Kaiserslautern Kotten: Zerstörung ein Zufall

Der traditionsreiche Stadtteil Kotten verglühte vor 70 Jahren in der Nacht vom 27. auf den 28. September 1944 im Hagel der Brand- und Sprengbomben. Der Kotten im Westen der Stadt war nicht das Ziel des Angriffs. Dass dieses Wohnquartier so heftig getroffen wurde, war Zufall. Auch das Stadtzentrum und Teile im Osten wurden schwer beschädigt.

Rund 200 Tote, 1219 total zerstörte Häuser und über 600 mit mehr oder weniger großen Schäden ergänzten die Bilanz der Zerstörung Kaiserslauterns seit dem ersten Großangriff im Januar 1944. In der Statistik ist der Alarm als Nummer 557 − von rund 1000 Luftalarmen während des Kriegs − registriert. In der Stadtliteratur wird verschiedentlich darauf hingewiesen, dass am 27. September ein oder zwei Transportzüge mit Flakgeschützen im Hauptbahnhof „aus betriebstechnischen Gründen“ hätten halten müssen. Auf Bitten des örtlichen Luftschutzes hätten diese Batterien beim Angriff das Feuer eröffnet und die Bomber nach Westen abgedrängt. So sei überwiegend der Kotten getroffen worden. Zeitzeugen bezweifeln diese Version: Am Nachmittag des 27. September 1944 marschierte eine Schar Pimpfe der HJ zur Zollamtstraße, wo auf der Höhe des heutigen Parkhauses auf einem Abstellgleis ein einziges Vierlings-Flakgeschütz auf einem Güterwagen stand. Die Soldaten erklärten den Buben die Funktion dieser Abwehrkanone. Von zwei Transportzügen mit Flakgeschützen keine Spur. Es ist auch zu bezweifeln, ob die Flak auf Bitten des Luftschutzes zum Einsatz gekommen wäre. Die Flak unterstand den Militärbefehlshabern. Es ist ferner zu bezweifeln, dass in den wenigen Minuten zwischen Hauptalarm und der Gewissheit, dass Lautern angegriffen wurde, eine Kommunikation zwischen Luftschutz und den Flakbatterien zu Stande gekommen sein könnte. Die Stadt wurde nachts hunderte Mal überflogen. Es gab Hauptalarm, aber es fielen keine Bomben. Der für September ungewöhnlich starke Ostwind hat den vielen Menschen auf dem Kotten das Leben gekostet. In den 1970er Jahren − wahrscheinlich 1974, 30 Jahre nach dem Angriff − soll die Stadtverwaltung durch ein Wetteramt − wahrscheinlich Trier − in Erfahrung gebracht haben, dass in der Nacht vom 27. auf den 28. September 1944 Ostwind herrschte. Auch die Leute, die verspätet in die Bunker und Stollen rannten, erinnern sich, dass die „Christbäumchen“, die gebündelten Leuchtkugeln, die das Angriffsgebiet markieren sollten, ungewöhnlich rasch ihre Position nach Westen veränderten. Angriffsziele waren möglicherweise der Nordbahnhof, der Bahnring im Süden der Stadt, die dort gelegenen Fabriken und der Hauptbahnhof. Hauptalarm gab es gegen zwei Uhr nachts, also in den ersten Stunden des 28. September. Sie kamen zur Stunde der Diebe, zwischen zwei und drei. Der Angriff erfolgte in mehreren Wellen über eine Stunde. Die ersten Bomben fielen in der Bismarckstraße, trafen die Maria-Schutz-Kirche, dann die Bayerische Brauerei, unter anderem das Stadttheater in der heutigen Karl-Marx-Straße und dann nach der ersten Welle den Kotten. Die Uhr der zerstörten Apostelkirche blieb zehn nach halb drei stehen. Das Bahnheim, die Siedlung Lothringer Dell und ganz im Westen das Reichsbahn-Ausbesserungswerk, das RAW, bekamen ihren Teil gegen drei Uhr ab, wie sich Zeitzeugen aus dem heute noch vorhandenen Spitzbunker bei der Pariser Straße erinnern. Diese Chronologie des Angriffs scheint die Abdrift der „Christbäumchen“ nach Westen zu bestätigen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden in einigen Stadtteilen Splitterschutzgräben angelegt, so auch einer auf dem Karl-Theodor-Platz, eine notdürftige Zuflucht, wenn die Zeit nicht mehr reichte, einen der Felsenbunker beim Sedanplatz − ein Zugang zu dem ehemaligen Brauereikeller von Schuck-Jaenisch −, zu einem Bunker in der Schoenstraße oder den Kammgarnbunker zu erreichen. Ältere Bewohner vom Kotten erinnern sich, dass der Löschteich beim Sedanplatz im Sommer eine willkommene Badegelegenheit bot. Viele Bewohner des Kottens hielten während des Kriegs noch Vieh, Kühe, Schweine und Hühner. Eine ältere Dame, Alice Hamann, erzählte einmal, als in ihren Stall eine Brandbombe eingeschlagen sei, hätte ihr Bruder, der auf Fronturlaub gewesen sei, die Stalltür aufgerissen und die Tiere laufen lassen. „Eine lebendige Wutz“ hätten sie am nächsten Morgen noch gefunden. Die Taktik des Angriffs war ähnlich der am 14. August 1944: Zuerst der Brandbombenhagel und dann die Sprengbomben. Wer tags darauf verbotenerweise an seinem Siemens- oder Mende-Radio das Pausenzeichen des BBC, das „ta, ta, ta, ta“, einfangen konnte, erfuhr im deutschsprachigen Programmteil, dass die Stadt Kaiserslautern „in der vergangenen Nacht völlig zerstört“ worden sei. Kaiserslautern völlig zerstört? Die Bürger vom Kotten legten Hand an, Trümmerfrauen schleppten in den Fliegeralarmpausen Steine und verkohlte Balken. Und dann wurde vor dem Trümmergrundstück jeden Samstag die Straße fein säuberlich gekehrt. Unvergessene Bilder. Und als der Terror vorbei war, legte die Stadt Feldbahngleise bis in den damaligen Ausstellungspark, den heutigen Volkspark. Der Hügel beim Schwanenweiher ist Kottenschutt.

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