Kontroverse Große Bühne für Xavier Naidoo in Mannheimer SAP-Arena?

Zuletzt trat Xavier Naidoo im Dezember 2019 in der Mannheimer SAP-Arena auf. Jetzt kündigte er in einem Video-Interview bei „Dig
Zuletzt trat Xavier Naidoo im Dezember 2019 in der Mannheimer SAP-Arena auf. Jetzt kündigte er in einem Video-Interview bei »Digitaler Chronist« neue Songs an, mit denen er »Merkel vom Thron stürzen« wolle.

Xavier Naidoo hat sich zuletzt in abgründige Verschwörungstheorien vertieft und der Popwelt scheinbar den Rücken gekehrt. Nicht wenige fürchten, der Mannheimer sei ein Fall für die Psychiatrie. Doch 2021 will ihm die SAP-Arena eine große Bühne bieten. Veranstalter Daniel Hopp begründet dies unter anderem mit seiner derzeitigen wirtschaftlichen Notlage. Eine Haltung, die Widerspruch erregt.

Natürlich steht es einem privaten Veranstalter komplett frei, welche Künstler er bucht. Aber ob sich die SAP-Arena einen Gefallen damit tut, Xavier Naidoo für kommenden Oktober einzuladen?

Schließlich haben sich nach dem Sender RTL, der den Sänger im März wegen rassistischer Äußerungen über Geflüchtete aus der Jury von „Deutschland sucht den Superstar“ warf, nun auch einstige Weggefährten wie Kool Savas und zahlreiche frühere Fans von dem Mannheimer Sänger distanziert. Denn seit dem Rausschmiss aus dem Fernsehen hat sich der 48-Jährige immer deutlicher als Anhänger von Verschwörungstheorien positioniert, die die Grundfesten unserer Demokratie angreifen, und seine Fans damit ermuntert, seinen Weg mitzugehen.

Ängste vor einem elitengesteuerten Pädophilennetzwerk, staatlicher Gehirnwäsche und einer nicht erst seit NS-Zeiten propagierten jüdischen Weltverschwörung, die Verleugnung des Coronavirus und selbst der Glaube an vielleicht außerirdische Mächte spielen dabei ineinander. Zumindest suggerieren dies Botschaften im Messengerdienst Telegram, wo über 78.000 Anhänger den Kanal „Xavier Naidoo (offiziell)“ verfolgen (einsehbar auf https://t.me/s/Xavier_Naidoo). Auch untermauert ein frei verfügbares Video, das ihn aufgelöst in eine Kamera sprechend zeigt, dass der Sohn einer südafrikanisch-irischen Mutter und eines indisch-deutschen Vaters tatsächlich zu den Anhängern einer bizarren Theorie gehört.

Andeutungen in Videos

Naidoo weint und findet lange keine Worte. Dann sagt er: „Wenn ich das richtig verstehe, werden in diesen Momenten in verschiedenen Ländern der Erde Kinder aus den Händen pädophiler Netzwerke befreit.“ Und lässt das Stichwort „Adrenochrom(e)“ fallen: Das Video ist von Anfang April und verweist auf eine Verschwörungstheorie, der er offenbar tiefen Glauben schenkt.

Die Kurzversion lässt sich aus Netzpostings anderer Gläubiger zusammensetzen: Es soll ein Netzwerk von Menschen geben, die Kinder gefangen halten, missbrauchen und ihnen Blut abzapfen, um ein Serum zu erhalten, das ewige Jugend und Schönheit garantieren solle. Eben jenes „Adrenochrom“. Verwickelt darin sollen „Linke“ oder auch „Die Antifa“ sein, auch „Hollywood“ und insbesondere die „Finanz-Elite“, womit Menschen jüdischen Glaubens gemeint sind und die Verschwörungstheorie antisemitisch wird. Größter Hass schlägt hierbei der Familie Rothschild entgegen. Lady Gaga soll ebenfalls involviert sein und natürlich Hillary Clinton.

Weiter heißt es bisweilen, es gebe ein unterirdisches Tunnelsystem, in dem Tausende von Donald Trump entsandte US-Soldaten kämpfen, um die Kinder zu befreien. Mitunter werden hier auch Außerirdische erwähnt, die in den Körpern der Kinderschänder stecken.

Mittelalterlicher Aberglaube

„Adrenochrom“ gibt es zwar tatsächlich. Der Begriff benennt ein Stoffwechselprodukt, das durch die Oxidation von Adrenalin entsteht. Es kann jedoch auch im Labor hergestellt werden und hat keine verjüngende Wirkung. Als ein „Vater“ der Verschwörungstheorie gilt der US-Skandalautor Hunter S. Thompson, der 1971 in „Fear and Loathing in Las Vegas“ seine Hauptfigur Dr. Gonzo über Adrenochrom reden lässt, das als halluzinogene Droge propagiert wird: Es gebe nur eine Quelle dafür, „die Adrenalindrüsen eines lebenden menschlichen Körpers“. Der zu Grunde liegende Aberglaube geht allerdings bis ins 12. Jahrhundert zurück, als Ritualmordlegenden zu Pogromen an der jüdischen Bevölkerung führten.

Zuvor hatte Naidoo schon in einigen Liedern ähnliche Andeutungen gemacht. So verwies er im Stück „Marionetten“ der Söhne Mannheims von 2017 auf „Pizzagate“: Diese Verschwörungstheorie aus dem US-Wahlkampf von 2016 besagt, Hillary Clintons Wahlkampfmanager habe einen Pädophilenring aus dem Keller einer New Yorker Pizzeria heraus geleitet. Daraufhin hatte ein Anhänger der Theorie bewaffnet die Pizzeria gestürmt, um die dort vermuteten Kinder zu befreien. Einen Keller oder Kinder gab es zwar nicht. Dennoch hielt sich der Glaube an „Pizzagate“. Naidoo will nun in einem Video gesehen haben, wie der Wahlkampfmanager ein Kind einer „Duschfolter“ unterzogen habe, sagt er in einem Video-Interview mit dem als rechtsextrem geltenden Kanal „Digitaler Chronist“ .

Zuvor hatte Naidoo schon 2012 in „Wo sind“ seines Duos Xavas mit Kool Savas von Pädophilenringen schwadroniert, nach einem Führer gerufen und Homosexuellen generell mit schwerster Gewalt gedroht („Ich schneid euch jetzt mal die Arme und die Beine ab“). Ein eigenes Trauma könnte der Hintergrund dieser Gedanken sein: Mit neun Jahren sei er selbst in Johannesburg sexuell belästigt worden, erläuterte Naidoo einmal. Und 2009 war Naidoo mit dem Song „Raus aus dem Reichstag“ aufgefallen. Darin singt er von „Baron Totschild“, einem „Schmock“ und „Fuchs“, der den Ton angebe: eine Anspielung auf die Rothschilds.

Im Gespräch auf „Digitaler Chronist“ wird der „Adrenochrom“-Mythos noch weiter ausgeführt. Naidoo spricht von einer „Riesen-Industrie, die Kinder foltert, mordet“. Auch zweifelt Naidoo die Existenz des Coronavirus an. „Ich weiß nicht mal, ob Viren überhaupt existieren“, sagt der 48-Jährige. Er spricht auch von Plänen, „die Deutschen“ zu vernichten, und doziert, „dass die Deutschen und das Land schon seit Jahren unter Massenhypnose stehen“. Auch sei „viele Jahrzehnte an unseren Hirnen geforscht“ worden, und Zwangsimpfungen drohten.

Naidoo will missionieren

Das Problem solcher Äußerungen: Xavier Naidoo spricht nicht privat, sondern erreicht als prominenter Musiker Menschen, die sonst kaum mit solchem Aberglauben in Kontakt kämen. „Mir geht es darum, etwas zu bewegen“, sagt er selbst. Und kündigt neue Songs an, die sich noch klarer positionieren. Mit diesen werde er „Merkel vom Thron“ stoßen. Und so manche lassen sich auf seine Gedanken ein. Auch einige Musikerkollegen scheinen anfällig. So zeigte Rapper Sido, der am 18. Juni beim Mannheimer „Carstival“ auftritt, jüngst in einem Videogespräch mit Rapper Ali Bumaye Verständnis für die Adrenochrom-Theorie und sagte, es sei ja bekannt, dass Kinder verschwinden. Sein Beispiel: die vierjährige Madeleine McCann, die seit 2007 in Portugal vermisst ist. „Ich glaube schon daran, dass so was sein kann“, sagte er weiter und sprach auch vom „alten Rothschild“.

Petition gegen Auftritt läuft

Den Auftritt Naidoos in Mannheim hat die Agentur DeMi Promotion aus Hirschberg organisiert, die auch beim „Carstival“ mitwirkt, wo am 26. Juni Die Söhne Mannheims auftreten – ohne Naidoo, wie betont wurde. Ursprünglich sollte das Naidoo-Konzert diesen August in Ladenburg stattfinden, dort hatten sich jedoch Teile des Gemeinderats, der Bürgermeister sowie die Initiative „Wir gegen Rechts“ gegen den Auftritt auf der Festwiese positioniert, der wegen der Corona-Krise ohnehin nicht hätte stattfinden können.

Das Konzert am 9. Oktober 2021 in der SAP-Arena durchzuführen, hat Veranstalter Daniel Hopp auf Anfrage wie folgt begründet: „Es obliegt nicht uns als Veranstaltungsstätte, über Äußerungen des Künstlers zu urteilen. Gerade in der aktuellen wirtschaftlich verheerenden Situation, in der es auch darum geht, die Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter zu erhalten, ist es unsere Aufgabe und Pflicht, eine hohe Auslastung der SAP Arena sicherzustellen.“ Und über Naidoo schreibt Daniel Hopp: „Xavier Naidoo ist seit Eröffnung der SAP Arena fester Bestandteil unseres Veranstaltungskalenders, war stets ein gern gesehener Gast. In den vergangenen 15 Jahren hat er die Arena als Solokünstler, als Mitglied der Söhne Mannheims oder im Rahmen von Charity-Formaten 14-mal gefüllt – meist bis auf den letzten Platz.“ Ein wirtschaftliches Argument also vor allem.

Dagegen regt sich nun Widerstand. Die Mannheimer Jusos haben eine Petition bei Change.org gegen den Auftritt gestartet. Sie richtet sich an die Betreibergesellschaft der Halle, trägt den Titel „Kein Platz für Verschwörungstheorien in Mannheim! SAP Arena, stoppt das Naidoo Konzert!“ und hat bislang rund 32.500 Unterzeichner.

Sido zeigt sich ebenfalls anfällig für Naidoos Verschwörungstheorien, wonach es ein weltweites Pädophilie-Netzwerk gibt, hinter
Sido zeigt sich ebenfalls anfällig für Naidoos Verschwörungstheorien, wonach es ein weltweites Pädophilie-Netzwerk gibt, hinter dem die jüdische »Finanz-Elite« stecke. »Ich glaube schon daran, dass so was sein kann«, sagt er in einem Videogespräch mit einem Rapperkollegen.
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