftkrise eine enorme Mobilisierung. Stabilität herrschte allenfalls bei den katholischen Schwesterparteien, dem Zentrum und der im Zweibund tonangebenden Bayerischen Volkspartei (BVP). Sie erzielten zwischen 28,2 (1920) und 35,9 Prozent (Mai 1924), durchschnittlich also ein Drittel der Stimmen. Für rund 60 Prozent der Katholiken war der konfessionelle Faktor wahlbestimmend. Im „alten Konfessionsstreit“ befangen lässt sich „die Hälfte der Arbeiterschaft von den Bürgerlichen als Stimmvieh benutzen“, lamentierten die Sozialdemokraten. Davon profitierte zunächst auch die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP), das Sammelbecken der Wörther Protestanten. Bis Mai 1924 behauptete sie ihr Stimmendrittel. Der Niedergang des mittelständischen Bürgertums zog auch die liberalen Parteien in den Abgrund. 1930 erhielt die DVP noch 11,8 Prozent. Dann verschwand sie mit weniger als einem Prozent aus der Gemeinde. Dasselbe war schon 1924 der schwachen linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) widerfahren. Ferner einigen Splitter- und Interessenparteien im Promillebereich, die zwischen 1924 und 1932 um die politische Konkursmasse der Liberalen wetteiferten. 1930 umfasste das sozialistische Lager ein Drittel der Wähler, 1932/33 noch gut ein Viertel. Lag die KPD anfänglich weit hinter der SPD, so holte sie seit 1930 durch lagerinterne Wählerwanderung rasch auf. Schon im März 1930 zählte man 185 Arbeitslose. Die zur Selbstversorgung angebauten Kartoffeln vernichtete ein Mai-Hochwasser. Blankes Elend beschleunigte die Radikalisierung. 1932 führten die Kommunisten deutlich. Trotz massiver Repressalien des Reichs trennten sie am 5. März 1933 gerade anderthalb Prozent von der SPD. Die wachsende Resonanz der agitationsmächtigen KPD machte Wörth zur dunkelroten Hochburg – auf Kosten der SPD. Nach der Reichspräsidenten-Stichwahl am 10. April 1932 argwöhnte die „Pfälzische Post“ (SPD), dass Wörths „Kommunisten Hitler gewählt haben“, und zwar „aus lauter Hass gegen die Sozialdemokratie“. Diese polemisierten wirksam gegen die „faschistische Sklavenfron des Freiwilligen Arbeitsdienstes“. Der beschäftigte seit Mai 1932 173 Arbeitslose in kommunalen Notstandsprojekten (Wegebau, Kanalisation). Das karge Entgelt hatte die finanziell ausgeblutete Gemeinde weiter gekürzt. Statt Geld erhielten die Betroffenen durch Grundvermögen abgesicherte Warenbezugsscheine. Dem Vorwurf, „arbeiterfeindliche Politik“ zu betreiben, entgegnete die SPD, die Not wenigstens lindern zu können. Markige „Sprüche“ sowie die „verlogene Hetze der KPD-Führer gegen alles Mögliche und Unmögliche“ werde sie nicht hindern, fallweise Mitverantwortung zu übernehmen. Lachende Dritte des ideologischen Grabenkriegs waren die Nationalsozialisten. Besonders erfolgreich warben sie unter den bisherigen Nicht- und Jungwählern. Ihre nationalistisch-rassistische Propaganda, das autoritäre Führerprinzip und der fanatisch-aggressive Stil kamen auch bei den Wählern der Rheingemeinde immer besser an: 1928 bei 4,8 und 1930 bereits bei 14,1 Prozent. 1932/33 hatte die NSDAP mit 35,4 bis 39,1 Prozent die katholischen Parteien vom ersten Platz verdrängt. Uniformierte einheimische SA-Leute terrorisierten seit Juli 1932 die Dorfstraßen und Wirtshaussäle. Gegen ihre Militanz tat sich die kurz darauf gebildete republikanische „Eiserne Front“ schwer, obwohl diese den „Braunhemden“ vollmundig „blutige Köpfe“ androhte. Das Bezirksamt untersagte im August 1931 eine NSDAP-Versammlung, während des Dauerwahljahres 1932 jedoch vier KPD-Veranstaltungen. Diese schienen der Behörde eine größere Gefahr für „die öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Im Frühjahr 1933 votierten 51,5 Prozent der Wörther für die beiden extremen Flügelparteien. Die parlamentarische Republik und das Verhältniswahlrecht waren am Ende. Lese-Tipp Der Autor hat Wörths Staatswahl-Ergebnisse detailliert dargestellt: „Politik und Wahlverhalten in den Gemeinden des Bezirksamts Germersheim. Die Landtags-, Reichstags-, Reichspräsidentenwahlen und Volksentscheide von 1919 bis 1933“, in: Schriftenreihe zur Geschichte des Landkreises Germersheim, Bd. 4 (N.F.), Germersheim 2016, 276 Seiten, 19,80 Euro. Bestellung: VHS Germersheim, Tel. 07274/53-319 oder email: k.traeber@kreis-germersheim.de

Auch die Nationalsozialisten versuchten sich die drohende Verelendung zunutze zu machen: Am Ende erfolgreich.
Auch die Nationalsozialisten versuchten sich die drohende Verelendung zunutze zu machen: Am Ende erfolgreich.
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