Rheinland-Pfalz Anstifter-Anklage abgestritten

Ende 2016 soll Lorenz K. den Attentatsversuch eines damals Zwölfjährigen in Ludwigshafen gesteuert haben, vor allem deshalb steht der Österreicher seit gestern in Wien vor Gericht. Doch der Verteidiger hat zum Prozessbeginn behauptet: Sein inzwischen 19-jähriger Mandant war der gemäßigtere Teil dieses deutsch-österreichischen Islamisten-Duos.

Wien/Ludwigshafen. Mitten im Gerichtssaal steht der in eine wuchtige Schutzweste gehüllte Justizbeamte. Seine Hand ruht auf dem Pistolengriff, während er das Publikum wachsam mustert. Und im Zuschauerraum sitzt mindestens ein weiterer drahtiger Staatsdiener, dessen Zivil-Jackett die Waffe nur notdürftig bedeckt. Denn das Verfahren gilt als brenzlig: Die Medien sollen geheim halten, wie der Staatsanwalt und die Richter heißen. Und die acht für die Entscheidung über Schuld und Unschuld des Angeklagten zuständigen Geschworenen werden ohnehin nur mit Nummern aufgerufen. Denn immerhin geht es hier um einen 19-Jährigen, der in einer Videodatei der Terrorbande IS die Treue geschworen hat. Der bei Twitter eine islamistische Bluttat mit fast 50 Todesopfern lobte. Der über einen Selbstmordanschlag, vielleicht auf die Militäreinrichtungen in Ramstein, nachdachte. Der dabei offenbar gemeinsam mit seiner „Ehefrau“ sterben wollte – einer 16-jährigen Internet-Bekannten aus Nordrhein-Westfalen, mit der er sich von einem Hinterhof-Imam verheiraten ließ, als er das Mädchen zum ersten Mal im echten Leben traf.

Er gesteht: schuldig im Sinne der Anklage

Vor allem aber ist Lorenz K. angeklagt, weil er Ende 2016 einen Zwölfjährigen gesteuert haben soll, als der sich auf dem Ludwigshafener Weihnachtsmarkt in die Luft sprengen und damit viele andere Menschen töten wollte. Gescheitert, meinen Ermittler, ist das Attentat nur, weil der Zündmechanismus seiner Eigenbau-Bomben versagte. Also will der Wiener Staatsanwalt seinen Angeklagten nun als Anstifter eines Mordversuchs verurteilen lassen. Was dem 19-Jährigen bis zu 15 Jahre Haft bescheren könnte. Doch sein Verteidiger Wolfgang Blaschitz hält gleich dagegen. Dazu muss sich der Anwalt vor allem dem Jungen aus Ludwigshafen widmen. Über ihn sagt er: „Vergessen Sie alle Ihre bisherigen Vorstellungen, die Sie von einem Zwölfjährigen haben. Das ist kein Heintje-artiger Sängerknabe, das ist auch kein wohlbehüteter Klassensprecher.“ Stattdessen habe der Deutsch-Iraker zum Beispiel in einer islamistischen Internet-Diskussionsgruppe die These vertreten, dass Frauen versklavt und vergewaltigt werden dürfen. Lorenz K. hingegen habe widersprochen und sich so als vergleichsweise gemäßigt gezeigt. Der 19-Jährige – schwarze Hose, schwarzes Hemd, gestutzter Vollbart, gegeltes und am Hinterkopf schon ein wenig licht werdendes Haar – sitzt derweil schweigend auf seinem Stuhl, hinter der Lehne knetet seine Rechte das linke Handgelenk. Doch auch er kommt schon bald zu Wort, muss zu den Vorwürfen formell Stellung nehmen. Er gesteht: schuldig im Sinne der Anklage, weil er dem IS die Treue schwor und sich somit einer Terrororganisation anschloss. Doch in Bezug auf den Ludwigshafener Anschlagsversuch erklärt er sich für: „nicht schuldig“.

Richter reagieren immer skeptischer

Schließlich, so sagt der weitgehend religionslos aufgewachsene, als Kleinkrimineller ins Gefängnis gekommene und dort zum Muslim gewordene Sohn albanischer Eltern, habe sich der Zwölfjährige in Glaubensfragen viel besser ausgekannt als er selbst. Zum Beispiel, weil er arabische Fachbegriffe kannte, mit denen er sogar in islamistischen Chat-Gruppen beeindrucken konnte. Lorenz K. behauptet: Er habe seinen Ludwigshafener Online-Bekannten deshalb lange für etwa gleichaltrig gehalten und erst spät erfahren, dass er fünf Jahre jünger ist. Mittlerweile bestreitet der 19-Jährige sogar, dem damals Zwölfjährigen jemals eine Bombenbau-Anleitung geschickt zu haben. In Wirklichkeit sei es umgekehrt gelaufen. Doch damit widerruft Lorenz K. etwas, was er in früheren Vernehmungen schon gestanden hatte. Nun behauptet er: Er habe da viel Unfug erzählt, weil ihn ein Beamter des Verfassungsschutzes geschlagen habe. Und weil er auch bei späteren Befragungen immer wieder so unter Druck gesetzt wurde. Die Richter allerdings reagieren auf diese Erklärungen des Angeklagten immer skeptischer. Schließlich haben Ermittler auch die vielen Textnachrichten wiederherstellen können, die Lorenz K. mit dem jungen Deutsch-Iraker austauschte. Sie wirken so, als habe sich der Zwölfjährige zunächst in einem Gottesdienst in der Ludwigshafener Apostelkirche in die Luft sprengen wollen – und sich von dem Wiener dann auf den Weihnachtsmarkt umdirigieren lassen, weil der dort mit noch mehr Opfern rechnete. Dazu kommt: Als der Junge kurz vor der Tat Zweifel bekam, redete ihm der Österreicher gut zu.

Kampfname „Mujahid“

Nun behauptet Lorenz K.: Eigentlich habe er seine Ruhe haben wollen. Denn der Zwölfjährige habe ihn nur noch genervt: „Ständig hat mein Handy vibriert.“ Der Deutsch-Iraker meldete sich zum Beispiel, als er zum Attentat losziehen und sich dafür seinen Sprengstoffgürtel umschnallen wollte. Denn da bemerkte er: Sein Bauch war für diese Konstruktion zu dick. Prompt bekam er aus Wien den Rat, die Bombe doch einfach in eine Umhängetasche zu stecken. Doch als Anstifter will sich der 19-Jährige trotzdem nicht einstufen lassen. Sein Argument formuliert er schließlich so: Er habe dem Zwölfjährigen keine Befehle gegeben, allenfalls Tipps. Damit allerdings ist ihm trotzdem eine Art Geständnis herausgerutscht. Denn die Richter erklären ihm prompt: Tipps geben, das reicht, um schuldig im Sinne der Anstifter-Anklage zu sein. Und sie empfehlen ihm, sich die juristischen Details noch einmal von seinem Verteidiger Blaschitz erklären zu lassen. Der allerdings wird an den nächsten Verhandlungstagen noch belegen wollen, dass der Zwölfjährige von einem deutschsprachigen IS-Kämpfer aus dem syrisch-irakischen Kriegsgebiet gesteuert wurde. Mit dem hatte auch Lorenz K. Kontakt, doch der Ludwigshafener Junge kannte den Terroristen noch vor ihm. Die Behörden kennen nur seinen Kampfnamen „Mujahid“. Wer sich dahinter verbirgt, ist, so formuliert es die Justiz in Österreich, „unausgeforscht“.

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