Kaiserslautern Ein Jahrzehnt Schweigen

Wie geht ein Elternpaar mit dem Tod des gemeinsamen Kindes um, wenn aufgrund unterschiedlicher Trauer-Bewältigungen zuerst die Trennung erfolgte und man sich danach erst nach einem knappen Jahrzehnt absoluten Schweigens wieder trifft? Fürwahr keine leichte Thematik. Dass und wie man sie dennoch gelungen auf die Bühne bringen kann, zeigte das Pfalztheater am Samstagabend.

Hier fügten sich die einzelnen Elemente nahtlos zusammen: Die niederländische Autorin Vekemans hat sich auf der einen Seite in ihrem preisgekrönten Zweipersonenstück „Gift. Eine Ehegeschichte“ behutsam und dennoch eindringlich mit diesem Sujet auseinandergesetzt. Und der versierte Regisseur Wolfgang Hagemann hat es mit den grandios spielenden Protagonisten Hannelore Bähr und Rainer Furch adäquat interpretiert und zur Premiere auf die Werkstattbühne des Hauses gebracht. „Gift. Eine Ehegeschichte“ ist, so wird es im Stück selbst einmal treffend gesagt, die Geschichte zweier Menschen, die zuerst ihren Sohn, dann sich selbst und letztlich einander verloren haben. Aber damit endet das mit Traumatischste, was Eltern erleben können, noch nicht - im Gegenteil: Das Werk setzt da an, wo man das endgültige Aus jeder Beziehung - auch jene zum eigenen Kind - erwarten oder akzeptieren könnte. Und bietet damit zumindest eine Perspektive für all jene Gefühle, Gedanken und Vorstellungen zu dem eigentlich Unvorstellbaren „Dahinter“. Ein Mann (Rainer Furch) und eine Frau (Hannelore Bähr) treffen sich in einem kalt beleuchteten, nur spärlich eingerichteten Verwaltungsraum an jenem Friedhof, auf dem ihr tödlich verunglückter Sohn Jakob vor fast zehn Jahren beerdigt wurde. Anlass ist ein Brief, in dem aufgrund einer Vergiftung des Bodens durch eine Industrieanlage die Verlegung von 200 Gräbern - auch jenes von Jakob - angekündigt wird. Nun sollen die Details besprochen werden. Es hat seinen Grund, dass die beiden Akteure keine Namen tragen – sie repräsentieren Archetypen menschlicher Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten: Die Frau hat den Verlust nicht verkraftet und trauert tagtäglich um ihr totes Kind, der Vater flüchtete aus der Situation Hals über Kopf ins Ausland und in ein anderes Leben (mit einer neuen Frau und einem bald geborenem Kind). Auch er trauert – aber anders. Unendlich langsam kommt es in der von Oliver Kostecka passend gestalteten, nicht ablenkenden Kulisse vor einer fast kahlen Wand mit ein paar Stühlen und einem kleinen Tisch mit Wasserflasche und Plastikbechern nach anfänglicher Unsicherheit zu Momenten der Begegnung, der gemeinsamen Erinnerung und zu Versuchen, das Geschehene und das Verhalten danach zu begreifen und zu verarbeiten. Dabei gibt es durchaus auch lautstarke Passagen und einmal gar eine handgreifliche Auseinandersetzung, aber auch geradezu zärtliche Augenblicke. Reines Pathos oder bleierne Schwermut sind nicht die Sache dieses mehrschichtigen Einakters. Die feinen dramaturgischen Rillen und Biegungen des Stücks bieten auch genügend Platz für sprachliche, darstellerische und philosophische Exkursionen, die Furch und Bähr in der aktuellen Inszenierung mit nonchalanter Leichtigkeit aufgreifen und umzusetzen wissen. Da gibt es ein Telefongespräch auf Französisch, eine kurze Gesangseinlage des Mannes, da geht es auch mal um nichts Geringeres als die Frage nach dem freien Willen des Menschen. Und alles wird von dem tief in seinen fordernden Rollen aufgehenden Paar als akkurat eingespieltes Team gemeistert. Bedenkt man, dass dieses nach „Waisen“ zweite eindringliche Vekemans-Stück der Saison kurzfristig in den aktuellen Spielplan aufgenommen wurde, ist die starke Leistung von Hannelore Bähr und Rainer Furch umso höher zu bewerten. Furch war es im Übrigen, der an diesem Abend eine kleine Requisiten-Panne mit dem partout nicht aus der Weinflasche zu kriegenden Korken professionell „überspielte“ und sogar fugenlos in die Szene integrierte. Inwiefern die in mehrfacher Hinsicht „vergiftete“ Atmosphäre am Schluss inhaltlich bereinigt ist, bleibt Sache der Interpretation; die darstellerische Leistung dahinter war auf jeden Fall sauber und beeindruckend. Nach 85 gelungenen Minuten rief der verdient anhaltende Schlussapplaus Hannelore Bähr und Rainer Furch fünfmal auf die Bühne hinaus, und auch Regisseur Wolfgang Hagemann und der für Bühnenbild und Kostüme zuständige Oliver Kostecka konnten sich unmittelbar über die Reaktionen der Anwesenden freuen.

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