Wirtschaft Warentransport im Container: Revolution im Welthandel

Beladenes Containerschiff

1955 setzt der Spediteur Malcolm McLean alles auf eine Karte: Er geht unter die Reeder, entwickelt den Container und revolutioniert so den Welthandel. Von Alexander Hoffmann

Das heutige Rückgrat des Welthandels ist aus Stahl und in der Standardausführung 2,44 Meter breit, 6,10 Meter lang und 2,60 Meter hoch: der Container. Es war ein Lkw-Fahrer namens Malcolm Purcell McLean, der die ebenso schlichte wie geniale Idee hatte, Waren nicht einzeln als Stückgut, sondern gebündelt in einem genormten Behälter zu transportieren. Wir schreiben das Jahr 1937, als sich der 24-jährige McLean in einem US-Hafen wieder einmal darüber ärgert, wie lange die Entladung seines mit Baumwolle beladenen Trucks dauert. Die Ballen werden umständlich vom Fahrzeug heruntergeholt, dann umverpackt und zwischengelagert, ehe sie auf ein Schiff gehievt werden. Es ist wie in allen Häfen der Welt: Unzählige „Schauermänner“ schleppen die Ballen, Säcke und hölzernen Boxen in den Laderaum eines Schiffs. Für ein 5000-Tonnen-Schiff sind 60 Männer eine Woche lang mit dem Löschen der Ladung beschäftigt. McLean stammt aus Maxton, North Carolina. Nach dem High-School-Abschluss arbeitet er zunächst als Tankwart, fürs College fehlt der Familie das Geld. Aber McLean ist zielstrebig, will etwas bewegen. 1935 kauft er sich mit seinem Ersparten einen gebrauchten Lastwagen und gründet eine kleine Spedition. Während er 1937 am Hafenkai steht, kommt ihm die Idee, den kompletten Auflieger eines Trucks auf das Schiff zu verladen und am Zielort wieder auf einen Lastwagen oder auf einen Zug zu setzen. McLean denkt weiter darüber nach und landet schließlich bei einer Stahlbox, die man als Standardbehälter für alle Waren konstruieren könnte. Das würde Zeit und enorme Kosten sparen. Seine Idee, Waren in großen Kisten zu transportieren, ist nicht neu. Schon Ende des 18. Jahrhunderts wurde Kohle aus englischen Minen in Eisenbehältern auf Flussschiffen transportiert. Ab 1830 verwendeten auch die ersten Eisenbahnen eine Art Container. Aber das Ganze wuchs nie zu einem logistischen Netz zusammen. Die Experten brüteten immer wieder über Konzepten, wie man das Be- und Entladen von Lkws, Güterwaggons und Schiffen effizienter gestalten konnte. 1933 etablierte sich in Paris das Bureau internationale de Container (BIC), um eine internationale Lösung zu finden, doch die Idee verlief im Sand. Die Experten meinten, die Entwicklung neuer Kräne, genormter Lastwagen und Container sei nicht rentabel. Das merkt auch Malcolm McLean: Als er nach 1937 mit seiner Idee hausieren geht, blitzt er ab, vor allem bei den Reedern, die ihre Schiffe umrüsten müssten. Als Spediteur hat McLean Erfolg und ist nach einigen Jahren Herr über eine große Lkw-Flotte. Er ärgert sich weiter über das umständliche Transportsystem, doch es dauert noch bis 1955, dann setzt er alles auf eine Karte. Er beschließt, selbst unter die Reeder zu gehen und sein Container-Konzept in der Praxis zu testen. Als Spediteur darf McLean laut US-Kartellrecht keine Schifffahrtslinie betreiben. Also verkauft er kurzerhand sein Imperium für 25 Millionen US-Dollar und wird Eigentümer der Reederei Pan Atlantic Steamship. Er schafft vier kleine Tanker an, heuert findige Ingenieure und gute Facharbeiter an, und investiert in die Entwicklung und den Bau eines Containersystems inklusive großer Kräne, Lastwagen und Stahlbehälter. Das obere Deck der Schiffe lässt er mit einer zusätzlichen Stahlschicht ausrüsten, um daran die Container zu befestigen. Eine ähnliche Konstruktion hatte das US-Militär im Zweiten Weltkrieg benutzt, um an Deck Laster und Flugzeugteile zu transportieren. McLean glaubt fest an seine Idee: „Ich habe keine Schiffe, sondern seegängige Lastkraftwagen“, meint er trocken. Und pumpt einen zweistelligen Millionenbetrag in das Projekt. Wenn das schiefgeht, ist er sein gesamtes Vermögen los. Am 26. April 1956 verlässt die „Ideal X“, ein kleiner Tanker der Pan Atlantic Steamship, den Hafen von Newark bei New York Richtung Houston. Niemandem fällt die seltsame Fracht auf, die das Schiff trägt. Im Hafen hatten Spezialkräne 58 lastwagengroße Stahlkisten auf das obere Deck gehievt, wo sie Kante an Kante mit einer Spezialkonstruktion befestigt wurden. Innerhalb weniger Stunden war die Ladung verstaut und die „Ideal X“ fertig zur Abreise – es ist das erste Containerschiff weltweit. Wenige Tage später wird der Frachter im Hafen von Houston entladen: Kräne heben die Kisten direkt von Bord auf die am Kai bereitstehenden Trucks, die sie postwendend abtransportieren. Das Ganze dauert nicht wie früher Tage, sondern nur Stunden. Statt 15.000 Dollar kostet der gesamte Hafenaufenthalt für die „Ideal X“ bloß 1600 Dollar. McLeans Experiment ist geglückt. Das ist der Auftakt zu einer Revolution des Transportwesens, die die Weltwirtschaft verändern wird. McLean schickt eine Woche später den zweiten Containertanker, die „Almena“, los. Bald folgen die „Maxton“ und „Coalinga Hills“. Alle vier Schiffe pendeln regelmäßig zwischen Houston und Newark. Die Container erweisen sich nicht nur als effizienter, sondern auch als sicherer. Wind, Wetter und auch die Diebe in den Häfen können den Waren in den versiegelten Boxen nichts mehr anhaben. 1956 macht sich mit der „Gateway City“ ein größerer Schiffstyp auf den Weg. Der ehemalige Stückgutfrachter kann mehr Container fassen, weil im Schiffsbauch eine Zellenkonstruktion aus Stahlstreben es ermöglicht, die Container übereinander zu stapeln. McLeans Geschäft beginnt zu brummen, er investiert in immer bessere Schiffe. 1960 nennt er seine Reederei Sea-Land, damit jeder sofort sein Konzept begreift, den reibungslosen Land-Wasser-Land-Transport. Jetzt erst werden auch andere US-Reedereien hellhörig und legen sich Container zu, trotz des Widerstands der Gewerkschaften, die um die traditionellen Arbeitsplätze in den Häfen fürchten. Doch der Erfolg der Container bleibt auf die USA beschränkt. Europäische Eigner rümpfen die Nase über die „Schachtelschiffe“, die allenfalls für Nischenmärkte taugten. McLean kümmert das nicht. Am 6. Mai 1966 legt in Bremen mit seiner „Fairland“ das erste Containerschiff in Deutschland an. 1967 gelingt ihm schließlich endgültig der Durchbruch, als seine Schiffe auch Asien ansteuern. Die Reederei Sea-Land transportiert Nachschub für die US-Streitkräfte in Vietnam. Ohne McLeans Frachter wäre der Krieg so gar nicht zu führen gewesen. Seine Schiffe bringen monatlich rund 1200 Container nach Vietnam und kehren über Japan zurück, wo sie Ladung für die USA aufnehmen. Der amerikanische Unternehmer verdient Unsummen, die Zweifler verstummen. In Europa fürchtet die Branche, dass viele Reedereien wegen der „gefährlichen Kiste“ untergehen könnten, dazu gleich alle großen Häfen – außer Rotterdam. Die Niederländer erkennen als erste die Zeichen der Zeit und sind schon 1967 mit einem Containerterminal präsent. In einem Kraftakt sondergleichen blasen die Europäer zur Aufholjagd. Die großen Häfen rüsten um, die Reeder kaufen die modernsten Containerschiffe, die zu bekommen sind. Die neuesten Frachter bieten schon 750 Stellplätze für Container, und statt eines Hafensterbens erleben Europas Küsten einen Boom. Die Reeder auf dem alten Kontinent nehmen so viel Fahrt auf, dass sie am Ende die Amerikaner aus dem Markt verdrängen. Heute spielen US-Reedereien in der Containerschifffahrt nur noch eine untergeordnete Rolle. Malcolm McLean wird von diesen Turbulenzen nicht getroffen. Er verkauft Sea-Land Ende der 1960er Jahre an die R.J. Reynolds Tobacco Company. 1999 wird die Marke von der dänischen Mærsk übernommen, dem heute größten Containerschiffunternehmen der Welt. Als Tochter existiert Sea-Land bis heute. McLean aber gründet weitere erfolgreiche Speditionsunternehmen. Das letzte heißt Trailer Bridge, 1992 etabliert, das der Vollblutunternehmer bis zu seinem Tode führt. Er stirbt am 25. Mai 2001 in seinem Haus in Manhattan. McLean erlebt noch mit, wie sich die Containerschiffe zu Giganten entwickeln. Was mit den 58 Stahlkisten seiner „Ideal X“ anfing, das mausert sich in den 1980er Jahren zur „Frankfurt Express“, dem Schiff einer deutschen Reederei, das damals mit ihren 3000 Stellplätzen das Maß aller Dinge ist. Doch das ist nichts gegen die Riesenfrachter, die nach der Jahrtausendwende vom Stapel laufen – sie tragen bis zu 20.000 Container. Pläne für noch größere Schiffe liegen allerdings auf Eis. McLean kann sich in seinen letzten Lebensjahren bestätigt fühlen. Sein Container ist ein Motor der Globalisierung, 95 Prozent des weltweiten Handels werden heute über die Stahlboxen abgewickelt. In den Häfen arbeiten die Kranfahrer auf riesigen Containerbrücken mit computergesteuerten Plattformen im 24-Stunden-Betrieb. McLeans Idee von der weltweit genormten Verpackungseinheit, die unabhängig vom eingesetzten Fahrzeug ungeöffnet vom Sender zum Empfänger transportiert wird, hat sich durchgesetzt – zu Land, zu Wasser, in der Luft. In den Containern wird heute fast alles transportiert: vom gefrorenen Rindfleisch aus Argentinien über Computer und Fahrräder aus Taiwan bis hin zu Kleidung, Möbeln und Elektrogeräten aus China. Die Behälter gibt es über die Standardmaße hinaus in diversen Größen und Funktionen, etwa als Kühl- oder Baucontainer. Container senken die Transportkosten auf ein Minimum. So kostet die Überfahrt einer Flasche Rotwein von Australien nach Deutschland gerade einmal 12 Cent.

 Malcolm McLean 1957 im Hafen von Newark
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