Kaiserslautern Pfalztheater: Russische Künstler über den Krieg in der Ukraine

Jüngst war Polina Artsis in Kaiserslautern in „Die Italienerin in Algier“ zu erleben.
Jüngst war Polina Artsis in Kaiserslautern in »Die Italienerin in Algier« zu erleben.

Am 19. März feiert die Barockoper „Alcina“ von Georg Friedrich Händel im Pfalztheater Kaiserslautern Premiere. Die musikalische Leitung hat Dirigent Anton Legkii. Mezzosopranistin Polina Artsis singt die Rolle der Bradamante. Beide stammen gebürtig aus Russland, haben Verbindungen zur Ukraine und zeigen sich bestürzt angesichts des Krieges.

„Dieser Schmerz zerreißt mein Herz. Es ist ein Alptraum, was da gerade passiert“, erzählt Anton Legkii, zweiter Kapellmeister und Solorepetitor am Pfalztheater Kaiserslautern. Er selbst kommt aus dem russischen Jekaterinburg, seine Wurzeln reichen jedoch in das angegriffene Nachbarland: Seine Urgroßeltern stammen aus der Ukraine. Legkii ist noch sichtlich aufgewühlt, als er seine Empfindungen am Morgen des 24. Februars beschreibt – an jenem Tag, an dem in Europa der Krieg ausgebrochen ist. „Mein Großvater hat angerufen, als es noch ganz früh in Deutschland war. Ich habe sofort verstanden, dass etwas passiert ist“, erzählt er.

„Wir atmen nur“

Normalerweise rufen seine Verwandten nämlich um diese Uhrzeit nicht an. „Das war nur einmal so, als mein anderer Großvater gestorben ist“, sagt er. Der innere Schock, das Gefühl, das auf die schlimme Nachricht des Kriegsausbruchs folgte, sei jedoch genau so gewesen wie damals. So, als wäre ein Verwandter gestorben. Der Krieg, den der Dirigent als „eine unglaubliche Grausamkeit“ bezeichnet, ist nichts Abstraktes mehr. „Alle Russen und Ukrainer fühlen das ganz privat“, ist er sich sicher. Und die Konsequenzen dieses Krieges, so fürchtet er, werden noch viele nachkommende Generationen spüren. Denn: Der Krieg wirke wie ein Messer auf die Verbindung der beiden Länder. Während die russischen Kinder daheim sein könnten, müssten ukrainische nun in Bunkern oder U-Bahn-Stationen schlafen, um sich vor Bombenangriffen zu schützen.

Wenn der Musiker dieser Tage seine Freunde in der Ukraine anruft, fühle er sich nicht wohl, erzählt er resigniert. „Ich trage ein Gefühl der Schande in mir, als ob es meine Schuld ist, was in der Ukraine derzeit passiert. Und ich fühle jetzt, dass es trotz alledem meine Mission ist, durch die Musik die humanistischen Werte zu behaupten und die Menschen wieder zu ihrer Menschlichkeit zu bringen.“

Dabei liebt der 30-Jährige sein Heimatland eigentlich von ganzem Herzen, wie er sagt. „Es tut weh, was die Politiker damit gemacht haben.“

„Es gibt keine Worte. Wir atmen nur“

Seine zwei Konzerte, die in dieser Spielzeit in Russland vorgesehen waren, hat Legkii abgesagt. „Ich fühle mich dazu mental gerade nicht bereit“, erklärt er. Außerdem mache er sich große Sorgen um seine Familie in Russland. Denn: Menschen, die eine andere Meinung als die Regierung vertreten, lebten gefährlich. So berichtet der Dirigent, dass er es vermeide, politische Themen anzusprechen, wenn er etwa mit seiner Mutter telefoniere. Zu groß sei das Risiko, abgehört zu werden. Zu heftig die Konsequenzen, die drohen. Diese Angst existiere jedoch bereits seit Jahren, nicht erst seit Kriegsausbruch. Dennoch rufe er seine Familie derzeit täglich an. „Wir stehen alle unter Schock“, sagt er. „Und wir sprechen mittlerweile ohne Worte. Es gibt keine Worte. Wir atmen nur.“

Nur die Musik bringe den Dirigenten derzeit auf andere Gedanken. Und die sei in diesen Zeiten besonders wichtig. Stehe sie doch im kompletten Gegensatz zu dem, was in der Ukraine gerade passiert. Und: „Wir entfachen eine Energie beim Musizieren“, erklärt Legkii. „Vielleicht bin ich naiv, aber ich hoffe, dass diese Energie eine kleine Message an das Universum sendet, um den Krieg zu stoppen.“

„Mein Land hat heute den Krieg angefangen“

An jenen Morgen des 24. Februar erinnert sich auch Polina Artsis noch ganz genau. Die in Russland geborene Mezzosopranistin ist seit 2017 Ensemblemitglied am Pfalztheater, studierte in Moskau und Weimar. „Es war kurz vor der Probe, als ich Nachrichten gelesen habe. Ich musste mich hinsetzen, alles war plötzlich grau, ich musste weinen. Dann ging ich in den Proberaum, und als erste habe ich meine russische Kollegin gesehen. Wir haben uns lange verzweifelt ohne Worte angeschaut“, erzählt sie. Als eine andere Kollegin dann besorgt fragte, ob alles in Ordnung sei, habe Artsis nur sagen können: „Mein Land hat heute den Krieg angefangen.“ An jenem Morgen habe sie sich gefühlt, als sei ein Stein auf ihr Herz gefallen, der seitdem dort verharrt.

Die Sängerin mit jüdischen Wurzeln berichtet, dass ihr Vater in der Ukraine geboren ist. Solange ihre Oma väterlicherseits noch lebte, habe sie diese jeden Sommer besucht. „Es gab nie eine Trennung zwischen Russen und Ukrainern, weder ausgesprochen, noch vom Gefühl“, erzählt die Sängerin. „Und solche Geschichten würden tausende Menschen erzählen – nicht umsonst hat man uns immer Brudervölker genannt.“

Viele Gründe laut zu werden

Artsis erklärt, dass die Wahrnehmung der Realität seitens der russischen Bevölkerung sehr unterschiedlich ist. Ein großer Teil habe keinen Zugang zum Internet, zu Social Media und unabhängiger Presse. Staatliche Fernsehprogramme seien die einzige Informationsquelle.

Dann gebe es aber auch diejenigen Menschen, die auf die Straßen gehen und protestieren – trotz der Perspektive, im Gefängnis zu landen oder verprügelt zu werden. „Viele von diesen Menschen haben bereits viel Erfahrung mit den Protesten in Russland – es gab in den letzten Jahren genug Gründe dafür, laut zu werden“, erzählt die Musikerin. Sie befürchtet jedoch, dass Europäer die Wirkkraft des Protests überschätzen: „Man denkt, dass ein Protest ein wirksames Kommunikationsmittel mit dem Präsidenten ist und zieht daher die Schlussfolge, dass die Russen sich einfach nicht genug Mühe geben“, sagt sie. „Leider gibt es in Russland keine Mittel, die die Regierung von unten beeinflussen können. Je mehr Menschen auf die Straßen gehen, desto mehr werden verhaftet. Die Russen wissen das – aber hören trotzdem nicht auf.“

„Kunst muss außerhalb der Politik stehen“

Die Sängerin glaubt, dass es einige westliche Sanktionen gibt, die die russische Regierung treffen, etwa der Ausschluss einiger russischer Finanzinstitute aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift. Sie fürchtet aber auch, dass ein Großteil nur zu Lasten der Bevölkerung geht. „Ironischerweise treffen sie die Menschen, die gerade ihre Freiheit riskieren, um gegen Krieg zu protestieren“, so Artsis.

Mehr Kopfzerbrechen bereite ihr jedoch die „Hasswelle gegen Russland“, die sich mit den Sanktionen entwickele. „Als ob die Welt nicht sehen will, dass das, was gerade passiert ist, nichts mit dem russischen Volk, der russischen Kultur und dem russischen Land zu tun hat“, sagt sie und verweist auf Kultur- und Sportveranstaltungen, die russische Teilnehmer bereits ausgeschlossen haben. „Die Kunst muss außerhalb der Politik stehen, denn sie hat in allerschlimmsten Zeiten für die Verbindung und Frieden gesorgt“, fordert Artsis. „Wenn man damit anfängt, die Kunst zu canceln, dann haben wir den Kampf für die Menschlichkeit sofort verloren.“

Dirigiert derzeit den „Vogelhändler“ und demnächst „Alcina“: Anton Legkii.
Dirigiert derzeit den »Vogelhändler« und demnächst »Alcina«: Anton Legkii.
Sich in Russland gegen den Angriffskrieg Putins auszuprechen, kann gefährlich werden. Verhaftungen drohen. Hier ein Plakat mit d
Sich in Russland gegen den Angriffskrieg Putins auszuprechen, kann gefährlich werden. Verhaftungen drohen. Hier ein Plakat mit der Aufschrift »kein Krieg« in St. Petersburg, das am 1. März dann – per Angel – abgehängt wurde.
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