Donnersbergkreis „Inklusion ist ein Seiltanz“

Kirchheimbolanden. „Es gibt noch viel zu tun!“ So lautet die Meinung des CDU-Bundestagsabgeordneten Xaver Jung mit Blick auf die Eingliederung von beeinträchtigten Menschen in die Gesellschaft. Jung, der aus Rammelsbach im Kreis Kusel kommt, ist für seine Fraktion Berichterstatter für schulische Bildung. Mit Sebastian Stollhof hat er über das Thema Inklusion gesprochen. Mit Blick auf die Schulen sagt Jung: „Überforderung ist auf keinen Fall Kindeswohl-gerecht!“

Herr Jung, morgen, am 5. Mai, ist der europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Können Sie mit solchen Jahrestagen etwas anfangen?

Ja. Solche Jahrestage sind wichtig, auch um Aufmerksamkeit zu erzielen. Vor 23 Jahren haben Interessenvertreter und Verbände der Behindertenhilfe und -selbsthilfe diesen Tag ins Leben gerufen, seitdem wächst die Zahl der Aktionen unter dem Namen „Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen“ stetig. Wir haben in dem Zeitraum schon vieles erreicht: So zum Beispiel das Benachteiligungsverbot/Diskriminierungsverbot für Behinderte im Grundgesetz oder in den EU-Richtlinien. Aber das ist noch nicht genug! Wir verlieren weiterhin viele Menschen in der Gesellschaft, die vielleicht im Kindergarten oder manchmal auch noch in der Grundschule gemeinsame Wege gehen, mit fortschreitender Qualifizierung teilen sich aber oft die Wege. Das muss nicht sein und daran arbeiten wir. Was halten Sie davon, dass es im Donnersbergkreis eine ehrenamtliche Inklusionsbeauftragte gibt? Diese Position kann eine nützliche Aufgabe sein, sie setzt ein gutes Signal. Die Staatenprüfung der UN-Behindertenrechtskonvention hat erneut bestätigt, dass es viel zu wenig Interessenvertreter für Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland gibt. Es ist wichtig, auf die Stimmen der Betroffenen zu hören. Hier sind Interessenvertreter die Anlaufstelle. Eine Inklusionsbeauftragte kann mithelfen, das Thema Inklusion voranzutreiben. Letztlich muss es von den Menschen aber auch angenommen werden. Sind wir da schon so weit? Nein, da gibt es noch viel zu tun! Dabei hilft es nicht, wenn viele gesellschaftliche Teilhabe „übers Knie“ brechen wollen und den Begriff der „Diversity“ predigen. Nämlich die vielen Unterschiedlichkeiten der Menschen als begrüßenswerte Vielfalt anzuerkennen, aber gleichzeitig jegliche Förderbedürfnisse zu ignorieren. Die UN-Konvention besagt deutlich, dass besondere Maßnahmen, die Menschen mit Behinderungen guttun, nicht als diskriminierend angesehen werden dürfen. Es darf sich durch eine Fördermaßnahme also kein Nachteil für den Betroffenen ergeben. Hier müssen wir ansetzen und die Akzeptanz fördern, dass Inklusion in jedem Fall das Ziel sein muss, keinesfalls aber zwingend der Weg dahin immer inklusiv gestaltet werden muss. Inwieweit beschäftigen Sie sich im Bundestag mit dem Thema Inklusion? Ich bin Berichterstatter für meine Fraktion für schulische Bildung, und der Bereich Inklusion an Schulen nimmt dabei einen sehr breiten Raum ein. Inklusion sollte immer das Ziel sein. Es gibt vielfältige Wege dorthin. Das Menschenrecht auf Inklusion steht gleichberechtigt neben dem Kindeswohl. Dies kann aber immer nur im Einzelfall beurteilt werden. Mehrfachbehinderungen erfordern eine umfangreiche Betreuung, die nur in Förderschulen gewährleistet werden kann. Ein großes Thema ist derzeit die Inklusion in den Schulen, also die Eingliederung von Kindern mit Beeinträchtigung in den Regelschulbetrieb. Was ist Ihre Meinung dazu? Die UN-Konvention stellt klar dar, dass die Bildungsprozesse, soweit möglich, auf einem höheren Niveau angesiedelt werden sollen und die Teilhabe und Partizipation von Menschen mit Behinderungen gestärkt werden muss. Dabei darf nicht vergessen werden, dass wir Leistungsansprüche und Zugangsvoraussetzungen haben, die es zu erfüllen gilt, wenn ein Kind oder Jugendlicher zum Beispiel auf eine weiterführende Schule gehen möchte. Diese Voraussetzungen sollten erfüllt werden. Ist dies nicht der Fall, sollte das Kind auf eine Schule gehen, wo die Leistungsanforderungen erfüllend sind. Überforderung ist auf keinen Fall Kindeswohl-gerecht! Was muss sich ändern, damit solch eine Inklusion funktioniert? Inklusion ist ein Seiltanz, ein Balanceakt, der nur von genügend Personal gestemmt werden kann. Denn: Wenn sich ein Lehrer nur noch um das schwächste Glied in einer Klasse kümmert oder um ein Kind besonders, weil es einfach mehr Aufmerksamkeit bedarf – was passiert dann mit den Kindern, die sich vielleicht unterfordert fühlen? Die fallen dann nämlich ganz schnell durch. Eine große Herausforderung. Auch die Diagnostik von sonderpädagogischem Förderbedarf muss besser geregelt werden, um zielgerechte Unterstützung bieten zu können. Andererseits haben die Förderschulen in der Vergangenheit sehr gute Arbeit geleistet. Schwächt man diese nicht momentan? Massiv! Man muss endlich erkennen, dass Förderschulen für manche Ansprüche die bestmöglichste Betreuung darstellen. Wir haben elf verschiedene Sonderschultypen, die elf verschiedene Formen von Beeinträchtigung abdecken. Wenn man die Förderschulen langsam ausbluten lässt, weil man ihnen Personal entzieht, ist das keine Lösung! Wir brauchen diese Schulformen dringend. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass man generell keine Inklusion im Regelschulbetrieb ansiedeln sollte – da, wo es möglich ist, Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam zu beschulen, profitieren diese Kinder auch oft davon. Dies kann aber nur gewährleistet sein, wenn es genug Betreuung und individuelle Fördermöglichkeiten gibt. Ein Thema ist auch die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt. Sie scheint schwierig zu sein. Wie beobachten Sie dies? Die Situation ist von zwei Seiten zu betrachten: den Firmen und den Betroffenen. Viele Firmen haben Berührungsängste, das ist mir aufgefallen. Ich weiß aber auch von Firmen, die mir berichten, wie positiv sich ihre Belegschaft entwickelt hat. Inklusion heißt, dass Menschen mit besonderen Begabungen ein Team auch bereichern können! Dem gegenüber stehen auch Betroffene, die oftmals bei der Bewerbung nicht erwähnen, dass Sie eine Behinderung haben, weil sie Angst haben, dass sich daraus für sie ein Nachteil ergeben wird. Die allgemeine Kultur muss sich, denke ich, noch ändern und beide Seiten sollten sich mehr annähern können.

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