Kaiserslautern Zwischen Traum und Wirklichkeit

Wie war das eigentlich damals, als der Westen Nordamerikas besiedelt wurde? Märchenhaft? Dramatisch? Brutal? Es war alles zugleich, hat das Kino schon oft gezeigt. So eindringlich wie im Neowestern „Slow West“ jedoch schon lange nicht mehr. Vor allem nicht so schonungslos.

Kein anderes Filmgenre hat wohl so viele verlogene Klischees derart lange gepflegt wie der Western: Nicht nur wild war er, der Wilde Westen à la Hollywood. Vor allem romantisch und heroisch ging’s zu in der rauen Prärie und den sattgrünen Tälern. Männer waren Kerle und Frauen Weiber. Und die Gerechtigkeit stand über allem. Gähn! Als in den 1970er Jahren selbst die US-amerikanischen Öffentlichkeit solchen Humbug nicht mehr glauben mochte, starb das Genre den Gnadentod. Die seltenen Ausnahmen haben lediglich die Regel bestätigt. Gelegentliche ehrgeizige Versuche der Wiederbelebung, wie etwa Michael Ciminos „Heaven’s Gate“ (1980), gingen an den Kinokassen gnadenlos unter. In jüngster Zeit allerdings gab es einige erfreuliche und auch erfolgreiche Neo-Western, die das Bedürfnis nach Unterhaltung mit Anspruch bestens bedient haben, etwa „The Homesmen“, „The Salvation“ und die österreichische Variante „Das finstere Tal“, alle drei im Vorjahr herausgekommen. Und Regisseurin Kelly Reichardt zeigte in ihrer Frauenstudie „Meek’s Cutoff“ mal die andere, entbehrungsreiche Seite des Versuchs, eine neue Heimat zu finden. „Slow West“, das Langfilm-Regiedebüt des schottischen Malers und Musikers John Maclean (The Beta Band), folgt ihr und markiert nun einen Höhepunkt des Revivals. Die Handlung wird in nicht einmal eineinhalb Stunden, jedoch mit bezwingender Ruhe, erzählt: 1870 landet der 16-jährige Schotte Jay (gespielt von dem jungen Australier Kodi Smit-McPhee) im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Sehr schnell ist dem Knaben aus gutem Hause klar: Vor allem der Möglichkeiten, ins Gras zu beißen, gibt es viele. Doch er ist entschlossen durchzuhalten, schließlich will er die zuvor mit ihrem Vater ausgewanderte Rose (Caren Pistorius) finden, die Liebe seines Lebens. Clever, wie er sich dünkt, kauft Jay einen Bodyguard. Doch Silas (Michael Fassbender), Kopfgeldjäger im Hauptberuf, wirkt alles andere als vertrauensvoll. Und er verfolgt sehr eigene Ziele. Es ist fraglich, ob Jay wirklich dort landet, wohin ihn seine Träume treiben. Regisseur John Maclean und sein Kameramann Robbie Ryan haben eindringliche Bilder für den wohl fast immer unüberwindlichen Gegensatz von Traum und Wirklichkeit gefunden. Die Schönheit der Landschaft etwa steht in krassem Gegensatz zum Elend des Alltags. Hier blühende Leidenschaft, da Mord und Totschlag. Wenn Jay nachts in die Sterne guckt, leuchten sie bedrohlich. Und fallen Schüsse, kann man sicher sein, dass nirgendwo ein edler Held in der Nähe ist. Irgendwann, wenn die Reise des ungleichen Paares längst im Brutal-Absurden gelandet ist, glaubt man, eine bitterböse Satire auf die Gegenwart der so genannten westlichen Welt zu sehen, eine Satire, deren Witz nur winzig übertreibt, wenn es darum geht, die Mechanismen von Fressen und Gefressen-Werden zu spiegeln. Bis zum Finale unterläuft John Maclean, der das Drehbuch selbst geschrieben hat, die Erwartungen des Publikums immer wieder. Für gehörige Überraschungen sorgen auch die Schauspieler. So changiert Michael Fassbender als undurchsichtiger Charakter irgendwo zwischen John-Wayne-Parodie und alles andere als komischem Verbrecher. Dank der visuellen Schönheit des Films, der Cleverness der Erzählung und der Klasse der Akteure verlässt man das Kino außerordentlich gut unterhalten.

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