Kaiserslautern Ich ist eine Gurke

91-82480590.jpg

Im Alltag, in unseren Wohnungen, in der Literatur sind die Selbstdarstellungsstrategien allgegenwärtig, das Ich, ich, ich. Eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn zeigt jetzt, wie Künstler das sehen, sehr skeptisch.

Im Übrigen, vergangenes Jahr sind mehr Menschen bei dem Versuch umgekommen, ein Selfie zu schießen, als bei Hai-Angriffen. Im Taj Mahal von der Treppe gestürzt, beim Selbstporträt mit entsicherter Waffe. Bei der motivgetriggerten Gipfelstürmerei. Dem Posieren mit einem Grizzly-Bären. Einmal endete ein Blitzeinschlag in die Selfie-Stange tödlich. Und das sind nur die schlimmsten Folgen der vorherrschenden Selbstdarstellungshysterie. Ich, ich, ich. Die selbstverliebte Gesellschaft drückt sich vorwiegend in der Perspektive der ersten Person Singular aus. Fotografisch wie beim Selbstvergewisserungs-Selfie und in Beeindruckungs-Medien wie Instagram oder Facebook, wobei dabei freilich immer dieselben Posen zu sehen sind. Und selbst Wohnungen werden inzwischen statt als cooles Lebenslabor eher heimelig mit Ich-Einschreibungen (der alte Teddy, Dildo-Setzkästen) ausstaffiert. In der Literatur grassieren die Ich-Perspektive und das so genannte Memoir, wie der schicke Begriff dafür lautet, wenn jemand über sich selbst geschrieben hat. Der Hausheilige dieser Bewegung ist der norwegische Bestsellerautor Karl Ove Knausgård, der auf Tausenden Seiten völlig unverblümt sein pures Existieren en detail literarisiert. Bis hin zur Vivisektion des Windelwechselns. „Min Kamp“ (Mein Kampf) heißt Knausgårds auf sechs Bände angelegtes Werk, dem nichts Eigenes fremd ist, leicht angsteinflößend im Original. Auf Deutsch erscheinen die Einzelbände unter Titeln wie „Spielen“, „Lieben“, oder zuletzt 2015 „Träumen“. Aber auch deutschsprachige Autoren sind mit mehr oder weniger Autobiografischem erfolgreich. Guntram Vesper gewann mit seinem über 1000 Seiten langen lebensgeschichtlichen Roman „Frohburg“ den Preis der Leipziger Buchmesse. Und Benjamin von Stuckrad-Barre reüssiert mit seiner von Opa-Rocker Udo Lindenberg akkompagnierten (Drogen-)Karriere, die er scheinbar völlig unverstellt rekapituliert. Es scheint so, als sei kaum noch etwas übrig von der lange üblich gewesenen Ich-Skepsis, die uns spätestens seit den sechziger Jahren, – ja, was jetzt eigentlich – eingeredet worden ist. Wir seien selbst nicht mehr Herr im eigenen Haus, dozierten damals Poststrukturalisten wie Michel Foucault, Gilles Deleuzes oder Félix Guattari lange Zeit unwidersprochen. Ich sei nur noch flüchtiger Eindruck. Bei Jacques Lacan heißt es: „Der problemlose Gebrauch des Pronomens Ich verdeckt die Tatsache, dass das Subjekt in Wirklichkeit ein kompliziertes, zerbrechliches Ding ist, über das sich schwer sprechen lässt und ohne das doch gleichwohl sprechen unmöglich ist.“ Wohl wahr. Aber jetzt? Hallt gerade noch ein letzter Rest dieses Gedankens bei Thomas Glavinic nach, dessen jüngst erschienener, sehr wahrscheinlich autobiografischer Roman „Der Jonas-Komplex“ mit den Worten beginnt: „Wer wir sind, wissen wir nicht. Beim letzten Durchzählen kam ich auf mindestens drei Personen, die jeder von uns ist. Erstens die, die er ist, zweitens die, die er zu sein glaubt, und drittens die, für die ihn die anderen halten sollten.“ Ansonsten aber ist die Ich-Evakuierung ins bodenlos Komplizierte offensichtlich weitgehend an die Bildende Kunst delegiert. Ausgerechnet sie, die in der Renaissance mit der Selbstdarstellerei begonnen und diese bis in die Moderne selbstherrlich ausagiert hat, scheint sich noch am ehesten der allgemein gewordenen Ich-Überhöhung zu entziehen. Jedenfalls legt das die von Martina Weinhart kuratierte Ausstellung „Ich“ in der Frankfurter Schirn Kunsthalle sehr nahe. Das „Ich“ durchgestrichen. Sie zeigt die Eigenbespiegelung eher im Hintergrund. Die inspirierende Schau steht in einer ganzen Reihe von Museumspräsentationen, die künstlerischen Ansichten des Selbst in jüngster Zeit gewidmet werden. Wie die Selfie-Schau „Ego Update“ im Düsseldorfer NRW-Forum. „Ich bin hier!“ in der Karlsruher Kunsthalle. „Me, Myself and I. Über die Selbstdarstellung im digitalen Zeitalter“ in der Villa Rot in Burgfrieden. Oder eine Ausstellung mit dem Titel „Der Künstler und sein Ich. Das abstrahierte Selbstporträt in der Fotografie von 1960 bis 2000“, die am Sonntag in der Stuttgarter Staatsgalerie öffnet. Die Ich-Porträts in der Schirn bestehen aus Statthaltern wie den 36 echt verschrumpelt wirkenden Plastik-Gurken, mit denen sich Erwin Wurm als „Essiggurkerl“ darstellt. Den 23 Glas-Phiolen von Kunst-Jungstar Alicja Kwade, darin Kohlenstoff, Sauerstoff, Eisen, Schwefel, Fluor, Stoffe, aus denen sich auch ihr Körper zusammensetzt. Timm Ulrichs zeigt statt seiner selbst ein Stück Zeltplane in der Größe seiner Körperoberfläche, 18.360 Kubikzentimeter. Pawel Althammer lässt seinen Ausweis, Bargeld und seine Kleider für sich sprechen. Auch hängt der legendäre Filzanzug von Josef Beuys an der Wand. 40 Positionen sind ausgestellt, Malerei, Objekt- und Medienkunst. In der Regel Verweigerungen. „Das Gesicht ist Politik“, gaben Félix Guattari und Gilles Deleuze früher einmal als Losung aus. Die „Ich“-Ausstellung erscheint wie eine Reverenz an sie. Sie zeigt das künstlerische Geschäft der Unterwanderung der allgegenwärtigen „Selbstdarstellungs-Ökonomie“ (Maximilian Probst). Den Zweifel an der Ich-Repräsentation. Dass wir uns was einfallen lassen müssen, wenn der Satz stimmt. Was? Florian Meisenberg zum Beispiel überträgt alles, was auf seinem Smartphone passiert, live auf einen überdimensionierten Bildschirm, der in einer Fantasielandschaft mit Kunstrasenwelle installiert ist. Jede Google-Anfrage, jeden Online-Kauf, wenn man Glück hat, verfertigt der Autor auch mal ein Selfie. Dann weiß man, wie er aussieht. Ansonsten bekommt man in der Selbstporträt-Ausstellung eigentlich kein leicht erkennbares Antlitz zu sehen. Zumindest nicht das von den Künstlern. Jack Pierson zum Beispiel lässt ein Christus-Model mit Sixpack für sich posieren. Jonathan Monk macht seine auf dem Sockel stehende Büste mit einer abgeschlagenen Nase unkenntlich. Und Thomas Brinkmann hat seiner Skulptur einen Karton über den Kopf gestülpt. Was steckt dahinter? Das fragt man sich auch bei einem Werk von Pamela Rosenkranz? Ich habe mich das gefragt. Sie taucht einen kleinen Saal in rosafarbenes Licht. Gebläse wirbeln den Sexualduftstoff durch die Luft. Von einer Katze. Ich? Bin Gott sei Dank nicht darauf angesprungen. Die Ausstellung In der Frankfurter Kunsthalle Schirn. Bis 29. Mai. www.schirn.de

91-82480591.jpg
91-82480592.jpg
91-82480593.jpg
x