Kaiserslautern Bis in die hintersten Winkel des eigenen Ichs

Am Pfalztheater war der Schauspieler Michael Raphael Klein seit fast zwei Jahren nicht mehr zu sehen, aber privat schlägt sein Herz noch immer für Kaiserslautern. Für eine Lautererin, um genau zu sein, denn er teilt sein Leben mit der ebenso angesehenen wie vielbeschäftigten Akkordeonvirtuosin Alexandra Maas. Künstlerisch hat es ihn derweil von der Barbarossaburg auf die Burg Vilbel verschlagen.

Im hessischen Bad Vilbel ist Klein alljährlich im Sommer ein gern gesehener Gast bei den Burgfestspielen. In der kommenden Saison wird dort Astrid Lindgrens „Ronja Räubertochter“ gegeben, die ja in einer Gewitternacht auf der Mathisburg zur Welt kommt. Rein äußerlich ist der Burg-Schauspieler Michael Klein wie geschaffen für wild-romantische Heldenfiguren in der Nachfolge eines Errol Flynn: schlank-athletische 1,90-Meter-Figur, Wuschelhaar über markantem Kinn, in den dunklen Augen ein Blitzen, das von kühner Entschlossenheit über mannhaften Edelmut bis hin zu spitzbübischem Sex-Appeal alles umfasst, was das weibliche Theaterpublikum dahinschmelzen lässt. Der männliche Besucher dagegen ist immerhin beeindruckt, dass sich hinter der Fassade des (durchaus beneidenswerten) Gutaussehers ein wacher Intellekt und charmante Kameraderie verbergen. Alexandra Maas raucht noch schnell am geöffneten Fenster eine Zigarette und wird von Michael Klein mit einer innigen Umarmung samt feurig-bühnenreifem Kuss zum nächsten Auftritt verabschiedet. Unterdessen nimmt Kater Lupus den Gast routiniert in Augenschein, sieht ihn sich eine Weile an und entschwindet. Michael Klein serviert am Küchentisch Kaffee aus der Thermoskanne. Beschauliche Gemütlichkeit macht sich breit. Dabei geht die Erinnerung an seine Pfalztheaterzeit vor allem mit einem Attribut einher: Dynamik. Sein Auftauchen auf der Lauterer Bühne war umweht von einer authentischen Virilität, einer beinahe körperlich spürbaren Wucht. Natürlich wäre es ihm Unrecht getan, wollte man ihm jegliches Vordringen in die Tiefen und Untiefen einer Figur absprechen. Dazu ist er viel zu seelenvoll, tiefschürfend und intensiv. Aber bei ihm hat auch das Vergeistigte etwas Berserkerhaftes, Ungebärdiges und Ungebändigtes, obwohl oder gerade weil er seine Figuren ausgesprochen differenziert angeht, ihre Schwäche und Zerrissenheit auslotet, ihre Brüche und Ängste ergründet, ohne sie allzu plakativ auszuspielen. Da ist Brick, der alkoholsüchtige Millionärssohn in Williams’ „Katze auf dem heißen Blechdach“, den er 2010 unter der Regie von Ina Anett Keppel am Pfalztheater spielte. Brick hat eine schöne Frau (die wunderbare Andrea Cleven als Gast), die ein Kind von ihm will. Aber er scheint impotent zu sein, weil er sich die Schuld am Tod seines Freunds gibt, den er in einer Weise betrauert, die auf mehr als eine Männerfreundschaft hindeutet. Da ist Schweizerkas, der Sohn von Brechts „Mutter Courage“, im Gegensatz zu ihr eine ehrlich- redliche Haut, der die Regimentskasse auch im Angesicht von Folter und Tod nicht preisgibt. Doch seine Opferbereitschaft ist sinnlos, denn der Versuch, das Geld der Lutheraner vor polnischen Katholiken zu schützen, nützt niemandem. „Ich hab’ dir beigebracht, du sollst redlich sein, denn klug bist du nicht“, sagt seine Mutter. „Aber es muss seine Grenzen haben.“ Schweizerkas hört, aber versteht es nicht. Klein spielte ihn unter Michael Lerchenberg als zahlenbesessenen Autisten, unfähig sich als Teil eines entmenschten Ganzen zu sehen. Bei der Ausarbeitung einer Figur, so sagt Klein, „sieht man in Ecken des eigenen Seins, die man womöglich bis dahin nicht kennt. Oder man ist an einer Figur ohnehin ganz nah dran. Das ist ein tolles Spannungsfeld.“ Sein Ziel ist es, „dass das möglichst authentisch ausgefüllt wird“. In Augenblicken wie diesem blickt ein Schauspieler tief hinein ins Menschenherz und Menschenhirn, fragt nach dem Lebenssinn des Individuums und den Leitpfosten des Daseins – wie die beiden Figuren in Eric Emmanuel Schmitts „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Islam“, mit denen Klein 2007/08 besonderen Erfolg in Kaiserslautern hatte. Nicht zu vergessen natürlich der Ferdinand in Thomas Krauß’ allzu laut geratener Inszenierung von „Kabale und Liebe“, in der Gebrüll und Gekreisch als Indikatoren von Seelenpein herhalten sollten. Der 34-jährige Klein hat derlei Veräußerlichung nicht nötig, wie er als Älterer der beiden „Brüder Löwenherz“ von Astrid Lindgren ebenso bewies wie als junger Edelmann, der seine Liebesgedichte von Rostands „Cyrano de Bergerac“ (der wunderbare Hennig Kohne in einer Sternstunde) schreiben lässt. Als Mordred in Tankret Dorsts „Merlin“ ließ ihn Muhrat Yeginer dahintaumeln zwischen seelischer Unbehaustheit und dem Irrglauben, sein Vater Artus hasse ihn, ehe er schließlich zum Zerstörer von dessen Reich wird. Auch als Graf Paris in „Romeo und Julia“, zappeliger Patient Martini in „Einer flog über das Kuckucksnest“, Mietinteressent in „Arsen und Spitzenhäubchen“ sowie flandrischer Maler im „Glöckner von Notre Dame“ ist Michael Klein den Lauterern geläufig. Ursprünglich hatte der gebürtige Münchner, der in Essen aufwuchs und in Frankfurt die Schauspielschule besuchte, ein Kunststudium angestrebt: „Seit ich denken kann, habe ich gezeichnet und gemalt.“ Es kam anders, Klein entdeckte seine Liebe zu Literatur und Theater, schätzt heute vor allem „den unfassbar kreativen Prozess des Austauschs mit Kollegen und Regisseur“. Als der Zwei-Jahres-Vertrag mit dem Pfalztheater auslief, ging er zunächst für zwölf Monate nach Australien. Das Geld für die Auszeit verdiente er sich, indem er sich auf dem fünften Kontinent in diversen Jobs verdingte. Nach der Rückkehr ließ ihn Harald Demmer in Bad Vilbel den Spiegelberg in den „Räubern“ spielen. Großen Erfolg hatte er bei den Burgfestspielen in Daniel Glattauers „Gut gegen Nordwind“ als E-Mail-Liebesbriefschreiber, den er auch in der Fortsetzung „Alle sieben Wellen“ spielte. Im April beginnen die Proben für Ildikó von Kürthys „Mondscheintarif“ und für die Abenteuer der „Ronja Räubertochter“ auf der Mathisburg. Das Lauterer Publikum hofft derweil auf eine Rückkehr des Michael Raphael Klein an die Barbarossaburg.

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