Kaiserslautern Mit Lolita in Stahlgewittern

Als Sympathieträger taugt der französische Autor Frédéric Beigbeder sicherlich nicht. Er gibt ganz gerne den machohaften Kotzbrocken, der vor allem Wert darauf legt, in seinem Leben möglichst viele möglichst junge Frauen um sich versammelt zu haben. Das hätte er dann mit solchen Figuren der Zeitgeschichte wie Rolf Eden oder Hugh Hefner gemeinsam. Aber im Unterschied zu diesen kann Beigbeder großartige Bücher schreiben. „Oona & Salinger“ heißt sein jüngstes Werk.

Der Titel des Buches scheint ja auch schon den Inhalt zu beschreiben: Es geht um die kaum bekannte kurze Beziehung, die der spätere Kultautor J.D. Salinger und Oona O’Neil – Tochter des Dramatikers Eugene – in den frühen 1940er Jahren hatten. Sie war damals 15, er 21. Wir wissen nicht viel darüber, und Beigbeder nutzt diesen Freiraum, diese Leerstelle, um sie auszufüllen: manchmal mit Fantasie, manchmal mit historischen Fakten, manchmal mit ganz Persönlichem. So entsteht ein packendes Buch als Faction-Prosa, in dem Fakten und Fiktion wild durcheinandergerührt werden, zusammengemischt zu einem ganz eigenen, locker-flockig geschriebenen, eben typisch hippen Beigbeder-Literaturcocktail. Doch bevor sich der Autor überhaupt seinem Lieblingsschriftsteller Salinger widmet, beschäftigt er sich mit seinem Lieblingsthema: mit sich selbst. Denn wenn er in seinem Buch berichtet, wie Oona O’Neil Salinger das Herz bricht, indem sie ihn für den über 50 Jahre alten Charlie Chaplin verlässt, dann erzählt er natürlich auch von sich. Beigbeder umgibt sich am liebsten mit jungen Frauen. Er ist 49, seine aktuelle Frau Lara Micheli 23 Jahre alt. Im Buch heißt es: „Menschen im meinem Alter waren ganz entschieden viel zu alt für mich.“ Die Altersdifferenz zwischen Oona und Jerry, wie Salinger in Beigbeders Buch genannt wird, ist dagegen relativ gering. Die beiden spüren, dass sie eigentlich nicht zu dem Jetset-Leben dazugehören, das Oona an der Seite ihrer reichen Freundinnen und begleitet von Truman Capote in New York führt. Sie schweigen sich an bei ihrer ersten Begegnung im einst berühmten Stork Club: zwei junge Menschen, die im Sündenpfuhl des New Yorker Nachtlebens aufeinander treffen, die sich eine Naivität bewahrt haben, dass es einem auch mal die Sprache verschlagen darf. In dieser Harmlosigkeit verharrt denn auch ihre kurze Beziehung. Sie liegen nebeneinander, berühren, streicheln sich. Zum Sex kommt es nicht. Was ja auch nicht weiter schlimm ist, schließlich haben die beiden ja noch ein ganzes Leben vor sich. Kein Grund zur Eile. Wenn nicht die Weltgeschichte mit aller Macht in dieser Zweisamkeit einbrechen würde. Japan zerrt die USA durch den Angriff auf Pearl Harbour in den Krieg, die USA greifen schließlich auch in Europa ein. Salinger war dabei, hat Kamerad um Kamerad fallen sehen, ist durch Blut in der Normandie ebenso gewatet wie über Leichen in der Hölle des Hürtgenwalds südlich von Aachen gestolpert, in dem eine der blutigsten Schlachten des Kriegs stattfand. Zu den stärksten Szenen des Romans gehören Salingers Treffen mit Hemingway, zunächst im Pariser Ritz-Hotel, dann in einem Bunker vor Aachen. Doch das Schlimmste wartet noch auf den Autor, der 1951 mit seinem „Fänger im Roggen“ die US-amerikanische Literaturszene revolutionieren und die Jugend zum Aufstand gegen die Eltern aufrufen wird: die Befreiung des KZ Kaufering IV, eines Außenlagers von Dachau. Salinger schreibt an Oona: „Mein ganzes Leben werde ich mich dafür schämen, dass ich nicht früher in dieses Lager gekommen bin.“ Oona sitzt derweil mit ihrem Ehemann Charlie Chaplin an einem Pool in Beverly Hills. Sie schlürft einen Cocktail, während Jerrys Zehen abfrieren; sie geht zu einer Hollywood-Party, während er einzelne Überlebende in grausamem Zustand aus einem Leichenberg herauszerrt. Sie lebt, liebt, bringt Kinder zu Welt, während Salinger sich außerhalb des Zeitstrahls zu bewegen scheint. Er ist eingekapselt in einem Paralleluniversum, das nur den Gesetzen des Kriegs folgt. Dieses Trauma wird ihn nicht mehr verlassen, nicht in den Wäldern von Cornish, in die er sich seit 1953 zurückzog; nicht in den Armen von all den jungen Frauen, in die er sich flüchtete. Im Buch begegnen sich am Ende Jerry und Oona noch ein letztes Mal. Zwei Menschen, die im diesem Augenblick das eigene Leben mit dem des Gegenüber überblenden. Die Schnittmenge ist lächerlich klein. Was bleibt, sind viele, viele verpasste Chancen. Und ein Aschenbecher aus dem Stork Club, den Oona Salinger einst geschenkt hatte. Nun erhält sie ihn zurück. Der Glücksbringer hat den Autor zumindest ohne körperliche Schäden durch den Krieg gebracht.

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