Grünstadt Die ersten Kleider selbst gestrickt

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SAUSENHEIM. Eigentlich fand sich Gudrun Schönberg schon ein bisschen zu groß für Puppen, als „Bärbel“ ihr Kinderherz eroberte. Inzwischen begleitet die Schildkrötpuppe sie seit 68 Jahren.

„Damals, im Jahr 1948 war das, war ich eigentlich nicht mehr in dem Alter, in dem man noch viel mit Puppen spielt. Ich war elf Jahre alt und hatte bis dahin nicht viele Spielsachen gehabt“, erinnert sich die Sausenheimerin. Gemeinsam mit den Nachbarskindern teilte sie sich Holzroller, rangelte um den einzigen Holländer weit und breit und um eine schon arg in Mitleidenschaft gezogene Stoffpuppe. Dabei wünschte sie sich doch schon so lange eine Puppe ganz für sich allein. „Die hatte ich dann auch irgendwann, aber sie hatte einen Kopf aus Porzellan; mit der durfte man nichts machen, damit sie nicht kaputtgeht. Ich wollte aber unbedingt eine Puppe haben, die man anziehen und mit der man richtig spielen konnte“, erinnert sich Schönberg. Doch das sollte noch eine ganze Weile dauern: „Es war in der Kriegszeit einfach nicht möglich.“ Umso größer die Begeisterung, als kurz nach der Währungsreform „Bärbel“ plötzlich den sehnlichen Kinderwunsch in Erfüllung gehen ließ. „An den Anlass kann ich mich gar nicht mehr genau erinnern, ob es zu meinem Geburtstag war oder an Weihnachten. Jedenfalls war mein Vater der Initiator und kaufte die Puppe. Ich habe mich unwahrscheinlich darüber gefreut – eine Puppe aus einem Laden, ganz neu und nicht gebraucht“, schwelgt Gudrun Schönberg in Erinnerungen. Nachdem „Bärbel“ zunächst völlig unbekleidet ihr Dasein fristete, strickte die damals Elfjährige ihr Anziehsachen. Inzwischen trägt „Bärbel“ auch gekaufte Kleider, etwa vom Grünstadter Weihnachtsmarkt, oder Souvenirs von Urlaubsreisen. Ihren Puppenruhestand darf sie im Schlafzimmer der Schönbergs verbringen. Ab und an wird es aber auch für „Bärbel“ wieder spannend: „Unsere Kinder haben manchmal gefragt, ob sie mit der Puppe spielen dürfen, und auch die Enkeltochter war interessiert. Sie haben aber alle verstanden, dass es meine Puppe ist und man sie nicht kaputtmachen, sondern nur ganz sorgsam mit ihr umgehen darf.“ Schließlich hat die Schildkrötpuppe schon einiges erlebt und steht nach fast sieben Jahrzehnten noch immer hoch im Kurs bei Gudrun Schönberg. „Wenn man nicht viel hatte, wie wir als Kinder damals, weiß man die Dinge anders zu schätzen, denke ich. Heutzutage haben die meisten Kinder alles, was sie möchten. Vieles ist einfach selbstverständlich geworden.“ Oft wisse man gar nicht, was man den Kindern noch schenken soll. Deshalb wird „Bärbel“ auch immer einen Ehrenplatz haben bei Gudrun Schönberg, weil sie eben eines war: „Ein Geschenk von meinen Eltern und meine erste richtige, eigene Puppe“. (kcs)

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