Rheinpfalz Geruch geht, nichts kommt

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Die Redewendung ist so abgedroschen, dass ich sie mit meinem journalistischen Gewissen gar nicht vereinbaren kann: „Ein Hauch von Wehmut liegt in der Luft.“ Aber sie drängt sich seit einigen Wochen penetrant auf, immer dann, wenn es in Mainz wieder einmal so riecht, wie es nur in Mainz riechen kann. Diese Mischung aus geröstetem und gleichzeitig verbranntem Kaffee. „Die Nestlé stinkt wieder“, ist ein Satz, den fast alle Mainzer kennen. Er wird schimpfend ausgesprochen, wenn das morgendliche Lüften der Wohnung vorzeitig beendet werden muss. Er eröffnet Small Talks an Haltestellen, die in Mainz „Schwätzjer“ genannt werden. Aber bald ist er weg, der Geruch – und mit ihm verschwindet der Satz aus der Stadt. Denn der Konzern hat im März angekündigt, seine Produktion für Nescafé und Nesquik in Mainz-Mombach dicht zu machen. Zu marode sei das Werk, unrentabel seine Ertüchtigung. Ende 2017 ist Schluss. Für 380 Mitarbeiter und 25 Auszubildende ringt jetzt die Gewerkschaft um das, was „sozialverträgliche Lösung“ genannt wird. 1958 kam der Konzern nach Mainz, und die Geruchsbelästigung war immer wieder Thema. Erst vor einem Jahr wurde eine Technik eingebaut, die die Emissionen deutlich reduzierte. Wenn der Kaffeesatz in die Verbrennungsanlage transportiert wird, riecht es nicht mehr, aber nach wie vor, wenn der Kaffee getrocknet wird. Ich mag den Geruch nicht, der ab und zu mit dem Wind herangeweht wird. Aber jetzt, wo er bald nie mehr da ist, merke ich, dass er auf seine Weise durchaus identitätsstiftend für die Stadt ist. Für jenen Teil, der nicht Fasnachts- und Medien-, nicht Wein- und Regierungsstandort ist, sondern für die Industriestadt Mainz. Um die ist es schon seit Jahren nicht mehr gut bestellt: Der amerikanische Computerkonzern IBM hat 2003 seine Festplattenproduktion in der Mainzer Oberstadt geschlossen, Ende 2016 zieht der Rest der IBM-Mannschaft, rund 1200 Mitarbeiter, nach Frankfurt um. Ganz in der Nähe von Nestlé gibt es die Ölmühle „Cargill“, die Rapsöl für die Lebensmittel- und Treibstoffindustrie herstellt. Wegen Überkapazitäten schließt auch sie ihre Tore. Die von manchen beklagten Geruchsbelästigungen hören auf, 50 Mitarbeiter freuen sich darüber nicht. Mit industriellen Neuansiedlungen sieht es schlecht aus. Andere Industriegerüche sind nicht zu erwarten. Deshalb nehme ich jetzt mit der beschriebenen Wehmut, auch wenn es noch so kitschig klingt, immer eine extra Nase voll „Nestlé“ – und mache danach schnell die Fenster zu. Die Kolumne —Karin Dauscher, Jahrgang 1966, ist Korrespondentin im Mainzer RHEINPFALZ-Büro. Mit ihrer vierköpfigen Familie lebt sie in der Landeshauptstadt. In der Kolumne „Mein Mainz“ notiert sie Erlebnisse aus ihrer Wahlheimatstadt.

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