Kaiserslautern Ungewohnte Nähe

Was ist der Mensch? Wie wurden wir zu dem, was wir heute sind? Kaum ein Text der jüngeren deutschsprachigen Literatur hat diese Fragen so konzentriert und anschaulich aufgegriffen wie Kafkas Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“. Am Donnerstag brachte Pfalztheater-Schauspieler Henning Kohne den Monolog eindringlich und unterhaltsam auf eine ungewöhnliche Bühne: die im Hörsaal 105 der Technischen Universität.

Ungewöhnlich, wenngleich vordergründig klar erfassbar, ist auch der Inhalt des 1917 veröffentlichten Textes: Der Affe Rotpeter erzählt vor einer Reihe „Hoher Herren“ an einer Akademie, wie er (fast) zu einem Menschen geworden ist. Einst in Afrika gefangen und in einem engen Käfig auf einem Dampfer Richtung Europa verfrachtet, sucht das Tier nach einem Ausweg aus seiner verzweifelten Lage. Der Schimpanse findet ihn, indem er die ihn umgebenden Menschen auf dem Schiff buchstäblich „nachäfft“, ihre Gesten nachahmt, ja sogar das Sprechen erlernt. In einem Varieté erlebt der mittlerweile gebildete und (bis auf einige „Kreischer“) fließend sprechende Primat große Erfolge, genießt durch seine intensive Anpassung eine geradezu bürgerliche Existenz. Er hat erreicht, was er wollte. Aber er ist zugleich auch nicht frei, auch nicht unbedingt glücklich mit seinem Los, letztendlich weder ganz Tier noch schon Mensch. Diese (unter anderem) als Anspielung auf die Evolution des Menschen zu verstehende Geschichte – weit entwickelt, dennoch weiterhin mit dem Animalischen verbunden, nie ganz zufrieden – interpretierte Henning Kohne mit hoher darstellerischer Kompetenz. Leicht gebückt und sich dabei streckenweise in „äffischer“ Rasanz bewegend, oft auch einfach geradezu lässig das eigens angefertigte metallene Rednerpult nutzend, dessen Gestell im ersten Teil der Geschichte den Käfig im Laderaum des Schiffs andeutete, ging Kohne in jeder Phase des anspruchsvollen Ein-Personen-Stücks in seiner schwierigen Rolle auf. Ohne einen einzigen Versprecher beherrschte er die emotional getragenen Worte seines langen Monologs. Gekonnt verband er sie dabei mit den entsprechenden Bewegungen. Äußerlich am beeindruckendsten erschien dabei die das menschliche Gesicht weitgehend verbergende, in langer Schminksitzung entstandene Tiermaske, die in jedem „Planet der Affen“-Film Bestand gehabt hätte (hier hat die Verantwortliche Hanna Schäfer hervorragend gewirkt). Auch in Sachen Kleidung hatte man glücklicherweise nicht etwa versucht, den „Bericht für eine Akademie“ irgendwie zu modernisieren: Helen Maria Boomes erschuf für Henning Kohne sowie für den ganz zu Anfang in einer kurzen Szene persönlich auftretenden Regieassistenten und Abendspielleiter Joshua Endreß stilsicher zwei Herrenanzüge, die auch Franz Kafka (1883 bis 1924) zu seiner Zeit hätte tragen können und die den authentischen Flair der Darbietung noch erhöhten. Apropos Flair: Wo hätte man einen „Bericht für eine Akademie“ sinniger darbieten können als an einer „wirklichen“ Akademie, einer Universität? Zusätzlich zur übergeordneten Örtlichkeit wirkte sich auch der kleine Hörsaal 105 im Audimax-Gebäude mit seinen etwas über 50 Sitzplätzen auf die Aufführung aus: Der Schauspieler und das Publikum gleichermaßen begegneten sich hier in ungewohnter Nähe. Da schüttelte der „Affe“ am Donnerstag verdutzten Zuschauern auch schon mal die Hand oder stellte längeren Blickkontakt zu den Premierengästen im kleinen Rund des Saals her. Das schuf zusätzliche Möglichkeiten des Spiels und erhöhte damit noch den Reiz des ohnehin berührenden Stücks. Hier haben alle Beteiligten, nicht zuletzt Regisseur Reinhard Karow und Dramaturgin Andrea Wittstock, erstklassige Arbeit geleistet. Zum Schluss des eindringlichen Dreiviertelstunden-Stücks gab′s für Henning Kohne und Co langen, verdienten Applaus und zahlreiche „Vorhänge“.

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