Kaiserslautern Adler im Sturzflug

„Die Zuschauer wollen Blut. Sie lieben Action, nicht das ewige depressive, philosophische Gequassel.“ Sagt der Birdman und schlägt so wild mit seinen großen Adlerflügeln, dass er ins Taumeln kommt – und der Zuschauer lacht. Aus der einfachen Geschichte eines Filmstars, der keiner mehr ist und nun sein Heil im Theater sucht, hat der Mexikaner Alejandro González Iñárritu eine wunderbare schwarze Komödie gemacht. Sie wird gerade von der Wirklichkeit eingeholt. Der abgehalfterte Filmstar Michael Keaton (63), einst „Batman“ (1989, 1992), steht wie der Held in „Birdman“ vor dem großen Comeback.

Immer wenn Riggan Thompson (Keaton) mal kurz an die Luft geht und das Broadway-Theater verlässt, an dem er sich gerade als Schauspieler und Regisseur abmüht, sucht ihn der Adler im Sturzflug heim: der „Birdman“, den er früher in Hollywoodfilmen verkörperte. Seine Flügel tragen ihn nach oben. Dabei heben Riggans Gedanken ab. Natürlich sieht und hört nur Riggan den Birdman. Aber ein bisschen Schizophrenie hat noch keinem geschadet, wenn er Angst hat vor dem Leben, vor dem Alter, vor dem Versagen, vor dem Fall in den Abgrund. Glaubt man Iñárritu. Wie ein Strohhalm klammert sich Riggan an sein Theaterstück, in das er auch sein Erspartes steckt. Sie werde sein Stück zerreißen, auch wenn sie es nicht gesehen hat, weil sie keine Hollywood-Leute mag, sagt ihm die Theaterkritik-Päpstin locker ins Gesicht. „Du bist nicht wichtig“, schmettert ihm die eigene Tochter (Emma Stone) entgegen, die er in die Verwaltung seines Theaters geholt hat. Und bei einer Probe brüllt ihn Schauspiel-Kollege Mike (Edward Norton) an, er solle doch endlich richtig spielen. Die zugemüllten Räume des Theaters sehen aus wie eine Messie-Wohnung, die Bühne wird zum Bordell, wenn ein betrunkener Mike versucht, auf der Bühne mit der Hauptdarstellerin zu schlafen. Und auch Riggan gerät in Beziehungs-Turbulenzen, wenn er von seiner Nebendarstellerin damit überrascht wird, dass sie von ihm schwanger ist. Es wird pausenlos geredet, aber hinter den Kulissen brodelt es so herrlich, dass selbst Theaterhasser gefesselt sind. Vor allem weil die Kamera pausenlos den grandiosen Michael Keaton mit der besten Leistung seiner Karriere im Blick hat. Sie verfolgt ihn auf Schritt und Tritt – quer durch Räume, über Treppen, in den Straßen, am Himmel. Am schönsten ist es, wenn Riggan sich den Bademantel in der Theaterhintertür einklemmt, während er draußen eine Zigarette raucht, und nicht mehr auf die Bühne zurück kann, weil die Tür zugeschlagen ist. Er lässt den Bademantel zurück und rennt in der Unterhose um den Block auf den Times Square, wo ihn die Passanten erkennen – als den „Birdman“-Helden von früher: Freude, aber eben auch Mitleid und Spott schlagen ihm entgegen. Die Tortur ist gefilmt ohne erkennbaren Schnitt und mit einer Eleganz, wie man sie vorher nur aus den Filmen von Max Ophüls (1902-1957) kannte. Zu Ophüls-Zeiten gab es den digitalen Schnitt noch nicht, den der mexikanische Kameramann Emmanuel Lubezki (2014 bekam er den Oscar für seine Weltall-Bilder in „Gravity“) so gut beherrscht, dass er eine Renaissance dieser entfesselten Kamera einläuten könnte. Das alles und das völlig unerwartete Gespür Iñárritus – auch als Co-Drehbuchautor – für witzige Dialoge und Seitenhiebe auf Hollywood machen aus „Birdman“ jenes faszinierende Stück Kino, für das neun Oscar-Nominierungen eigentlich zu wenig sind.

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