Rheinland-Pfalz Herxheimer Nazi-Glocke: Eine Bilanz

„Die Stigmatisierung als Nazi-Dorf“ habe Herxheim noch nicht überwunden, sagt der Pfarrer: Im Turm der Kirche hängt eine Glocke
»Die Stigmatisierung als Nazi-Dorf« habe Herxheim noch nicht überwunden, sagt der Pfarrer: Im Turm der Kirche hängt eine Glocke mit Hakenkreuz, über die in diesem Jahr selbst in den USA berichtet wurde.

Eine Glocke aus dem Jahr 1934 mit Hakenkreuz und zugehöriger Inschrift hat die kleine Gemeinde Herxheim am Berg in diesem Jahr aus dem Gleichgewicht gebracht. Noch immer ist nicht klar, ob sie hängen bleibt oder ins Museum wandert. Die Diskussion darüber hat den Ort aber entzweit. Ein Bürgermeister musste zurücktreten, Medien schrieben vom „Nazi-Dorf“. Eine Bilanz.

Was ist eigentlich schief gelaufen im Jahr 2017 in Herxheim am Berg? Und wie konnte es dazu kommen, dass Gemeinderatsmitglied Wolfgang Gabel (CDU) kurz vor dem Jahresabschluss davon spricht, dass dieses Jahr ein riesiger „Shitstorm“ niedergegangen sei über seinen Ort, der bisher vor allem für sonnenverwöhnte Weine und seinen Panoramablick in die Rheinebene bekannt war? Plötzlich sprachen einzelne Medien vom „Nazi-Dorf“ in der Pfalz, wo die AfD bei Wahlen mit 15 Prozent abschnitt. Bundesweit wunderten sich Zeitungen und Magazine, warum der Ort so an einer Glocke hängt, und im „Miami Herald“ war zu lesen: „Wo die Glocke noch immer für Hitler läutet“. Wie das ist, wenn jede Viertelstunde der Zweite Weltkrieg bimmelt, wollten die Medien wissen. Inzwischen hatte die Glocken-Debatte auch etwas Symbolhaftes bekommen. Wie geht man in einer kleinen Gemeinde auf dem Land 72 Jahre nach Kriegsende mit der Nazi-Geschichte um?

Weniger selbstbewusst als zu Beginn des Jahres

Wer mit Herxheimern ins Gespräch kommt, wird eine ganze Reihe an Gründen genannt bekommen, die dazu geführt haben, dass die 750-Seelen-Gemeinde am Ende des Jahres „weniger selbstbewusst“ dasteht, als das zu Beginn des Jahres der Fall war. Diese Worte verwendet jedenfalls der just gewählte Bürgermeister Georg Welker (parteilos), der sich während des „Wahlkampfes“ mit der Aussage profilierte, dass die sogenannte Hitler-Glocke nach seinem Ermessen im Turm der Kirche verbleiben könne. Aber sollte darüber nicht eigentlich der Gemeinderat entscheiden, sobald das Gutachten, das unter anderem die Denkmalwürdigkeit der Glocke untersuchen sollte, vorliege? Welker preschte selbstbewusst vor, betonte aber gleichzeitig, dass man im Ort wieder zu gemeinsamen Entscheidungen kommen müsse. Umgekehrt traute sich sein SPD-Kontrahent im Wahlkampf aus taktischen Gründen nicht zu sagen, dass er dafür optieren würde, die Glocke abzuhängen. Er befürchtete dadurch Stimmeinbußen. Das wiederum hörte sich wirklich nicht sehr selbstbewusst an. Wann genau und ob das Selbstbewusstsein eines ganzen Dorfes wirklich zu bröckeln begann, lässt sich nur schwer ermitteln. Nicht wenige, darunter auch der Beigeordnete Gero Kühner (SPD), sagen deutlich, dass das Miteinander in Herxheim am Berg unter dem zurückgetretenen Bürgermeister Ronald Becker schon über längere Zeit gelitten habe. Beckers Alleingänge sorgten bereits für Furor im Gemeinderat, lange bevor die Glockendiskussion entbrannt war. Der FWG-Bürgermeister polarisierte, eine klare Amtsführung trauten ihm viele schon nicht mehr zu. Es herrschte Streit im Rat. In jene, fast feindselige, Atmosphäre platzte im Mai das Glockenthema wie ein ungebetener Essensgast.

„Es ist der Geist, der da wirkt“

Die Bad Dürkheimer Ausgabe der RHEINPFALZ berichtete seinerzeit im Zusammenhang mit dem Umgang mit Wehrmachtsdevotionalien bei der Bundeswehr über das Objekt im Turm der Kirche. „Interessierte und engagierte Leute im Ort“ hätten von der Existenz der Glocke mit dem Hakenkreuz samt der Aufschrift „Alles fuer’s Vaterland – Adolf Hitler“ gewusst, sagt Georg Welker. Als früherer Dorfpfarrer sei er mit Konfirmanden immer wieder im Turm gewesen. Nichts gewusst hatte bis Mai hingegen Sigrid Peters aus Weisenheim am Berg, die Organistin, die in den Jahren zuvor einige Male die Orgel in der Herxheimer Kirche gespielt hatte und fortan für ein Abhängen der Glocke kämpfte. Sie brachte die Lawine richtig ins Rollen. „Es ist der Geist, der da wirkt“, argumentierte sie. Diese Lawine nimmt man ihren Auslösern sehr übel. Pfarrer Helmut Meinhardt und die Organistin standen sich hinsichtlich ihrer klanglichen Wahrnehmungen plötzlich diametral gegenüber. Er höre lediglich das zweigestrichene C, reagierte der Pfarrer auf die Konfrontation mit Peters’ Aussagen, sie höre in der Glocke auch die Stimme Adolf Hitlers. In den manchmal nicht sehr Sozialen Netzwerken wurde die Frau aufs Übelste beschimpft. Inhaltlicher Tenor: Die Glocke solle weiterläuten, sie habe 83 Jahre lang niemanden gestört. Diese Argumente nahm auch eine kleine NPD-Gruppe auf, als sie sich zu einer Kundgebung in Herxheim traf.

Becker und das ARD-Interview

Entgegengesetzte Töne kamen im September aus Mainz. Ministerpräsidentin Malu Dreyer riet dazu, die Glocke, die der Gemeinde einst als Polizeiglocke diente, abzuhängen. Der Zentralrat der Juden forderte ebenfalls, die Glocke zu entfernen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Bürgermeister Becker im ARD-Magazin Kontraste bereits um Kopf und Kragen geredet. Mit seinem wiederholt formulierten Stolz auf die Glocke und seinen relativierenden Aussagen zu den Nazi-Verbrechen hatte er sich in kurzer Zeit untragbar gemacht. Lange Zeit nicht auseinandergesetzt hat sich der Herxheimer Gemeinderat mit der immer schneller und größer werdenden Debatte. Ein Fehler? Zurückblickend gibt der Beigeordnete Kühner zu: „Es wäre sicherlich hilfreich gewesen, sich früher konstruktiv mit dem Thema zu befassen.“ De facto vergingen die Monate Mai, Juni, Juli und August, bis man sich schließlich entschloss, ein Gutachten in Auftrag zu geben. Einen mahnenden Hinweis auf die Glocke gibt es außerhalb der Kirche übrigens bis heute nicht. Und ob sich die Herxheimer wirklich intensiv mit ihrer Geschichte während der NS-Zeit auseinandersetzen würden, musste spätestens bezweifelt werden, als Historiker Roland Paul im Oktober einen Vortrag im Dorfgemeinschaftshaus hielt, zu dem mehr Auswärtige als Einheimische kamen. Paul hatte vorher die Bitte von Herxheimern erhalten, in seinem Vortrag über die „dunkle Zeit“ bloß keine Familiennamen zu nennen ...

„Betroffen, geschockt“

„Betroffen, geschockt und vielleicht auch weniger selbstbewusst“ – so bewertet Pfarrer Helmut Meinhardt den Zustand des Dorfes am Jahresende. „Die Stigmatisierung als Nazi-Dorf“ hätten die Herxheimer noch nicht überwunden. Ausgeblieben zu sein scheint indessen ein wirtschaftlicher Schaden für den Weinort. Er habe keine Kenntnis darüber, dass Kunden beispielsweise weniger Wein bei ihm oder seinen Winzer-Kollegen gekauft hätten, sagt Wolfgang Gabel. Thomas Vogel, Geschäftsführer der Winzergenossenschaft hat ebenfalls keine Einbußen festgestellt. Dass ein Ende der Glockendiskussion dem Ort dennoch guttun würde, daran hegt kaum jemand Zweifel. Derzeit hängt es vor allem am immer noch fehlenden Gutachten, das die Sachverständige nach eigener Aussage Anfang Dezember schon „fast fertig“ hatte ...

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